Ist ein Umweltsiegel für Schienentransporte sinnvoll?

Wie sinnvoll ist ein Umweltsiegel für Transporte auf der Schiene? DVZ-Redakteur Heinrich Klotz und die Fachjournalistin Kerstin Zapp streiten über Sinn und Unsinn dieses Ansatzes.

Illustration: Björn Jagdmann

Ob Nutri-Score auf Lebensmitteln, Energielabel auf Elektrogeräten, grüner Knopf an Textilien oder seit kurzem ein Clean-&-Safe-Inspektionslabel an mancher Hoteltür: Siegel sorgen dafür, dass Verbraucher bestimmte Eigenschaften von Produkten auf den ersten Blick erkennen können. Das wünscht sich Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende von DB Cargo, auch für die Beförderungsart von Waren. „Transportiert auf der umweltfreundlichen Schiene“ könne auf einem neuen Siegel für Konsumgüter stehen, schlug sie Ende Januar 2021 im Podcast „Chefgespräch“ der „Wirtschaftswoche“ vor. DVZ-Redakteur Heinrich Klotz und die Fachjournalistin Kerstin Zapp streiten über den Sinn eines solchen Siegels.

Kerstin Zapp, Fachjournalistin

Pro

Ein Transportsiegel lenkt die Aufmerksamkeit der Endverbraucher auf eine ganz wesentliche Tatsache: In die Nachhaltigkeitsbeurteilung eines Gutes muss auf jeden Fall auch die Art des Transports einbezogen werden. Was nutzt es, wenn ein Produkt nachhaltig hergestellt wird, seine Beförderung aber unnötig hohe CO2-Emissionen verursacht?

Aber von vorn: Was könnte ein solches Siegel sein? Mindestens dreierlei: ein Marketinginstrument, das Transportvehikel einer Wahrheit und die Möglichkeit, Druck aufzubauen. Was könnten Bahnen mit dieser Kennzeichnung erreichen (wollen)? Aufmerksamkeit auf ihren Umweltvorteil lenken und so mehr Güter auf die Schiene bringen. Wem könnte dies nutzen? Den Bahnen und der Gesellschaft. Das Siegel selbst könnte für Hersteller und Händler ein Mittel sein, um sich mit ihren Produkten von anderen, ähnlichen Waren abzuheben.

Und was heißt das jetzt? Natürlich stehen Marketingaspekte bei einem solchen Siegel im Vordergrund. Doch ein Siegel funktioniert als Marketinginstrument nur, wenn das, was es verspricht, auch wahr und nachvollziehbar ist. Der Vorteil des Verkehrsträgers Schiene ist laut Umweltbundesamt real: 2019 emittierten Lkw ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht – die Hauptkonkurrenten der Bahnen – 111 Gramm Treibhausgase pro Tonnenkilometer, bei den Güterbahnen waren es 17 Gramm. Die Güterschiene kann also zu Recht mit dem Begriff „umweltfreundlich“ werben, obwohl noch nicht alle Leistungen mit grünem Strom und Biodiesel erbracht werden. Und ein positives Image kann zur gewollten Verkehrswende im Güterverkehr nur positiv beitragen.

Natürlich arbeiten auch andere Verkehrsträger an Nullemissionsstrategien. Doch der Umweltvorteil der Schiene wird bestehen bleiben, denn mit knappen, regenerativ erzeugten Energien darf nicht verschwenderisch umgegangen werden. Vorteil Schiene: Laut Umweltbundesamt lag der spezifische Energieverbrauch pro Tonnenkilometer 2018 hier bei 0,3 Megajoule, auf der Straße waren es 1,6 Megajoule.

Ein Gütesiegel auf der Verpackung würde Endverbrauchern auf einen Blick zeigen, ob Hersteller und Händler die Transportleistung in ihre Nachhaltigkeitsstrategie einbezogen haben. Das Siegel böte Güterbahnen zudem die Möglichkeit, Kontakt mit den Endkunden aufzunehmen, statt wie bisher im B2B-Bereich verborgen zu bleiben. Und Endkunden sind mächtig: Rückt die Lieferkette stärker in deren Nachhaltigkeitsbewusstsein, steigt der Druck auf Produzenten und Händler, ihre Logistikkonzepte zu überdenken.

Heinrich Klotz, DVZ-Redakteur

Kontra

Verbraucher, so die Überlegung von Sigrid Nikutta, sollten bereits auf der Verpackung erkennen können, ob ein Produkt „auf der umweltfreundlichen Schiene transportiert“ wurde. Die DB-Cargo-Chefin regt deshalb ein entsprechendes Transportsiegel an. Gute Idee – oder doch eher ein marketinggetriebener Schnellschuss? Vorweg: Es ist wohl eher letzteres.

Erster Einwand: „Auf der umweltfreundlichen Schiene transportiert“ impliziert, dass die Bahn umweltfreundlich sei. Ist sie aber nicht – Transport ist nie freundlich zur Umwelt. Sie ist vielleicht weniger umweltschädlich als andere Verkehrsträger, aber auch das nicht per se. Was, beispielsweise, verursacht weniger Umweltbelastungen: ein vollbeladenes modernes Containerschiff, das Ladung von China nach Nordeuropa bringt, oder die 300 Güterzüge, die alternativ dafür nötig wären? Dabei wollen wir gar nicht darüber streiten, ob die Lokomotiven von grünem oder schmutzigem Strom angetrieben würden. Ein Siegel pauschaliert und wird deshalb immer auch unscharf.

In vielen Fällen übernimmt – zweiter Einwand – die Bahn nur einen kleinen Teil der Transportstrecke. Selbst wenn sie also zu Recht Vorteile bei der Umweltbelastung geltend machen könnte, wirkt sich das nur geringfügig auf den ökologischen Fußabdruck des Produkts selbst aus – und der sollte die Kaufentscheidung beeinflussen. Auf die Verpackung gehört also ein CO2-Siegel des Produkts und keines, das nur auf einen Teilaspekt abzielt.

Kommen wir – drittens – noch zum Instrument eines Siegels selbst. Es soll geprüfte Qualität signalisieren und damit Kaufentscheidungen erleichtern, indem vermeintlich neutrale Prüfungen von Produkten oder Dienstleistungen vorangestellt werden. Ein Siegel als solches ist aber rechtlich nicht geschützt. Das hat zu einem regelrechten Wildwuchs in Deutschland geführt: Es gibt über 1.000 verschiedene Kennzeichen und Labels. Endverbraucher können deshalb das jeweilige Gütezeichen ohne Beratung gar nicht bewerten. Hinzu kommt: Immer wieder werden solche Labels als rein absatzfördernde Instrumente von Verkäufern entlarvt. Das Vertrauen in Gütesiegel ist deshalb schon reichlich erschüttert. Selbst wenn es der Bahn also gelänge, ein inhaltlich überzeugendes Gütezeichen auf die Beine zu stellen: Es zu einem Markenzeichen wie beispielsweise Warentest aufzubauen, würde lange dauern. Sehr lange.

Die Bahn braucht kein Siegel. Statt auf die Verpackung sollte sie sich stärker auf den Inhalt konzentrieren: Stimmen Leistung und Preis, kommen die Kunden gern. Und zwar in Scharen.

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