Daseinsvorsorge durch Schieneninfrastruktur in der Fläche

Nebenstrecken, Anschlussgleise, Railports: Ohne sie ist weder das Güterverkehrsverlagerungsziel zu erreichen, noch gäbe es eine Zukunft für Einzelwagenverkehre. Doch lassen sie sich wirtschaftlich betreiben?

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Für Sigrid Nikutta gehört die Zukunft der Güterbeförderung natürlich der Güterbahn. Für sie ist die Verlagerung von Fracht von der Straße auf die Schiene der einfachste Weg, die Erderwärmung zu stoppen. Dies bringe pro transportierter Tonne 80 Prozent weniger CO2-Ausstoß. Als Rückgrat des Schienengüterverkehrs sieht sie den Einzelwagenverkehr (EWV). Er sei essenziell, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

Allerdings: Geld verdient die Bahn mit den großen Strecken nicht mit dem Verteilen und Sammeln der einzelnen Wagen. Im Januar 2021 während des BME-/VDV-Forums Schienengüterverkehr erläuterte Nikutta, dass der EWV längst nicht mehr kostendeckend sei, doch ein Gesundschrumpfen aufgrund der hohen Fixkosten wäre schlecht möglich. Zudem sei der EWV organisatorisch kompliziert, weil er dezentral abseits der Hauptrouten starte und ende.

Aktuell entfallen nur etwa 16 Prozent des Aufkommens und 18 Prozent der Verkehrsleistung von DB Cargo auf den EWV. Die doppelte bis dreifache Menge sei im Einzelwagenverkehr möglich, war im Wirtschaftswoche-Podcast „Chefgespräch“ von Nikutta zu hören. Und Auslastung sei nötig, um das Rückgrat zu stärken. „Damit der Einzelwagenverkehr funktioniert, müssen so viele Güter wie möglich auf die Schiene“, sagte die Bahnmanagerin. Dass der EWV sehr wichtig für das System Bahn ist, sei auch in der Politik angekommen. Nikutta bezeichnete im Podcast etwa die Anlagenpreisförderung als einen ersten Baustein der erforderlichen Unterstützungskette.

„Es ist mehr passiert, als wir in dieser Legislaturperiode erwartet haben. Aber es reicht nicht für einen Anteil der Schiene von mindestens 25 Prozent am Modal Split des Güterverkehrs. Und 25 Prozent genügen längst nicht, um die Klimaziele zu erreichen“, ergänzt Martin Henke, Geschäftsführer Eisenbahnverkehr des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Er ist einerseits positiv gestimmt und andererseits noch lange nicht zufrieden. Noch größere Hebel müssten in Bewegung gesetzt werden. Allerdings sieht er auch bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) Handlungsbedarf.

Vom Konkurrenten zum Kunden

Der im Februar 2021 beschlossene verbesserte Zugang von Unternehmen zur Schiene durch Förderung von Gleisanschlüssen, Geld für den Austausch alter Weichen und für Güterbahnhöfe in der Fläche durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ist laut Henke zu weiten Teilen eine richtige Maßnahme. Aber die Bahnen müssten Railports und die Speditionen dahinter als Kunden sehen, nicht als Konkurrenz. „Darüber hinaus ist es erforderlich, dass auf Zu- und Ablaufstrecken zu Hauptrouten Kombinationen aus Transporten im Kombinierten Verkehr (KV) und von Einzelwagen oder Wagengruppen stärker in den Fokus der Bahnen rücken. Hier müssen die Dispositionssysteme die Einspeisung von Einzelwagen in KV-Züge ermöglichen. Beide Systeme überschneiden sich bereits und müssen stark weiter wachsen, um deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen.“

Ein weiterer Ansatz, um die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, ist für Henke ein Netzwerk für den EWV: „Durch Zusammenarbeit der Bahnen auf einer Plattform ähnlich der `Star Alliance´ in der Luftfahrt kann mehr Flexibilität im EWV entstehen. Aber auch generell sollten sich im Schienengüterverkehr alle Akteure gegenseitig helfen, um ihre Kapazitäten auszulasten.“ Neukunden ließen sich vor allem durch Leistung, Qualität und Transparenz gewinnen. Warengruppen, in denen der EWV künftig punkten könnte, seien beispielsweise Handelsgüter, Lebensmittel und Dünger.

Die Aktivierung von Nebenstrecken ist einerseits essenziell, um den Güterverkehr in der Fläche mit Anschluss an die Hauptrouten zu stärken. Dazu Henke: „Für die mittelständisch geprägte und in der Fläche verteilte deutsche Wirtschaft sind Nebenstreckenzugänge zumindest in deutschen Mittelzentren und dort, wo auf dem Land große Verlader- und Gewerbebetriebe sind, zwingend erforderlich.“ Und andererseits wichtig, um Knoten zu umgehen sowie die Hauptrouten zu entlasten und Ausweichmöglichkeiten bei Störungen der stark befahrenen Trassen zu bieten: „Mehr Resilienz im Netz durch Umgehungsmöglichkeiten von kritischen Punkten ist notwendig und möglich. Für alle Knoten gibt es noch nicht elektrifizierte und nicht ausgebaute Strecken, deren Potenzial gehoben werden könnte. Das Gleiche gilt selbst für die Entlastung solcher Abschnitte wie die rechte Rheintalseite etwa bei Rastatt.“, so Henke. Auch der güterverkehrsoptimierte Neu- und Ausbau der Infrastruktur von Nichtbundeseigenen Bahnen müsse einbezogen und gefördert werden.

Es reicht noch nicht

„Weitere Investitionsmittel sind vor allem ab 2025 erforderlich, wenn tatsächlich beschleunigte Planungsverfahren und weitere Optimierungen im Planungsrecht für schnellere Projektumsetzungen sorgen.“, so Henke. Die Wirtschaftlichkeit der Nebenstreckenertüchtigung sei durchaus gegeben, allerdings müsse die Wirtschaftlichkeitsberechnung modernisiert werden, etwa durch die Einpreisung von Umweltkosten. Daran arbeite aktuell eine Arbeitsgruppe im BMVI mit Beteiligung des VDV. Das Argument der Daseinsvorsorge unabhängig von einer wirtschaftlich tragenden Lösung könne zudem in einigen Regionen für eine Minimalausstattung mit einem Ladegleis mit Ladekante sorgen. Schließlich blieben Regionen mit eingeschränktem Zugang zu logistischen Lösungen schwach. Und damit stellt sich für Henke die Frage: „Kann der Staat es sich eher leisten, Milliarden an Klimaabgaben zu zahlen, oder in den Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Fläche zu investieren?“

Gearbeitet werde an vielen Herausforderungen, erkennt Henke an – „Es geht uns aber zu langsam!“ Die politische Unterstützung dürfe unter anderem in folgenden Punkten nicht nachlassen:

  • CO2-Bepreisung und EEG-Umlage daran orientieren, wie sich die Klimaschutzziele erreichen lassen
  • Trassenpreisförderung intensivieren
  • Anlagenpreisförderung optimieren
  • Gleisanschlussförderung über 2025 hinaus fortschreiben
  • KV-Förderung weiterentwickeln und KV-fähige Sattelauflieger standardisieren
  • innovative Güterwagen entwickeln (modulare Konzepte, neue Werkstoffe etcetera)
  • kein Industriegebiet ohne Gleisanschluss planen.

Aber auch die Harmonisierung von Sicherheits- und Sozialvorschriften sowie die Modernisierung der Berufsbilder im Eisenbahnbereich seien notwendig.

Laut Henke ist bei konzentrierter Verfolgung der im aktuellen Masterplan für den Schienengüterverkehr festgelegten Projekte und Ziele bis Mitte der 2030er-Jahre eine Verdoppelung der Kapazitäten für den Schienengüterverkehr möglich. Wenn auch alle angestoßenen technologischen Entwicklungen Marktreife erlangen, könne der gesamte Straßengüterfernverkehr bis zum Jahr 2050 auf die Schiene verlagert werden. (ben)

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