Wie Wanderarbeiter über ihre Rechte aufgeklärt werden

Das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ informiert ­Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland über ihre Rechte in der Bundesrepublik. In der Logistikbranche gibt es besonders viel zu tun.

Deutschland ist auf externe Arbeitskräfte angewiesen. Der aktuelle Fachkräftemangel steigert diesen Bedarf immer stärker. Allerdings lassen die Arbeitsbedingungen hierzulande oftmals zu wünschen übrig, wie Zahlen von „Faire Mobilität“ zeigen. Dabei handelt es sich um ein Beratungsnetzwerk, das Wanderarbeiter aus dem EU-Ausland in Deutschland über ihre Rechte aufklärt, zu denen sie aufgrund der Sprachbarriere selten Zugang haben. Der Fokus liegt dabei auf bestimmten Branchen, in denen es besonders häufig zu arbeitsrechtlichen Verstößen kommt. Dazu zählt auch die Logistik.

Wachsender Bedarf

Faire Mobilität startete 2011 mit wenigen Standorten und Mitarbeitern. Bis heute wurden die Kapazitäten auf zwölf Niederlassungen sowie 30 Berater erweitert. Eine von ihnen ist Anna Weirich. Sie ist seit November 2020 für Faire Mobilität tätig – inzwischen mit jeweils einer halben Stelle für Beratungsanfragen von rumänischen Arbeitnehmern und als Koordinatorin für den internationalen Straßengüterverkehr. Darüber hinaus spricht die 39-Jährige auch noch Russisch, was sich vor allem bei Informationsgesprächen mit Lkw-Fahrern auszahle, wie sie im Gespräch mit der DVZ erklärt. Denn hinter den Lenkrädern von vielen litauischen Lastwagen auf deutschen Straßen sitzen Ukrainer oder Belarussen.

Weil die Fahrleistung von ausländischen Lkw in der Bundesrepublik stetig steigt, haben Anna Weirich und ihre Kollegen auch alle Hände voll zu tun: „Wir bekommen unzählige Anfragen. Der Bedarf ist unendlich viel größer als das, was wir abdecken können.“ Und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Allein im vergangenen Jahr hat Faire Mobilität über alle Branchen hinweg 6.848 Fälle bearbeitet, die 9.357 Personen betrafen. Das entspricht einer Steigerung von mehr als 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon entfällt mehr als ein Viertel (1.771 Fälle) auf die Logistikbranche.

Fehlende Lohnzahlungen

Die Komplexität der Fälle variiere allerdings sehr stark. Manche Anfragen, wie nach Rentenansprüchen in Deutschland, lassen sich mit einer kurzen Recherche und zwei Telefonaten erledigen, berichtet Weirich. Andere wiederum würden wochenlange Aufmerksamkeit und Beratung bis hin zur Vorbereitung auf einen Rechtsstreit erfordern. Das gilt vor allem in Bezug auf ausbleibende Lohn- und Entgeltzahlungen. Hier seien die Berechnung und Prüfung der tatsächlichen Ansprüche des Fahrers äußerst kompliziert und teilweise nur schwer nachvollziehbar.

Anna Weirich spricht mit einem Lkw-Fahrer während einer Aktion der Fairen Mobilität auf einem Rastplatz.
Foto: Privat

Weirich berichtet von einem aktuellen Fall, bei dem ein Lkw-Fahrer bei einem rumänischen Transportunternehmen angestellt war, aber über die gesamte Zeit von ungefähr zehn Wochen im Auftrag einer deutschen Spedition für unterschiedliche Kunden gefahren ist. Dabei habe er außer nationalen Transporten auch grenzüberschreitende Touren übernommen. Vollständigen Lohn habe er nie erhalten. Stattdessen seien unregelmäßig nicht nachzuvollziehende Beträge gezahlt worden – ohne Lohnabrechnung oder Ähnliches.

Dabei ist der Fall nach Weirichs Auffassung sogar recht eindeutig: „Der Fahrer ist offensichtlich entsandt und hat daher Anspruch auf Mindestlohn in dem EU-Land, wo er seine Arbeitsleistung erbringt. Also entweder in Deutschland oder bei grenzüberschreitenden Verkehren im jeweiligen europäischen Ausland.“ Nach ersten Berechnungen betrug die geforderte Nachzahlung des Fahrers 2.500 Euro. Dabei wurde zunächst allerdings lediglich eine 40-Stunden-Woche zugrunde gelegt. Branchenkenner wissen jedoch, dass es selten bei einem 8-Stunden-Tag bleibt, sondern 12 bis 13 Stunden eher realistisch sind. Diese detaillierte Nachverfolgung mit Prüfung der Transportaufträge, Korrespondenzen und des Tachografen beansprucht eine Menge Zeit. „Wir empfehlen den Fahrern deshalb, die Daten ihrer Fahrerkarte selbst auszulesen und abzuspeichern, um etwas in der Hand zu haben, sollte es wie in dem zuvor beschriebenen Fall zu einer Generalunternehmerhaftung kommen.“

Bis zum Rechtsstreit

Wie es in so einem Fall weitergeht, hängt von diversen Faktoren ab. So werde eine Klage in den meisten Fällen nur dann eingereicht, wenn die Fahrer auch Gewerkschaftsmitglieder in Deutschland sind und darüber Rechtsschutz genießen. „Es gibt leider keinen gesamteuropäischen gewerkschaftlichen Rechtsschutz, sondern lediglich den Dachverband ETF, der aber selbst nicht auf nationaler Ebene tätig wird. Dementsprechend kann ein Fahrer, der beispielsweise Gewerkschaftsmitglied in Rumänien ist, nicht in Deutschland vom DGB-Rechtsschutz vertreten werden“, erklärt die Beraterin.

In den meisten Fällen führt der Weg dann zum Arbeitsgericht. Die erste Etappe ist ein Gütetermin, bei dem ein Vergleich ausgehandelt wird. Diese Kompromisszahlungen entsprechen allerdings oft nur einem Bruchteil der ursprünglichen Forderung. Nicht selten hat das Einreichen einer Klage aber auch zur Folge, dass Arbeitgeber oder Generalunternehmer sich zur Zahlung bereiterklären, noch bevor es zum Gütetermin kommt, um einen Präzedenzfall zu vermeiden. Es gebe noch dramatischere Erfahrungen. So habe sich kürzlich ein rumänisches Ehepaar an das Netzwerk gewandt; beide sind Berufskraftfahrer und fahren gemeinsam seit zwei Jahren für ein deutsches Unternehmen. Das Paar schilderte, dass sie sich vor ihrem Arbeitsantritt zwei Tage ohne Unterkunft, Informationen oder Bezahlung auf einem Parkplatz bereithalten sollten. Weiterhin habe ihnen das Unternehmen mitgeteilt, es würden nur Lenkzeiten bezahlt, aber keine Be- und Entladungen sowie andere Wartezeiten. „Das ist ein klarer Verstoß gegen das deutsche und europäische Arbeitsrecht. Es wird von ihnen erwartet, dass sie im Tachografen immer auf Pause drücken, wenn sie nicht fahren, und in ihrer Pause be- und entladen“, sagt Weirich.

Aufruf zur Täuschung

Außerdem habe der Auftraggeber das Paar ständig dazu gedrängt, falsche Tatsachen vorzutäuschen. Bei Transporten in Frankreich sollten sie beispielsweise ein Entsendeformular mitführen, auf dem stand, dass sie 12 Euro pro Stunde für den gesamten Zeitraum der Tour erhalten. Dieser Lohn sei aber nie gezahlt worden. Dasselbe Vorgehen sei auch in anderen EU-Ländern verlangt worden. Diese Arbeitsbedingungen hätten sich nach einigen Monaten auch negativ auf die Gesundheit ausgewirkt, berichtet Weirich: „Beide sind im Januar vor Erschöpfung und Überarbeitung zusammengebrochen.“ Alles, was das Paar fordere, sei, dass ihre Arbeitszeiten respektiert werden.

Nach Auffassung von Anna Weirich haben diese arbeitsrechtlichen Verstöße System. Dementsprechend gering ist auch ihre Hoffnung, dass sich durch das Lieferkettengesetz etwas ändern wird: „Die Regeln und Gesetze gibt es ja schon. Allerdings wird zu selten kontrolliert, ob diese auch eingehalten werden. Aktuell entsteht eher der Eindruck, dass Unternehmen jedes Schlupfloch nutzen, das sich ihnen bietet.“

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben