So können sich Logistiker auf den Abschwung vorbereiten

Der Boom ist vorbei, es droht eine schwächere Phase. Für Logistiker ein guter Zeitpunkt, sich strategisch für die Zukunft aufzustellen, finden zwei Experten der Unternehmensberatung Bain. In einem Gastbeitrag skizzieren sie mögliche Handlungsfelder.

Die Automatisierung beispielsweise im Lager erhöhen die Produktivität und können eine Antwort auf fehlende Arbeitskräfte sein. (Foto: iStock)

Seit beinahe zwei Jahren erleben Logistikunternehmen goldene Zeiten. Die grundsätzlich eher margenschwache Branche erreicht bei den Gewinnen teils ebenso historische Rekordmarken wie die großen Containerreedereien. Jedoch hat der Boom des Logistikmarktes seine Höchststände überschritten. Die Branche gerät wie so viele andere auch in rauere See. Aktuelle Indikatoren zeigen, dass die Kapazitätsengpässe im Logistiksektor abnehmen und Transportraten deutlich zurückgehen. Der Markt hat gedreht.

Die Kapitalmärkte reagieren auf die Veränderungen der Großwetterlage. Börsennotierte deutsche und europäische Konzerne der Branche haben im Laufe des Jahres erhebliche Teile ihrer zuvor zusätzlich gewonnenen Marktkapitalisierung wieder abgegeben. Die Sonderkonjunktur der Logistikaktien nähert sich offenbar ihrem Ende.

Vor allem werfen die düsteren Konjunkturerwartungen mit weltweit geringeren Transportmengen ihre Schatten voraus. 2022 war zwar nochmals ein außergewöhnlich gutes Jahr für das Gros der Logistiker, doch bereits im vierten Quartal zeichneten sich in der Breite erste Bremsspuren ab. 2023 wird sich dann eine generelle Normalisierung des Geschäfts einstellen. 2024 erwartet die Unternehmensberatung Bain, dass sich Wachstumsraten und Umsatzrenditen im Rahmen des Vorkrisenniveaus einpendeln werden.

Nach zwei finanziell sehr erfolgreichen Jahren wäre jetzt für Transport- und Logistikunternehmen der richtige Zeitpunkt, sich strategisch auf die anstehenden Anpassungen von Markt, Umsatz und Ergebnis vorzubereiten und die Weichen entsprechend zu stellen. Mit gut gefüllten Kassen sollten die Firmen Schwerpunkte definieren, um die anstehende schwächere Phase zu gestalten und aus einer Position der Stärke heraus zentrale Herausforderungen anzugehen.

Automatisierung und Digitalisierung

Trotz der prognostizierten konjunkturellen Abkühlung im angelaufenen Jahr werden der Logistikbranche Kräfte für operative Tätigkeiten im Lager und bei Fahrern fehlen. Auch mittelfristig ist keine Entspannung in Sicht. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass es schwierig bleiben wird, Fahrer und Arbeitskräfte in ausreichendem Maße zu rekrutieren. Um Lücken zu schließen und die Produktivität zu steigern, sind Automatisierungslösungen eine Option.

Ein Beispiel sind fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF). Diese können gut in bestehende Lagerverfahren integriert werden. Die größten Vorteile dieser Systeme sind ihre hohen Umschlagmengen und geringen Ausfallraten. Eine weitere Lösung sind automatisierte Lager- und Abrufsysteme (AS/RS-Systeme). Diese Automatisierungstechnologie lässt sich flexibel innerhalb skalierbarer Flächen implementieren und trägt zu einer optimalen Lagerdichte bei. Auch durch die Installation von Grid-Systemen können höhere Effizienzen und eine stärkere Produktivität erzielt werden. Diese auf einem Gittersystem beruhende Robotiklösung lässt sich bereits auf relativ kleinen Flächen effektiv einsetzen.

Als Benchmark-Unternehmen im Bereich der Automatisierung von Arbeitsabläufen gelten unter anderem Lufthansa, Migros und Amazon. Nach zahlreichen Automatisierungsinitiativen will Amazon nach eigenen Angaben künftig die Effizienz der Lagerlogistik vor allem mit Hilfe von Robotertechnik weiter steigern. Auch eine „Automatisierung light“ bietet Chancen, etwa indem die körperlich harte Arbeit in Lagern und Umschlaghallen von Exoskeletten unterstützt wird. Roboter und Software entlasten hierbei Menschen bei ihrer Arbeit.

Der Digitalisierungsgrad vieler Logistikunternehmen ist ausbaufähig, obwohl in den vergangenen Jahren einige Anstrengungen unternommen wurden. Der Abstand des Logistiksektors bei der Digitalisierung ist im Vergleich zu anderen Industriezweigen weiterhin enorm. Eine beschleunigte Digitalisierung in allen Unternehmensbereichen gehört auf die strategische Agenda. Digitale Speditionen wie beispielsweise Sennder, Instafreight oder Forto Logistics zählen hier häufig zu den Vorreitern. Diese haben einen Großteil ihrer kundenbezogenen Prozesse wie die Abwicklung von Anfragen und die Generierung von Angeboten auf eine digitale Plattform gezogen. Das spart Personal und steigert die Effizienz. Im Kundenservice arbeiten Sprachroboter (RPA) automatisiert Gespräche ab.

Für den Transportsektor empfiehlt es sich, das Netz mit modernen Netzwerk- und Tourenplanungen noch stärker zu trimmen, um beispielsweise Leerfahren zu vermeiden. Außerdem können die Fahrzeugumläufe über intelligente digitale Planungen so gestaltet werden, dass die Fahrer möglichst häufig an ihre Wohnorte zurückkehren. Dies trägt dazu bei, dass diese aufgrund einer besseren Work-Life-Balance in geringerem Maße in andere Berufe abwandern. Logistik- und Fuhrunternehmen tun grundsätzlich gut daran, die Attraktivität des Fahrerberufs zu erhöhen.

Verbessertes Personalmanagement

Eine zweite Handlungsoption gegen den Personalmangel ist eine bessere Human-Resources-Strategie, insbesondere für die ausgetrockneten Führungs- und Fachkräftemärkte. Viele Logistikunternehmen gestalten ihr Personalmanagement noch nicht hinreichend professionell, um ihre Unternehmen widerstandsfähiger gegen Personalengpässe zu machen.

So müssen kritische Rollen frühzeitig identifiziert und langfristig abgesichert werden. Mit der Digitalisierung und Automatisierung beispielsweise entstehen neue Aufgaben. Hier gilt es, rechtzeitig moderne Anforderungsprofile zu erstellen, um systematisch intern und extern geeignetes Personal zu rekrutieren und weiterzubilden.

Zusätzlich wird es wichtiger, eine starken Employer Brand aufzubauen. Die jüngeren Generationen legen großen Wert auf den Ruf von potenziellen Arbeitgebern. Logistikunternehmen sollten ihre Unternehmenswerte und -ziele deshalb klar definieren und sichtbar leben – dazu zählen auch Ansätze für mehr Diversität und Inklusion.

Darüber hinaus haben sich die Bedürfnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern seit der Pandemie verändert. Neue Wünsche wie flexible Arbeitszeiten und bessere Gesundheitsabsicherungen müssen von Unternehmen ernst genommen und adressiert werden.

Erhöhung der Resilienz der Lieferketten

Die Auswirkungen der Pandemie und geopolitischer Ereignisse wie dem Ukraine-Krieg mit eklatanten Lieferkettenengpässen haben Industrie und Handel veranlasst, sich auf künftige Krisen intensiv vorzubereiten. Das Supply Chain Management steht auf dem Prüfstand. Viele Firmen sind bereits dabei, Lieferkettenstrukturen und Produktionsnetze neu zu justieren.

Um ihre Lieferketten resilienter aufzustellen, wird das Konzept des Nearshorings zu weltweiten Verschiebungen des Transportvolumens führen. Die Volumina globaler Transportketten werden relativ zurückgehen, und stattdessen nehmen Cross-Border- und Domestic-Transporte zu. Ebenso wie bei den Lieferantenstrukturen planen Supply Chain Manager mittlerweile, ganze Produktionsstandorte wieder näher an die Absatzmärkte zu bringen, um weniger anfällig gegen Störungen im Produktions- und Transportnetz zu sein. Auch das Thema Lagerhaltung definieren Handel und Industrie oft neu.

Für den Transport- und Logistiksektor bedeuten diese Transformationen umfangreiche Veränderungen. Die Unternehmen müssen die eigenen Kunden- und Netzwerkstrukturen systematisch überprüfen und im Rahmen von Szenarioplanungen verschiedene Optionen durchspielen. Damit können geeignete Alternativen frühzeitig erkannt und eine Anpassung der eigenen Strukturen und Assets systematisch umgesetzt werden. Ineffiziente Leerkapazitäten werden so weitgehend vermieden, neue Kapazitäten andernorts aufgebaut. Die Transformationen auf Kundenseite bedingen in jedem Fall ein deutlich höheres Maß an Managementaufgaben bei den Logistikern und Transporteuren.

Enge Kundenbeziehungen weiter ausbauen

Kundenbeziehungen rücken dabei noch stärker in den Mittelpunkt. Diese sollten nicht auf kurzfristige Optimierung, sondern eher auf langfristige partnerschaftliche Zusammenarbeit ausgelegt werden. Logistikunternehmen, die ihre Wertschöpfungskette systematisch auf ausgewählte Industrien und Kunden ausrichten und gemeinsam mit ihren Partnern Wertsteigerungspotenziale identifizieren und heben, gelingt es besser, auch in abflauenden Märkten überdurchschnittliche Renditen zu erzielen.

Im Rahmen derartiger Partnerschafts- oder sogenannter Gain-Sharing-Programme wird die Wertschöpfungskette zunächst gemeinsam analysiert. Anschließend werden Potenzialfelder herausgearbeitet, die es dem Logistiker aufgrund struktureller Voraussetzungen ermöglichen, die Leistungen im Rahmen der erforderlichen Kundenspezifikationen effizienter zu erbringen. Beispiele hierfür sind Zulassungen und Genehmigungen für das Handling spezieller Gefahrgüter, spezifisches Prozess-Know-how, selbst entwickelte IT-Lösungen, komplementäre Geschäfte mit entsprechenden Synergien etwa in Form von Anschlussladungen oder saisonal gegenläufige Geschäfte im Warehousing.

Größere Verlader haben die Chancen enger Partnerschaften erkannt und vergeben Transporte nicht mehr auf einzelnen Relationen, sondern schreiben stattdessen strategisch ganze Korridore aus. Innerhalb dieser Korridore erbringt dann der Transporteur die Leistungen nahezu exklusiv. Die Vorteile für die Transportunternehmen: ein besser planbares Geschäft, ein optimierter Einsatz der Fahrzeuge sowie ein reduzierter Aufwand im Vertrieb und im Kundenservice. Bei den Verladern schlagen geringere Frachtraten zu Buche sowie Versorgungssicherheit durch garantierte Kapazitäten und Budgetsicherheit.

Nachhaltigkeit ist ein Muss

Trotz Inflation, Ukraine-Krieg und Rezessionsängsten: Viele Verlader setzen sich derzeit anspruchsvolle Nachhaltigkeitsziele. In ihrer CO2-Gesamtbilanz kalkulieren Industrieunternehmen auch den Anteil ihrer Logistikpartner mit ein. Wer als Logistiker langfristig im Geschäft bleiben möchte, muss sich mit den Zielkriterien seiner Kunden auseinandersetzen und seine CO2-Bilanz entsprechend nachhaltig gestalten.Für Logistikunternehmen ist es höchste Zeit, die detailscharfe Berechnung des derzeitigen CO2-Fußabdrucks über alle Leistungsprozesse hinweg zu erstellen. Gleichzeitig sollte das Ambitionslevel, um welches die CO2-Belastung in Zukunft reduziert werden soll, festgelegt werden. Ein Aktionsplan, der geeignete Maßnahmen darstellt, um den Zielwert zu erreichen, ist innerhalb einer Nachhaltigkeitsstrategie ebenfalls notwendig.

Zentrale Maßnahmen für Transporteure und Logistiker können sein: die mittelfristige Umstellung der Flotte auf batteriebetriebene Aggregate, die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, die vermehrte Nutzung klimaschonender Verkehrsträger, der Einsatz künstlicher Intelligenz für die Reduzierung von Leerkilometern oder auch die Umstellung auf LED-Licht in Lagern und Umschlaghallen.

M&A-Transaktionen vorbereiten

Derzeit sind die Kassen vieler Logistikunternehmen voll, die Preise für Übernahmen aber noch zu hoch. Dennoch ist jetzt der richtige Moment für Überlegungen, das Leistungsportfolio auch über Transaktionen zu arrondieren. Die große Welle von M&A-Transaktionen in der Logistikbranche flacht seit Mitte vergangenen Jahres ab.

Bei den meisten Transaktionen lag die Stärkung der eigenen Lieferketten im Fokus – die ersten Lehren der von der Pandemie geprägten Jahre. In Südostasien wächst die Gesamtgröße der Transaktionen seit 2018 kontinuierlich. Eine weitere Auffälligkeit ist der große Transaktionsumfang in Afrika im Jahr 2021. Dies ist ein Fingerzeig für die Zukunft: Deutsche Unternehmen sollten diese Wachstumsmärkte, die zur eigenen Diversifizierung beitragen könnten, nicht aus den Augen verlieren.

Künftige Übernahmen innerhalb des Transport- und Logistiksektors werden von der Erweiterung des eigenen Dienstleistungsportfolios und der digitalen Transformation geprägt sein. Weitere Treiber für bevorstehende M&A-Transaktionen sind die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit sowie die Diversifizierung und Kontrolle entlang der Lieferketten.

Unternehmen, die abwartend und bedacht ihre Transaktionsentscheidungen treffen, werden die Zeit des Abschwungs für sich nutzen, um das Unternehmen auf die Phase des weiteren Wachstums vorzubereiten. (la)

Thomas Kwasniok ist Partner bei Bain & Company und Mitglied der Praxisgruppe Industriegüter und -dienstleistungen.

Jens Kilimann ist Expert Partner bei Bain & Company in Berlin mit Fokus auf Leistungsverbesserung speziell in den Branchen Einzelhandel, Konsumgüter und Logistik.

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