Umbruch im E-Commerce

Mit dem Global-Logistics-Konzept fokussiert Amazon noch stärker die See- und Luftfracht. Marktexperten zufolge wird der Onlineriese auch diesen Teilmarkt durcheinanderwirbeln.

Das vergangene Woche bekannt gewordene See- und Luftfrachtangebot von Amazon auf der gerade für europäische Händler, aber auch für hiesige Logistiker so wichtigen Tradelane Asien-Europa wird bei zahlreichen Marktakteuren erst einmal dazu geführt haben, dass ihnen die Luft weggeblieben ist. Das „Handelsblatt“ hatte als erstes Medium über den Service unter der Marke Amazon Global Logistics (AGL) berichtet und darauf verwiesen, dass die derzeitigen Frachtraten massiv unterboten würden. Es ist die Rede von etwa 7.000 US-Dollar pro FEU für die Verbindung Ningbo–Rotter- dam, während der Spotpreis derzeit bei etwa 14.000 Dollar liege. Diese Werte werden beispielsweise auch auf der Plattform Sellerforum.de genannt.

Eine echte Überraschung ist es aus Sicht von Branchenkennern, die die DVZ befragt hat, indes nicht. „Es war zu erwarten“, sagt beispielsweise Andreas Janetzko, Geschäftsführer der Kölner Spedition MBS Logistics. Er spricht davon, dass es eine logische strategische Weiterentwicklung des Amazon-Angebots sei. Der E-Commerce-Gigant kann die so wichtigen Dritthändler auf seiner Plattform so noch enger an sich binden, nachdem das Unternehmen bekanntermaßen auch schon auf der letzten Meile eigene Kapazitäten und mit seinen Fulfillment-Zentren echte Drehscheiben installiert hat, welche die Basis für das Angebot Fulfillment by Amazon (FBA) sind.

Der logische nächste Schritt

Amazon sei grundsätzlich stark effizienzgetrieben, sagt Prof. Christian Kille, Logistikexperte von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Wenn eine Lücke bei den eigenen Transporten auffalle, suche der Konzern nach Wegen, diese zu füllen. Dies sei auch in diesem Fall geschehen. Hinzu komme, dass Amazon im Zuge von AGL seinen Marktplatz-Kunden einen Mehrwert biete, indem es ihnen Frachtkapazitäten anbieten könne, ohne dabei selbst einen Nachteil zu haben. Faktisch also eine Win-win-Situation für die Amerikaner.

Amazon hat seine logistische Leistungspalette in den vergangenen Jahren konsequent ausgebaut und dabei auch schon die Grundlagen für die Global-Logistics-Offerte gelegt. So wurde schon vor einigen Jahren eine Lizenz als NVOCC erworben, die zumindest im US-Verkehr notwendig ist. Die globalen Logistikambitionen wurden bereits 2016 unter dem Projektnamen „Dragon Boat“ bekannt. Insofern kann AGL auch als das fertige Produkt dahinter gesehen werden.

Der nun publik gewordene Vorstoß erscheint perfekt getimt. Schließlich leiden viele der kleinen Händler auf der Amazon-Plattform unter dem allgemeinen Frachtraummangel und den hohen Transportpreisen. Experte Kille zufolge kann Amazon so günstig anbieten, weil der Onlineriese nicht darauf angewiesen sei, im reinen Transportgeschäft entsprechende Margen zu verdienen. Kille: „Die werden woanders erzielt.“ Mit dem neuen Angebot mache Amazon indes zusätzlichen Umsatz durch externe Marktplatz-Unternehmen. Verlierer seien hingegen in dem Geschäft tätige Spediteure, vermutet er, da sie zusätzlich unter Preisdruck kämen.

Aus Sicht von Steffen Wagner, Logistikexperte bei KPMG, dürfte sich vor allem für die mittelgroßen See- und Luftfrachtspediteure das Wettbewerbsumfeld verschärfen. Denn: Die von Amazon angesprochene Klientel dürfte bisher überwiegend mit diesen Spediteuren zusammenarbeiten. Würden nun die kleinen und mittelgroßen Verlader Transporte direkt über Amazon buchen, würde mittelständischen Speditionen Kerngeschäft verloren gehen.

Der Trend im Forwarding-Bereich gehe ohnehin schon seit einiger Zeit in Richtung Größe und Einkaufsmacht, verweist Wagner beispielsweise auf den Rückzug Fieges aus dem Segment oder den Verkauf der Luftfrachtspedition Senator an Maersk. „Das wird sich weiter beschleunigen, wenn nun Amazon auch in diesem Segment am Markt auftritt“, prognostiziert er.

Das Angebot: Alles aus der Hand von Amazon

Amazon Global Logistics (AGL) richtet sich an die Teilnehmer des Services Fulfillment by Amazon, also an all jene Händler auf der Plattform, die auch weitere Logistikdienstleistungen des Konzerns in Anspruch nehmen. Neben Luftfracht und Standard-Seefracht für FCL- und LCL-Sendungen bietet der Konzern dabei auch einen Express-Seefrachtservice. Die Kunden können Waren aus Asien in die USA, Europa (Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien), Japan und UK versenden.

Für einen Vollcontainer gibt Amazon die Transportzeit beispielsweise von Yantian nach Deutschland mit 39 Tagen an. Für Teilpartien wird mit 42 Tagen kalkuliert. Luftfracht ist demnach generell 7 Tage unterwegs.

Interessanterweise listet Amazon selbst auf einer Webseite auch ein sogenanntes Service-Provider-Netzwerk auf. Dies ist ein Verzeichnis von Dienstleistungen, die von Dritten angeboten werden. Darunter befinden sich auch zahlreiche Speditionen.

Gänzlich neu scheint das Angebot nicht zu sein. Schon 2017 berichtete das „Wall Street Journal“, dass Amazon Seefrachten für chinesische Marktplatz-Händler auf dem Transpazifik organisiere. Nun ist der Onlineriese aber offenbar den nächsten Schritt gegangen und vermarktet auch die wichtige Tradelane Asien–Europa offensiver.

Der Amazon Marketplace ist für viele Onlinehändler ein extrem wichtiger Verkaufskanal – gerade in Deutschland. Einer Erhebung aus 2020 zufolge haben sogar 35 Prozent der Top-500-Onlinehändler diesen Kanal genutzt. Zum Vergleich: In den USA waren es „nur“ 26 Prozent. Zugleich sind diese „Third Party Seller“ aber auch für Amazon sehr wichtig. Stand drittes Quartal 2021 stammte gut jede zweite über die Amazon-Plattform verkaufte Ware nicht von Amazon selbst.

Für die Luft- und Seefrachtcarrier indes werde der Onlinehändler zu einem weiteren Großkunden, der die Aufträge seiner Kunden bündelt – „ähnlich wie es die großen digitalen Speditionen als Schnittstelle zwischen Verlader und Carrier schon tun“. So verschiebe sich kleinteiligeres Geschäft zu Großaufträgen und Spot- zu Kontraktladung, glaubt Wagner. Das sei zwar tendenziell niedrigpreisiger, erhöhe für die Carrier aber Stabilität und Planbarkeit.

Hans J. Willam, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens Worldwide Consultants in Logistics (WCL), sieht das ganz ähnlich, glaubt aber, dass nicht nur Spediteure negativ betroffen sind. Er geht davon aus, dass einige Marktplatz-Händler mittlerweile so groß sind, dass sie als BCOs direkte Frachtkontrakte mit Reedereien haben. Sollte Amazon Global Logistics für diese Verlader attraktiv genug sein, müssten somit auch einige Carrier um bisher direkt kontrahierte Volumen fürchten.

Und wie sieht es die E-Commerce-Konkurrenz? Beim Hamburger Versandhändler Otto sieht man Amazons erweitertes Logistikangebot gelassen. Es sei konsequent, die Wertschöpfungsketten zusammenzuführen. Aber: „Wir werden jetzt sicher nicht ins Speditionsgeschäft einsteigen“, kommentiert Sebastian Klauke, Konzernvorstand E-Commerce, Technologie, Business Intelligence und Corporate Ventures. Durch das Angebot von Amazon ändere sich die Wettbewerbssituation zur Otto Group nicht.

Wer profitiert am meisten?

Experte Christian Kille kann an dem neuen Angebot auch etwas Positives für den E-Commerce-Markt ausmachen. Wenn gerade die kleineren auf Amazon Marketplace tätigen Händler künftig zu niedrigeren Preisen ihre Waren versenden könnten, sei das für sie eine gute Möglichkeit der Internationalisierung, ohne Bestände in anderen L ändern aufbauen zu müssen. Perspektivisch könne damit der interkontinentale E- Commerce stark wachsen, meint Kille.

Dass Amazon so altruistisch veranlagt ist, darf indes bezweifelt werden. KPMG-Experte Steffen Wagner sieht denn auch vor allem weiteres Potenzial für Amazon: Es sei zwar noch ein großer Schritt zu den großen See- und Luftfrachtspediteuren, aber auf der letzten Meile hätte der Onlinehändler in den USA schon zu den großen Anbietern aufgeschlossen, und auch in Deutschland habe er seinen Marktanteil zuletzt deutlich erhöht. Übertragen auf die Hauptläufe sei eine solche Entwicklung ebenfalls denkbar, lautet seine Schlussfolgerung. Dass Amazon mit seinem Global-Logistics-Angebot noch längst nicht alles ausgereizt hat, zeigt der Blick auf die zentrale Programm-Webseite. So solle künftig auch der Versand aus Indien, Vietnam und Thailand möglich sein, ist dort zu lesen.

Mitarbeit: Robert Kümmerlen und Lutz Lauenroth

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