Konjunktur: Frühindikatoren zeigen nach unten

Die deutsche Wirtschaft steht vor schwierigen Monaten. Die Verlader sehen schwarz. Die Ladengeschäfte und der Onlinehandel leiden unter der miesen Kauflaune. Die Energiekrise bereitet große Sorgen. Engpässe bleiben ein Problem. Und: Die nächste Corona-Welle rollt an.

Gefährliches Gefälle: Das Ifo-Geschäftsklima für Deutschland ist im September auf den niedrigsten Wert seit Mai 2020 gefallen. (Illustration: DVZ)

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich deutlich verschlechtert. Das Ifo-Geschäftsklima fiel im September zum Vormonat um 4,3 Punkte auf 84,3 Punkte. „Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine Rezession“, kommentiert Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die etwa 9.000 befragten Unternehmen bewerteten sowohl ihre Lage als auch die zu erwartende Entwicklung schlechter. Das Klima trübte sich in allen betrachteten Sektoren ein.

Die deutsche Wirtschaft leidet unter einer Vielzahl krisenhafter Entwicklungen. Allen voran steht der Krieg Russlands in der Ukraine, der die Unsicherheit erhöht hat. Hinzu kommen die Energiekrise, Probleme im Welthandel und steigende Leitzinsen, die Kredite verteuern. Außerdem ist die Pandemie nicht überwunden: Vor allem Chinas Anti-Corona-Politik sorgt immer wieder für Belastungen im Welthandel, etwa weil der Betrieb in Häfen oder Fabriken wegen Eindämmungsmaßnahmen gestört ist. Zudem rollt die Herbstwelle auf Deutschland zu. Sie dürfte zu einem hohen Krankenstand in Unternehmen führen – ein Problem auch für viele Logistiker, die jetzt schon am Limit arbeiten.

Auch Bankvolkswirte äußern sich pessimistisch. „Kurzfristig lässt sich wegen anhaltend hoher Gas- und Konsumentenpreise, der Versorgungsunsicherheit, der geopolitischen Risiken und der steigenden Zinsen nicht erkennen, dass die Stimmung der deutschen Wirtschaft schon bald auf Erholungskurs geht“, sagt Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen.

Die Inflationsrate in Deutschland wird im September voraussichtlich 10 Prozent betragen. Im September 2022 waren die Energiepreise fast 43,9 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Auch die Preise für Nahrungsmittel stiegen im Vergleich zum Vorjahresmonat mit 18,7 Prozent überdurchschnittlich. Deutliche Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen wirken sich dabei preiserhöhend aus. Hinzu kommen die preistreibenden Effekte weiterhin unterbrochener Lieferketten infolge der Corona-Pandemie.

Die Materialknappheit bleibt aber ein Problem, gerade in Schlüsselbranchen wie der Autoindustrie oder im Maschinenbau. Im September meldeten zwei Drittel der vom Ifo Institut befragten Industriefirmen Engpässe bei Vorprodukten. Laut einer Umfrage unter Mitgliedern der Bundesvereinigung Logistik gibt es Engpässe bei Halbleitern, Batteriezellen und vielen Elektronikkomponenten. Zudem fehlten Kabel sowie Guss- und Schmiedeteile. Kritisch sei die Versorgungslage auch bei Kupfer und Stahl.

Nach den Umfragen des Finanzdienstleisters S&P Global für den Einkaufsmanagerindex (EMI) haben die Hersteller in Deutschland ihre Bestände an Vormaterialien im September abermals aufgestockt. Es sei aber der schwächste Zuwachs seit März dieses Jahres gewesen. „Dies lag zum einen an den Bemühungen einiger Unternehmen, ihren Cashflow zu erhöhen sowie an der weiter rückläufigen Einkaufsmenge, die so stark schrumpfte wie seit Juni 2020 nicht mehr“, heißt es in der Auswertung.

Der geringere Bedarf an Rohstoffen und Vormaterialien habe zudem dazu geführt, dass der Druck auf die Lieferketten weiter abnahm. Folglich wurde die geringfügigste Verlängerung der Lieferzeiten seit über zwei Jahren registriert.

Derweil wuchsen die Bestände an Fertigwaren bereits zum fünften Mal in Folge an. Die Steigerungsrate gab gegenüber August etwas nach, gehörte laut S&P aber immer noch zu den kräftigsten seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1996.

Die geringere Nachfrage in Kombination mit kurzzeitigen Stillständen in der Fertigung wegen der hohen Energiekosten ließ die Produktion insgesamt auch im September sinken, wie die Experten mitteilen und weiter: „Da sich bei einigen Herstellern aber die Zulieferung mit Rohmaterialien verbesserte und so die Auftragsbestände schneller reduziert werden konnten, fiel der Rückgang so geringfügig aus wie seit drei Monaten nicht mehr und bei Weitem nicht so signifikant wie beim Auftragseingang.“

Hauptursache für das erneute Absacken des EMI war der stärkere Rückgang der Neuaufträge. Den Umfrageergebnissen zufolge gab es beim Auftragseingang das sechste Minus in Folge. Es fiel zudem so hoch aus wie seit Mai 2020 nicht mehr. Zahlreiche Umfrageteilnehmer berichteten laut S&P, dass mehr und mehr Kunden ihre Aufträge angesichts der stark steigenden Preise und düsteren Wirtschaftsaussichten entweder verschoben oder sogar ganz storniert haben.

Auch das Auslandsgeschäft schrumpfte erneut, und zwar so kräftig wie seit fast zweieinhalb Jahren nicht mehr. Hier wurde in den Einkäuferumfragen vor allem auf die schleppende Nachfrage aus China verwiesen.

Jeder fünfte Händler sieht kurzfristig Existenzgefahr

Im Einzelhandel sind die Geschäftserwartungen laut Ifo-Umfragen sogar auf ein historisches Tief gefallen. Eine Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) unter 900 Unternehmen hat ergeben, dass sich 22 Prozent bereits in den kommenden zwölf Monaten in Existenzgefahr sehen. Weiter gaben 86 Prozent an, die steigenden Kosten nicht oder nicht vollständig auf die Verbraucherpreise aufschlagen zu können.

Zudem spürt die Branche laut HDE die Konjunktureintrübung schon sehr deutlich. Die Konsumstimmung sei im Keller – und dürfte sich nach Erhebung der GfK-Marktforscher im Oktober weiter verschlechtern. Eine aktuelle, vom HDE in Auftrag gegebene Umfrage zeigt, dass sich 60 Prozent der Verbraucher bereits beim Einkaufen einschränken. Knapp über 70 Prozent kaufen aus Sorge vor künftigen Kosten weniger oder günstiger als sonst ein.

Für das zweite Halbjahr rechnet der HDE für den Einzelhandel mit einem realen Umsatzrückgang von 5 Prozent zum Vorjahr. In einzelnen Segmenten, vor allem dem innerstädtischen Non-Food-Handel, liege der Umsatz immer noch um bis zu 20 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019.

Umsätze im E-Commerce rückläufig

Auch der Onlinehandel leidet unter der schlechten Konsumstimmung in Deutschland. Zwischen Juni und September lagen die Umsätze im E-Commerce mit 19,8 Milliarden Euro um 10,8 Prozent unter dem Vorjahresniveau, wie der Branchenverband bevh am Mittwoch mitteilte. In den ersten neun Monaten insgesamt lagen die Umsätze mit 64,5 Milliarden Euro um 4,4 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

„Der E-Commerce kann sich nicht von der Konsumstimmung abkoppeln“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des bevh, Martin Groß-Albenhausen. Sogar in Warengruppen, die noch ein leichtes Plus ausgewiesen hätten wie der Handel mit Lebensmitteln, resultiere dies bestenfalls aus der allgemeinen Preissteigerung.

Eine schnelle Besserung ist für die erfolgsverwöhnte Branche wohl erst einmal nicht in Sicht. Direkt nach ihren Ausgabenerwartungen gefragt, gaben im dritten Quartal im Durchschnitt 30,1 Prozent der Kunden an, im Vergleich zum Vormonat „weniger Geld für Waren im Onlinehandel ausgeben zu wollen“.

Herbstgutachten: BIP-Minus im nächsten Jahr

Die Wirtschaftsleistung fällt im laufenden und kommenden Jahr insgesamt um 160 Milliarden Euro niedriger aus, als noch im Frühjahr zu erwarten war, wie die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute in ihrer aktualisierten Gemeinschaftsdiagnose mitteilen. Die Experten haben ihre frühere Prognose für dieses Jahr deshalb halbiert. Für das kommende Jahr senken sie sie von 3,1 Prozent auf minus 0,4 Prozent. „In dieser Revision zeigt sich das Ausmaß der Energiekrise“, schreiben sie.

Auch wenn die Institute für den kommenden Winter bei normalen Witterungsbedingungen mit keiner Gasmangellage rechnen, bleibe die Versorgungslage äußerst angespannt, schreiben die Experten, und weiter: „Mittelfristig dürfte sich die Lage zwar etwas entspannen, dennoch dürften die Gaspreise deutlich über Vorkrisenniveau liegen. Dies bedeutet für Deutschland einen permanenten Wohlstandsverlust.“

Die Inflationsrate dürfte sich dem Herbstgutachten zufolge in den kommenden Monaten weiter erhöhen. Erst 2024 werde die 2-Prozent-Marke allmählich wieder erreicht.

Eine stabilisierende gehe vom Arbeitsmarkt aus. Die Unternehmen werden dem Herbstgutachten zufolge aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Bereichen bestrebt sein, den vorhandenen Personalbestand zu halten. (mit dpa)

Dieser Artikel ist erstmals am 5. Oktober 2022 auf DVZ.de erschienen. Wir wiederholen den Beitrag anlässlich des Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin.

Zur Relevanz von Prognosen

Wirtschaftsforscher als auch Logistikwissenschaftler erarbeiten regelmäßig Prognosen. Diese sind spätestens seit der Corona-Krise allerdings mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Die DVZ hat deshalb auf der Social-Media-Plattform LinkedIn gefragt: Wie relevant sind Vorhersagen derzeit für Ihre Unternehmensplanung? Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der 142 Teilnehmer gaben an, dass Prognosen für sie derzeit eine mittlere (45 Prozent) bis sogar hohe (23 Prozent) Bedeutung haben. Für jeden Fünften haben solche Vorhersagen eher eine geringe Relevanz, für weitere 12 Prozent sind sie irrelevant. Die Umfrage ist nicht repräsentativ.

Infografik: Konjunktur in Deutschland: Prognose und Wirklichkeit | Statista
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