Wenn die KI das Lagerteam leitet

Künstliche Intelligenz kann jetzt mit uns sprechen wie ein Mensch – der Textautomat ChatGPT beweist es. Doch die nächste Generation von KI nimmt auch die Umwelt wahr. Ein eindrucksvoller Versuch zeigt, was dadurch möglich wird.

Untersucht den Einsatz von KI in Lagern: Capgemini-Expertin Oksana Budurova. (Foto: Gillies)

Die Anweisung der Maschine ist eindeutig: „Baue einen Legoturm mit sieben verschiedenfarbigen Teilen.“ Die Testperson geht zu Werk, und prompt lobt eine synthetische Frauenstimme „Gut gemacht“. Dann wird der Versuch verändert. Plötzlich überwacht ein anderes Computerprogramm die Arbeit, und das klingt weniger freundlich. Als die Testperson aus Versehen zwei gelbe Steine übereinanderstapelt, erklingt ein genervtes „Echt jetzt?“. Mit diesem – leicht augenzwinkernden – Versuch demonstriert das Beratungsunternehmen Capgemini auf der Messe transport logistic die Möglichkeiten, die sich durch sogenannte generative Künstliche Intelligenz (KI) ergeben. Diese neue Art von KI kann nicht nur Daten analysieren, sondern auch kreativ reagieren – wie ein Mensch eben.

Auf Wunsch reagiert der Algorithmus auch pampig

Der bekannteste Vertreter der neuen Generation ist der Textautomat ChatGPT. Jedes sechste Unternehmen plant bereits, ihn künftig einzusetzen, hat eine Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom ergeben. Bisher beschränkten sich die Fähigkeiten von ChatGPT auf Text. „Der nächste Schritt ist das Visuelle“, prognostiziert Daniela Rittmeier, Leiterin des „Data & AI Center of Excellence“ beim Beratungsunternehmen Capgemini, München. Sie hat den Versuch auf der transport logistic aufgesetzt: Während die Testperson Legosteine stapelt, schauen ihr intelligente Kameras auf die Finger und melden den Baufortschritt einem Dialogprogramm namens Phoenix. Und das reagiert, wie es auch ein menschlicher Kollege tun würde – mal freundlich, und mal ruppig.

Daniela Rittmeier, Leiterin des „Data & AI Center of Excellence“ beim Beratungsunternehmen Capgemini. (Foto: Gillies)

Die KI hört, wenn Insekten durchs Lager krabbeln

„Es gibt reichlich Anwendungen für generative KI in Transport und Logistik“, sagt Oksana Budurova, leitende Datenwissenschaftlerin bei Capgemini. Sie sieht Chancen zum Beispiel in Lagern und Distributionszentren. „Das Programm kann beim Picking unterstützen, bei defekter Ware warnen oder dabei helfen, neue Mitarbeiter einzuweisen“, so Budurova. Der nächste Schritt der KI-Evolution zeichnet sich laut den Capgemini-Expertinnen auch schon ab: die Verarbeitung akustischer Signale. Ein Algorithmus könnte zum Beispiel die Ohren spitzen und warnen, wenn er im Lager die Geräusche von Insekten vernimmt, oder den Lkw-Fahrer auf ein nahendes Martinshorn hinweisen.

Sollten KMU jetzt die Technik testen?

Wie könnte ein typischer Mittelständler diese Technologie heute schon nutzen? Expertin Rittmeier rät zunächst zu einer gründlichen Bestandsaufnahme: „Es geht darum, welche Daten in welcher Form vorliegen.“ Ein typischer Transportdienstleister könnte zum Beispiel die Informationen aus seinem Transport Management System in ein sogenanntes Sprachmodell wie ChatGPT einspeisen. So wäre die KI in der Lage, den Disponenten die beste oder nachhaltigste Route vorzuschlagen – und zwar nicht in der Form von kryptischen Daten, sondern als ganz normal gesprochene Sätze. 

Die KI ist nur Assistent – zunächst

Dass die kreativen Menschen den Kollegen aus Fleisch und Blut überflüssig macht, glaubt Rittmeier nicht. Sie verweist auf eine Prognose des Weltwirtschaftsforums, nach der in vier Jahren 42 Prozent aller geschäftsbezogenen Aufgaben von Maschinen erledigt werden. Heute sind es erst 34 Prozent. Kein dramatischer Schub also. „KI ist ein Assistent“, betont die Expertin, die zuvor bei BMW gearbeitet hat. Capgemini hat unlängst einem Unternehmen geholfen, im Kundendienst einen KI-Helfer einzuführen. Der Algorithmus wurde zunächst mit vergangenen Anfragen trainiert und schlägt dem Kundendienstler bei neuen Anfragen eine Antwort vor. Passt die Empfehlung nicht, kann sie der menschliche Mitarbeiter natürlich ablehnen. „Dann fließt der Fall in das weitere Training ein“, so Rittmeier.

Was ist, wenn die Maschine richtig danebenliegt?

Wer schon einmal mit dem Textautomaten ChatGPT gearbeitet hat, weiß, dass längst nicht alles, was er vorschlägt, Hand und Fuß hat. Anwender berichten davon, dass er manchmal regelrecht halluziniert. Das sollte jedoch kein Argument gegen die Technik sein, findet Expertin Rittmeier. Sie meint, an KI sollten die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an andere Infoquellen: „Woher weiß ich, dass die Google Suchergebnisse stimmen – oder die Person gegenüber?“

Der nächste Hype steht schon vor der Tür: die Rundum-Kümmerer

Derzeit elektrisiert gerade eine neue Art von KI die Experten: sogenannte Autonome Agenten. Sie können nicht nur Teilaufgaben erledigen, sondern stemmen auch komplexere Jobs. Angenommen der Nutzer sagt „Buche mir für die KW 30 einen Urlaub in Sizilien“, würde der Autonome Agent selbstständig eine To-do-Liste schreiben und sie Stück für Stück abarbeiten. Als Erstes würde er die bisherigen Urlaubsbuchungen analysieren, um den Geschmack des Nutzers herauszufinden. Dann würde die KI Flug, Mietwagen sowie Unterkünfte buchen – und im Notfall sogar beim Anbieter mit einer synthetischen Stimme anrufen. Am Schluss meldet der Agent „Urlaub gebucht“. „Dieser technologische Schritt braucht noch Zeit“, so Expertin Rittmeier. (cg/ben)

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