Sag mir, wo die Fahrer sind...

Vieles in der Logistik wird digitalisiert. Lkw aber werden auf absehbare Zeit noch von Menschen gesteuert. Was können Logistiker tun, damit die Arbeit im Nutzfahrzeug-Cockpit wieder attraktiver wird?

Um Menschen für den Beruf des Lkw-Fahrers zu begeistern, müssen sich Fuhrunternehmer einiges einfallen lassen. (Foto: Daniel Jędzura/Adobe.Stock.com)

Wer in Deutschland beruflich Lkw fährt, hat sich vielleicht einmal bewusst dafür entschieden, doch langfristig überzeugt der Job oft nicht. Heute sitzen vor allem diejenigen im Fahrerhaus, die nur schwerlich eine andere Arbeit finden – oder dies zumindest glauben. Oder sie kommen aus Ländern Süd- oder Osteuropas, in denen ihr Einkommen mehr Wert ist als hierzulande.

Was Berufskraftfahrer/innen im Monat verdienen, ist sehr unterschiedlich. Bescheiden ist dies vor allem angesichts der Arbeitsbedingungen: Wenig Freizeit, harte körperliche Arbeit und ein indiskutabler Umgangston an den Rampen gehören dazu. Der Berufskraftfahrer gehörte vor der Coronakrise zu den zehn am schwierigsten zu besetzenden Stellen, wie die Studie „Fachkräftemangel 2019“ des Personaldienstleisters Manpowergroup ergab. Im selben Jahr warnte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL): „Wir stehen in Deutschland und Europa vor dem Versorgungskollaps, denn wir finden keine Fahrer mehr.“ Doch gilt das auch noch während oder gar nach der Coronakrise? Hat sich der Bedarf an Lkw-Fahrern oder das Image des Berufs verändert?

Bedeutung der Fahrer verkannt

Die Logistiker waren von den Auswirkungen der Coronapandemie selbst massiv betroffen, aber auf ganz unterschiedliche Weise: Einerseits haben die Lockdowns Teile der Wirtschaft wie Gastronomie, Einzelhandel und Eventbranche lahmgelegt. Andererseits boomten bestimmte Bereiche, etwa Healthcare oder Drogerie- und Freizeitartikel. Grundsätzlich hat sich die Wahrnehmung der Leistungen in der Öffentlichkeit deutlich verbessert. Eigentlich hätten Berufskraftfahrer/innen damit ebenfalls in den Fokus rücken müssen. Sie haben nicht nur die Grundversorgung sowie den Onlinehandel jederzeit sichergestellt, sondern auch lebenswichtige Güter in extremen Mengen transportiert – vom Mund-Nasen-Schutz bis zum Impfstoff. Doch auch diesmal haben die Fahrer/innen kaum Anerkennung in der Öffentlichkeit erhalten.

Zudem hat die Coronakrise ihre Arbeitsbedingungen nochmals verschärft: kilometerlange Staus an den Grenzen, geschlossene Restaurants, Toiletten und Duschen an den Rastanlagen. Daraufhin entstand die gemeinsame Initiative #Logistikhilft, getragen vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), vom Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), von der Logistics Alliance Germany (LAG), vom Fraunhofer IML sowie vom gemeinnützigen Verein DocStop/SaniStop. Erst diese Aktion sorgte dafür, dass an Rampen Sanitärcontainer aufgestellt wurden und Fahrer/innen Gesichtsmasken sowie Desinfektionsmitteln erhielten. Doch trotz dieser Hilfe hat Corona das Image des Berufs nicht verbessert – im Gegenteil!

Könnte es aber sein, dass sich der Arbeitsmarkt nach der Pandemie ganz anders darstellt als zuvor? Schließlich haben im Lockdown viele Transportunternehmen ihre Flotten reduziert, Fahrer freigestellt oder in Kurzarbeit geschickt. Vor der Krise kamen gut 20 Prozent der Fahrer aus dem Ausland. Nun stehen mitunter wieder deutsche und besonders qualifizierte Fahrer zur Verfügung. Erwartbare Insolvenzen bei kleinen und mittelständischen Transportunternehmen dürften ebenfalls Berufskraftfahrer freisetzen. Vielleicht bricht auch der Konsum ein und damit die Nachfrage bei den Lieferanten. Dann würden auch weniger Fahrer gebraucht. Andererseits hat der Onlinehandel einen massiven Schub erhalten. So übertraf Deutsche Post DHL bereits vor dem Weihnachtsgeschäft im November letzten Jahres den Paketrekord von 2019. Für das Gesamtjahr 2020 erwartet das Unternehmen ein Plus von knapp 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit hätten die KEP-Dienste rund 1,8 Milliarden Pakete ausgeliefert.

Der Fahrermangel bleibt

Aktuell sind Vorhersagen der wirtschaftlichen Entwicklung schwierig. Die Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2021 liegen weit auseinander: Während das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung mit einem BIP-Plus von 4,9 Prozent rechnet, hat die OECD im Dezember 2020 ihre Prognose auf 2,8 Prozent gesenkt. Dennoch liegen beide Zahlen im Plus. Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, warum der Fahrermangel sich eher noch verschärft: Jährlich steigen rund 15.000 Menschen neu in den Beruf ein, die wenigsten davon mit Ausbildung. Doppelt so viele geben den Beruf auf.

Dass die Arbeitgeber in der Logistik sich nicht zurücklehnen können, liegt auch an den gesetzlichen Neuerungen des EU-Mobilitätspakets, die im August 2020 in Kraft getreten sind. Dazu zählt das Rückkehrrecht der osteuropäischen Fahrer zum Ende der dritten Woche. Wird diese Vorschrift konsequent umgesetzt und kontrolliert, stehen deutlich weniger ausländische Fahrer zur Verfügung. Zudem verursacht das Verbot, die Ruhezeit am Wochenende in der Fahrerkabine zu verbringen, Kosten für Übernachtungsplätze.

Stärkere Regulierungen

Weitere gesetzliche Verschärfungen stehen noch aus: Bis 2026 soll es den digitalen Tachografen geben, der strenge Arbeitszeitkontrollen ermöglicht. Dann werden Fahrer weniger Zeit auf der Straße verbringen und mehr Fahrzeuge stehen bleiben.

30.000

Fahrer steigen jedes Jahr aus dem Beruf aus, nur 15.000 Nachwuchsfahrer rücken nach.

Das bisherige System erlaubt wirtschaftliche Lkw-Transporte, jedoch auf Kosten der Fahrer. Um diesem Beruf eine Zukunftsperspektive zu geben, müssen sich die Unternehmen um drei Aspekte kümmern: Vergütung, Arbeitsbedingungen und Wertschätzung. Natürlich ist das Thema Geld eine entscheidende Stellschraube. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) nennt 4.000 Euro brutto monatlich als Ziel – angesichts der Realität eine hohe Messlatte. Gefragt ist zudem Unterstützung bei der Altersvorsorge. Wie lässt sich die Misere auflösen, den Fahrer/innen einerseits faire Löhne und Arbeitsbedingungen zu bieten und andererseits rentabel zu wirtschaften? Die Wahrheit ist: Höhere Vergütungen und Investitionen führen zu höheren Preisen. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bedingungen der Lkw-Fahrer zu verbessern. Hierfür sollte der Wirtschaftsbereich Logistik gezielt Kampagnen und Initiativen starten, um die Problematik und ihre Lösungen an Versender, Transporteure und Konsumenten zu kommunizieren.

Die Arbeitsbedingungen der Fahrer müssen verbessert werden. Das heißt: Ein moderner Fuhrpark, digitale Unterstützung auf den Touren durch Fahrer-Apps, Gesundheitsangebote, Fahrsicherheitstrainings und Fortbildungen sind notwendig. Um Nachwuchs zu akquirieren, empfiehlt es sich, Ausbildungen zu finanzieren und die Übernahme zu garantieren. Ein zentraler Wunsch des Fahrpersonals lässt sich völlig kostenfrei erfüllen: der respektvolle Umgang. Hier müssen Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen und die Mitarbeiter an den Rampen entsprechend sensibilisieren.

Bei Intime erhalten Osteuropäer übrigens einen deutschen Arbeitsvertrag und werden über Mindestlohn bezahlt. Zudem pausieren sie alle zwei Wochen eine Woche in der Heimat. Diese Maßnahmen lohnen sich: Wir führen nun eine Warteliste für Fahrer. (ben)

Gerd Röttger ist Geschäftsführer des Kurier- und Expressdienstleisters Intime Express Logistik GmbH in Isernhagen. Schon früh entwickelte Röttger eine Faszination für Lkw und die Ladungen, die diese transportierten. Röttger studierte an der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) in Bremen.

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