Geopolitik schafft neue Spielregeln auch für die Logistik

Ist die Geopolitik ein Gamechanger für das Supply Chain Management? Diese Frage stand am Donnerstag im Mittelpunkt einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion beim Deutschen Logistik-Kongress in Berlin. Die Antwort fällt eindeutig aus. Von einer Kehrtwende kann aber keine Rede sein.

Burkhard Eling, der Chef des Dienstleisters Dachser, beim Deutschen Logistik-Kongress in Berlin. (Foto: Dierk Kruse)

Ist die Geopolitik ein Gamechanger für das Supply Chain Management? Diese Frage stand zum Abschluss des zweiten Kongresstages im Mittelpunkt einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion. Vom Ukraine-Krieg direkt betroffen war der Landmaschinenhersteller Claas, dessen Geschäft an der Welternährung und der sechswöchigen Erntesaison hängt. „Für uns ist die Welt zu Beginn des Krieges aus den Fugen geraten“, sagte CEO Thomas Böck, auch weil das Unternehmen Gussteile aus der Ukraine bezogen hatte. Die Maschinen des Herstellers müssen eigentlich auf den Punkt geliefert werden. „Das hat uns extrem unter Druck gesetzt, weil Lieferketten gerissen waren.“ Nachdem die Ernte nun aber vorbei ist, könne er zumindest sagen: „Es hat uns alles nicht geschadet.“

Für den Energiesektor ist die Antwort auf die zentrale Frage der Diskussionsrunde eindeutig: „Klar ist Geopolitik der Gamechanger“, stellte Kirsten Westphal, Executive Director bei der H2Global Stiftung, fest. Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Initiative soll die Lieferketten für Wasserstoffderivate in Gang bringen. In Sachen Energieversorgung bereite vor allem der Winter im nächsten Jahr großes Kopfzerbrechen, sagte die Expertin. Denn wenn die Gasspeicher über diesen Winter leer laufen sollten, werde es im kommenden Jahr schwieriger als dieses Jahr, sie wieder zu füllen.

„Wir haben nicht nur eine Versorgungskrise, sondern eine Versorgerkrise“, beschrieb Westphal die aktuell dramatische Lage im deutschen Energiesektor. Die Frage sei nun, mit welchen Ländern und Unternehmen Deutschland stabile Partnerschaften auf die Beine stellen könne, „so dass wir dekarbonisieren können, und zwar möglichst so kostengünstig, damit die Industrie gehalten werden kann“, fügte Westphal hinzu. Thomas Heck von Pricewaterhouse Coopers sieht durchaus die Gefahr, dass einige Mittelständler in Deutschland demnächst in die Insolvenz schlittern könnten. „Deshalb muss jetzt schnell das Preisproblem bei der Energie in den Griff bekommen werden.“

Heck ist Leiter der China Business Group bei dem Beratungsunternehmen. Mit Blick auf das Reich der Mitte sagte er: „China ist schon lange im Blickfeld als Wettbewerber. Das hat sich nun noch einmal verstärkt. In Deutschland und Europa müssen wir überlegen, inwieweit es einseitige Abhängigkeiten gibt, die reduziert werden müssen.“ Auch Unternehmen müssten hier ihre Lage analysieren und offen darüber sprechen. Er selbst würde nicht von Decoupling reden. Aber in bestimmten Bereichen müssten alternative Beschaffungsländer gesucht werden. Und dies gar nicht unbedingt aus geopolitischen Gründen. „Es hat sich in den vergangenen Jahren einfach gezeigt, dass die Lieferketten grundsätzlich sehr anfällig sind.“ Es gehe also schlichtweg darum, die Supply Chains resilienter zu machen. Dieses Resilienz-Thema gebe es derzeit überall in den Unternehmen, sagte Heck.

Auch Claas-Chef Böck beobachtet, dass Lieferketten weiterentwickelt werden. Dabei bringt zudem das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Unternehmen wie den Landmaschinenhersteller dazu, Lieferant für Lieferant in der Beschaffung genau zu analysieren. Ab 2023 tritt das Gesetz zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Kraft – das betrifft rund 900 Unternehmen in Deutschland. Zusätzlich zwingt die Energiekrise Claas, Lieferketten neu zu organisieren, weil Komponentenzulieferer mit energieintensiver Produktion nicht mehr den Bedarf entsprechender Kapazitäten aufbauten, sagte Böck weiter.

„Unsere Kunden sind massiv gefordert, ihre Sourcing-Strukturen zu ändern”, berichtete Burkhard Eling, der Chef des Logistikdienstleisters Dachser. Es gehe unter anderem darum, sich regional neu aufzustellen und die Lagerhaltung zu erhöhen. Letztlich verteuere sich alles, weil der Aufwand für die Logistik steige. „Von Just in Time werden wir so schnell nichts mehr hören“, ist der CEO überzeugt. Das alles sei aber nicht das Ende der Globalisierung. „Es wird immer ein Sourcing rund um die Welt geben. Aber die Rahmenbedingungen, um das Ganze sicherzustellen, sind sehr viel komplexer und komplizierter geworden.“ Sein Unternehmen richte das Geschäft weiterhin klar am globalen Handel und an globalen Lieferketten aus.

Die Krisen hätten die Logistik bei den Kunden deutlich in den Vordergrund gerückt: „Während Logistik früher eine Selbstverständlichkeit war, ist sie heute ein entscheidender Erfolgsfaktor“, sagte Eling in Berlin.

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