Wie die Branche mit dem Adblue-Engpass umgeht

Bei manchen Marktteilnehmern ist der Versorgungsengpass von Adblue längst Realität. Einige berichten von extremen Preissteigerungen, andere von verminderten Liefermengen. Eine Analyse.

(Credit: iStock)

Die Logistikbranche leidet aktuell mehr denn je unter Engpässen – angefangen bei Fahrern bis hin zu verfügbarem Laderaum. Alles ist knapp. Und als wäre das nicht genug, gesellt sich jetzt auch noch Adblue hinzu. Denn die Produktion der Flüssigkeit, die in Dieselmotoren eingespritzt wird, um Emissionen zu reduzieren und so die Euro-Norm zu erfüllen, sei in diversen EU-Werken reduziert oder sogar temporär eingestellt worden. Das schreibt die International Road Transport Union (IRU) in einem Mitgliederschreiben und wendet sich auch an die EU. Es seien deshalb bereits Versorgungsengpässe in mehreren europäischen Ländern registriert worden – darunter auch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

BGL geht auf Großhändler zu

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) bestätigt die Adblue-Knappheit für den deutschen Markt. Der Verband hat seinerseits bereits in einem Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium appelliert, im Rahmen eines Runden Tisches zeitnah Lösungsansätze zu besprechen. Damit aber nicht genug: „Aufgrund von Lieferstopps respektive sehr starker Mengensanktionierungen einiger Großhändler von Adblue versuchen wir aktuell direkten Kontakt mit den Herstellern aufzunehmen. Die Logistikwirtschaft braucht Adblue zwingend als Kraftstoffzusatz, um die Euro-VI-Lkw betreiben zu können. Hier muss notfalls die Politik moderierend eingreifen, ansonsten können wir die Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht aufrechterhalten“, sagt Dirk Engelhardt, BGL-Vorstandssprecher, auf DVZ-Anfrage.

Beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) sieht man die Verantwortung für dieses Thema zwar eher beim Verkehrsministerium, wie eine Sprecherin auf Anfrage erklärte, man beobachte die Preisentwicklung aber dennoch sehr genau. Die Frage, ob das BMWI der Bitte des BGL nach einem Runden Tisch nachkommen werde, blieb unbeantwortet. Man befinde sich im Austausch, hieß es dazu lediglich. Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister, schlug hingegen medienwirksam Alarm: „Wir haben die Lage genau im Blick und nehmen die Warnungen der Logistiker sehr ernst“, sagte der CSU-Politiker vergangene Woche gegenüber dem „Handelsblatt“. Zudem unterstütze er den Wunsch nach einem Runden Tisch im Wirtschaftsministerium. Aber wie konnte es überhaupt zu einer solchen Verknappung kommen?

Wie es zu der Adblue-Knappheit kam

Um das zu verstehen, muss man wissen, wie Adblue hergestellt wird. Einer der wichtigsten Rohstoffe ist Harnstoff, der in einem synthetischen Prozess aus Ammoniak gewonnen wird. Mit einer Kapazität von circa 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr gehört Ammoniak zu den mengenmäßig größten Grundchemikalien in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Davon fließt aber nur ein Anteil – circa 20 Prozent – über die Harnstoffsynthese in die Produktion von Adblue. Der Großteil – 80 Prozent – wird nach Schätzungen des Verbands der Chemischen Industrie für Düngemittel verwendet. Und jetzt wird es tricky: Bei die Herstellung von Ammoniak ist Erdgas einer der größten Kostentreiber. Weil die Gaspreise und folglich auch die Preise für Ammoniak sowie Düngemittel zuletzt stark gestiegen sind, warten die Landwirte in der EU, die Hauptabnehmer von Düngemitteln sind, mit der Beschaffung bis die Preise wieder sinken. Zu dieser Jahreszeit ist der Bedarf ohnehin nicht allzu groß.

Keine Entspannung vor April 2022

Bei Ammoniak-Herstellern, die hauptsächlich für Düngemittel produzieren, führt die abfallende Nachfrage dazu, dass es als unwirtschaftlich betrachtet wird, die Herstellung unter diesen Marktbedingungen fortzusetzen. So wirkt sich die derzeitige Drosselung der Ammoniakproduktion auf die Verfügbarkeit und die Preise von Adblue aus. Laut amtlicher Statistik verteuerte sich Harnstoff im bisherigen Jahresverlauf um 50 Prozent. Auslöser dieses Preisanstiegs von Harnstoff ist die Verteuerung von Erdgas. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) rechnet erst im April 2022 mit einer Entspannung der Situation. Denn bis dahin dürften die Ammoniakproduktion gedrosselt und die Rohstoffpreise für die Adblue-Produktion hoch bleiben. Inhaber der Marke Adblue ist der Verband der Automobilindustrie (VDA). Dieser gewährt weltweit Herstellern eine Markenlizenz, um Adblue zu vertreiben. Aktuell gibt es 249 lizensierte Produzenten auf der Welt – davon 21 in Deutschland. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass alle davon für den Markt produzieren. Denn unter den Herstellern befinden sich Automobilhersteller- sowie Zulieferer wie VW, BMW, Opel oder Continental. Wie sich die Nachfrage nach Markenlizenzen zuletzt entwickelte, konnte der VDA auf Nachfrage nicht beantworten, stellte aber fest, dass weltweit ein unverändert großes Interesse an der Marke Adblue bestehe.

Gemischtes Branchenbild

Wie die IRU berichtet, soll ein Teil des Marktes von sogenannten „Auflösern“ bedient werden, die Ammoniak aus Übersee importieren. Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer beim Logistik- und Verladerverband BWVL, mahnt dennoch, keine Krise herbeizureden, „denn sonst bekommen wir womöglich eine Self-Fulfilling-Prophecy“. Gleichzeitig verweist er aber darauf, dass einige Händler mittlerweile Mindestabnahmemengen festlegen würden. „Dies kann dazu führen, dass gerade kleinere Unternehmen nicht mehr regelmäßig beliefert werden, da sie nicht auf die erforderlichen Mengen kommen.“

Diese Versorgungslücke sei heute bereits Realität, berichtet Gerd Röttger, Geschäftsführer In Time Express Logistik: „Wir nehmen Adblue eigentlich in großen Mengen bei Mineralölhändlern auf. Hier bekommen wir aktuell keinen Nachschub oder müssen mit Kostensteigerungen um die 200 Prozent umgehen. Dementsprechend müssen wir zu höheren Preisen kleinere Mengen an Tankstellen beziehen. Auf Dauer kann das nicht so bleiben“, meint Röttger und ergänzt: „Die Mehrkosten können immer nur zum Teil an die Kunden weitergegeben werden, die Belastung für die Transportbranche ist zu groß.“ Diese Belastung ist auch bei der Hegelmann-Gruppe spürbar. Andreas Schmidt, CEO von Hegelmann Express, bestätigt auf DVZ-Nachfrage, dass die massiven Preiserhöhungen bislang nicht direkt an die Kunden weitergegeben werden, sondern auf den Schultern der Unternehmen lasten würden. Wladimir Krieger, CEO von HTRFS Solutions, ergänzt, dass dennoch von einer massiven Bevorratung abgesehen werde.

Ganz so dramatisch sei die Lage bei ihm noch nicht, sagt Horst Kottmeyer, Geschäftsführer bei der Spedition Kottmeyer. „Wir haben zwar einen erheblichen Preisanstieg von bis zu 40 Prozent bemerkt, aber von Versorgungsengpässen kann noch keine Rede sein“. Ganz im Gegenteil. Der Adblue-Lieferant komme der Rahmenabsprache wöchentlich in voller Menge nach – noch zumindest. Denn, das will der Spediteur nicht verschweigen, mittel- oder gar langfristige Zusagen bekomme auch er nicht. Ähnlich sieht es bei Georg Dettendorfer, Geschäftsführer bei Johann Dettendorfer Spedition, aus. „Beschaffungsprobleme gibt es aktuell nicht, aber dafür üppige Preissteigerungen von bis zu 70 Prozent.“ Deshalb sehe er noch keine Veranlassung, Reserven aufzubauen. Nichtsdestotrotz beobachte er die Situation aber sehr genau und wollte nicht ausschließen,  sein Kaufverhalten auf neue Entwicklungen hin anzupassen.

Navid Thielemann, geschäftsführender Gesellschafter der Overseas Logistic Services und Gesellschafter bei der Kraftverkehrsspedition Recht Logistik, hat kürzlich noch einmal 10.000 Liter AdBlue für seinen Fuhrpark von 130 Lkw gekauft. Inzwischen fürchtet auch er, dass sich die Engpässe weiter verschärfen und infolgedessen dann auch die Lieferketten bedroht werden. Die Situation werde zunehmend ernster.

BAG stellt Verstöße fest

Für die Branchenteilnehmer hat die Adblue-Problematik indes auch einen regulatorisches Aspekt. Denn ohne Adblue darf hierzulande kein Lkw fahren. Und das wird auch überprüft. Das Bundesamt für Güterverkehr kontrollierte im ersten Halbjahr 2021 insgesamt 3.324 Fahrzeuge auf Manipulationsvorrichtungen oder Defekte der Abgasnachbehandlung. Davon wurden 139 beanstandet – 9 gebietsansässig, 130 gebietsfremd.

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