Beziehungen mit Osteuropa ordnen sich neu

Der Handel mit Russland ist massiv eingebrochen. Aus heutiger Sicht werde es „auf absehbare Zeit keine normalen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland mehr geben“, sagt Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms. Demgegenüber kletterte der Handel mit Mittel- und Osteuropa auf einen neuen Höchststand.

Aus heutiger Sicht werde es „auf absehbare Zeit keine normalen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland mehr geben“, sagt Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms. (Foto: Imago/Christian Spicker)

Der Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor einem Jahr war eine Zäsur für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die Sicherheitsarchitektur in Europa muss neu konstruiert werden, und die Wirtschaftsbeziehungen mit Osteuropa ordnen sich neu. Eine schnelle Entflechtung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen hat begonnen, die sich nach Einschätzung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft in diesem Jahr fortsetzen wird.

„Die Exporte nach Russland verringerten sich 2022 um 45 Prozent und sind damit statistisch um 20 Jahre zurückgeworfen worden“, berichtet Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses anlässlich der Frühjahrspressekonferenz des Verbandes in Berlin. „Die drastischen Einbußen konnten aber durch zweistellige Exportsteigerungen in andere Märkte mehr als wettgemacht werden.“ Aus heutiger Sicht werde es „auf absehbare Zeit keine normalen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland mehr geben“, sagt Harms. Dies sei erst dann denkbar, wenn in Moskau eine grundsätzlich andere Regierung an der Macht sei.

Viele Unternehmen wickeln Geschäft ab

Die schnelle Entkoppelung von Russland ist nach Einschätzung des Ost-Ausschusses nur zum Teil auf die EU-Sanktionspakete zurückzuführen. „Die Mehrheit der deutschen Unternehmen mit Geschäft in Russland tut wesentlich mehr, als es die Sanktionen verlangen“, sagt Harms. Viele hätten ihre Geschäftstätigkeit eingestellt oder seien dabei, ihr Russland-Geschäft komplett abzuwickeln. Nur in Branchen, die ausdrücklich von EU-Sanktionen ausgenommen seien, wie dem Gesundheits- und Agrarsektor finde noch mehr oder weniger normales Geschäft statt.

Der deutsche Handel mit Mittel- und Osteuropa kletterte 2022 auf einen neuen Höchststand von 562 Milliarden Euro. Die 29 Länder Mittel- und Osteuropas trugen damit weiterhin gut 18 Prozent zum gesamten deutschen Außenhandel bei, erneut mehr als China und die USA zusammen. Der wichtigste osteuropäische Handelspartner für Deutschland ist Polen, gefolgt von Tschechien und Ungarn.

Dass die Umstellung der Wirtschaftsbeziehungen ohne Rezession gelungen ist, sei laut Harms einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu verdanken. Russland hingegen rutsche in eine langanhaltende Krise, es sei mit einer „Primitivierung der Wirtschaft“ zu rechnen.

EU und Ukraine nähern sich an

Eine gute Botschaft und Perspektive ist zudem, dass sich die Ukraine und die EU politisch annähern. Das ist für die Unternehmen wichtig, die trotz des russischen Angriffs weiterhin in der Ukraine tätig sind. Diese halten nun mit teils großen Anstrengungen die Lieferketten aufrecht. Die Logistik ist teurer und schwieriger geworden, Transporte dauern länger. Hinzu kommen weitere Probleme hinsichtlich der Energieversorgung, Personalverfügbarkeit und Versicherung. Harms hat auch dafür klare Worte: „Es ist eine Kraftanstrengung, die wir sehr wertschätzen.“ Darüber hinaus gewinnen andere Regionen wirtschaftlich für den Westen an Bedeutung, wie Südosteuropa, der Südkaukasus und Zentralasien. Die Regionen spielen beispielsweise als Near-Shoring-Standorte oder Rohstoffquellen für die Energiewende eine wichtige Rolle.

„Der Handel mit der Ukraine ist mit minus sieben Prozent 2022 weniger stark eingebrochen, als dies angesichts der dramatischen Lage zu erwarten gewesen wäre, und befindet sich seit dem Spätherbst sogar auf Erholungskurs“, sagt Harms. Die deutschen Unternehmen im Land hätten die Produktion wo immer möglich aufrechterhalten oder schnell wiederhergestellt. Die deutsche Wirtschaft engagiere sich zudem intensiv für die schnelle Reparatur zerstörter Infrastruktur und den langfristigen Wiederaufbau des Landes.

Handel mit GUS-Staaten legt zu

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden 2022 in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS ohne Russland) Waren im Wert von 7,7 Milliarden Euro aus Deutschland exportiert und Waren im Wert von 9,6 Milliarden Euro von dort importiert. Damit stiegen die Exporte in die GUS-Staaten gegenüber dem Vorjahr um 62,7 Prozent und die Importe aus den GUS-Staaten nach Deutschland um 71,0 Prozent. 

Die meisten deutschen Warenexporte in die GUS-Staaten gingen im Jahr 2022 nach Kasachstan (2,8 Milliarden Euro). Die Exporte nach Kasachstan waren damit fast doppelt so hoch wie im Vorjahr (+94,9 Prozent). In der Rangfolge der wichtigsten Empfängerländer deutscher Waren stieg Kasachstan von Rang 62 im Jahr 2021 auf Rang 52 im Jahr 2022. Auch bei den Importen kamen die meisten Waren der GUS-Staaten aus Kasachstan. Die Importe von dort stiegen im Jahr 2022 um 87,6 Prozent auf 6,9 Milliarden Euro. Wichtigste Importgüter aus Kasachstan waren Erdöl und Erdgas im Wert von 6,1 Milliarden Euro (+81,1 Prozent zum Vorjahr).

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