Was hinter Amazons neuem Frachtpartner-Programm steckt

Der Logistikkonzern bewirbt ein neues Geschäftsmodell für die mittlere Meile in Deutschland und ­ermutigt Interessierte zum Gründen eines eigenen Transportunternehmens. Die Partner zeigen sich zufrieden, doch Kritiker verurteilen das Abhängigkeitsverhältnis scharf.

Foto: iStock

Amazon hat im Juli des vergangenen Jahres offiziell ein neues Partnerprogramm für Transportunternehmer eingeführt, das Amazon Freight Partner Programm (AFP). Seither läuft eine massive Werbekampagne in den sozialen Medien: „Gründen Sie Ihr eigenes Transportunternehmen und starten als Amazon Freight Partner“, heißt es in Anzeigen auf Facebook. Erfahrung sei nicht zwangsläufig notwendig, wird betont.

 

Screenshot: Facebook

In den Kommentarspalten dieser gesponserten Beiträge halten sich einige Nutzer nicht zurück mit ironischen und kritischen Meinungen. Die meisten von ihnen unterstellen ein starkes Abhängigkeitsverhältnis vom US-amerikanischen Konzern. Was ist dran an diesem Vorwurf?

Üppige Gewinnprognose

Folgt der interessierte Nutzer dem Link, werden ihm auf einer Amazon-Website zunächst einige neongrüne Zahlen prominent präsentiert. Unternehmern, die 10 bis 15 gebrandete Lkw in Betrieb nehmen, könnten ein Umsatzpotenzial von 1,0 bis 1,6 Millionen Euro sowie einen Gewinn von bis zu 165.000 Euro pro Jahr erzielen, heißt es dort.

Allerdings hat Amazon das potenzielle Wachstum der Partner gedeckelt, so dass die Lkw-Kapazität tatsächlich nur auf maximal zehn Zugmaschinen erweitert werden darf, wie ein Amazon-Sprecher auf Anfrage erklärt. Die Anlaufkosten für Unternehmen werden wiederum auf der Basis von fünf gebrandeten Lkw ausgewiesen und auf 25.000 Euro taxiert – allerdings steht im Kleingedruckten, dass weitere 54.000 Euro liquide Mittel zur Sicherung einer EU-Gemeinschaftslizenz benötigt werden.

Mit der Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt läuft die Ausschreibung aktuell in jedem Bundesland. Gesucht werden „praxisorientierte Führungskräfte“, die ein Team aus 12 bis 18 lokalen Fahrern einstellen und führen sollen. Im Gegenzug garantiert Amazon stabile und langfristige Einnahmen sowie die Möglichkeit, das Geschäft weiter auszubauen. Weiterhin wird der Zugang zu einem Mietangebot gebrandeter Lkw ohne Anzahlung ebenso versprochen wie die Nutzung der zur Verfügung stehenden Sicherheits- und Transporttechnologie. Auch Lkw-Wartung, Reifenservice, Pannenhilfe und Fahrertrainings gehören zu Amazons Leistungsportfolio, das Partnern zur Verfügung steht.

Wer sich den Schritt in die Selbstständigkeit trotz dieser vollmundigen Versprechungen nicht zutraut, kann zunächst an einem Amazon-Schulungsprogramm teilnehmen. Neben einer Einführung in die Logistikbranche soll dort auch vermittelt werden, wie ein Unternehmen aufgebaut und das Geschäft anschließend ausgebaut werden kann.

90 Prozent der Aufträge sind nationale Transporte Ilyas Yigit, Geschäftsführer der Cargomile GmbH

Zunächst erwartet den Interessierten ein verkürzter Bewerbungsprozess. Anschließend folgt ein Live-Interview, und schon erhält man ein Angebot, woraufhin bereits mit dem praktischen Training begonnen werden kann. Im nächsten Schritt sollen Fahrer eingestellt werden, die von Amazon geschult werden und kurz darauf Fracht transportieren sollen. Den ersten Lkw soll man bereits vier bis elf Wochen nach Beginn dieses Programms betreiben können.

Partner sind zufrieden

Am Ende der Website schmückt sich Amazon mit den vermeintlichen Erfolgsgeschichten von Partnern, wie zum Beispiel Patrik und Dennis Schmitz, die seit Mai vergangenen Jahres Frachtpartner sind. Sie schwärmen von der unkomplizierten und komplett digitalisierten Anmeldung für das AFP-Programm. Nach vier Wochen sollen ihre Lkw bereits über die Straßen Europas gerollt sein. Klingt fast zu schön, um wahr zu sein, oder?

Bei einer Recherche zeigt sich, dass das Transportunternehmen im September 2020 gegründet wurde. Nach einem Dreivierteljahr als AFP-Partner kann Patrik Schmitz nicht klagen: „Die von Amazon prognostizierten Umsätze und Kosten sind weitgehend zutreffend, wie sich im operativen Geschäft gezeigt hat.“ Der Gewinn liege sogar leicht darüber. Von insgesamt neun Lkw habe er fünf über Amazon gemietet, die zu 98 Prozent Transporte zwischen Amazon-Hubs in Deutschland durchführen. Für die Disposition werde die Amazon-App genutzt. Durch das GPS-Tracking in der Applikation könne Amazon stets nachverfolgen, wann sich der Fahrer wo befindet. Schmitz ist sogar so zufrieden, dass er bereits plane, seinen Amazon-Fuhrpark auf das Maximum von zehn Zugmaschinen auszubauen.

Für uns steht die Kontrolle des Marktes als Ansinnen von Amazon über dem gesamten Vorhaben. Bundesverband Logistik und Verkehr (BLV pro)

Ilyas Yigit, Geschäftsführer der Cargomile GmbH, ist ebenfalls Frachtpartner bei Amazon und wird auf der Website euphorisch zitiert. Seine Empfehlung, am Programm teilzunehmen, bekräftigt er im Gespräch. Seit einem Jahr sei er nun bereits Partner und habe zusätzlich zu seinem bestehenden Fuhrpark drei gebrandete Lkw über den US-Konzern angemietet – dieses Jahr sollen zwei weitere folgen. Die von Amazon zuvor versprochenen Umsätze und Gewinne seien auch tatsächlich relativ zutreffend gewesen, verrät Yigit. Lediglich zwei Interviews seien nötig gewesen, in denen der Gründer etwas über seine persönlichen Motive sowie sein Unternehmen erzählen sollte, und schon konnte es losgehen.

Auch wenn Branchenkenntnisse von Amazon ausdrücklich nicht vorausgesetzt werden, rät er, diesen Schritt nur mit mehrjähriger Erfahrung im Logistikbereich zu machen. Er selbst sei zwar auch erst seit zwei Jahren selbstständig, habe zuvor aber bereits sieben Jahre als Angestellter in dem Sektor gearbeitet. Nur so könne man die zahlreichen Herausforderungen meistern. Wie das aktuell größte Problem: die Suche nach Fahrern. „Deutsche Lkw-Fahrer fahren nicht gerne für Amazon“, erklärt Yigit. Deshalb beschäftige er ausschließlich polnische Fahrer für die Amazon-Transporte, die er über eine Personalagentur in Polen rekrutiere. Die Auslastung durch Amazon sei absolut zufriedenstellend. Jedoch führen die Touren, entgegen den Angaben auf der Website, seltener durch Europa, wie Yigit zugibt: „90 Prozent der Aufträge sind nationale Transporte.“ Ein Umstand, den Amazon auf Nachfrage bestätigt: „Die deutliche Mehrheit der Routen deckt Transporte innerhalb Deutschlands ab.“ Die Disposition laufe automatisiert über eine Amazon-App. Dort sei für jeden Fahrer ein Profil hinterlegt, in dem er alle Touren einsehen könne.

Droht Scheinselbstständigkeit?

Dass AFP-Partner hauptsächlich nationale Transporte abwickeln, berichtet auch das Projekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) „Faire Mobilität“ auf seiner Facebook-Seite. Demnach sind bei einer Info-Aktion, die bei Amazon in Dortmund, Köln, Garbsen und Frankenthal am Black Friday (26. November) durchgeführt wurde, polnische Fahrer angetroffen worden, die für Amazon Freight Partner arbeiten und erklärt hatten, ausschließlich innerhalb Deutschlands zu fahren.

Die internationalen Transporte, so berichten die Fahrer, würden weiterhin von ausländischen Subunternehmen übernommen. Michael Wahl, Branchenkoordinator internationaler Transport bei Faire Mobilität, betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. Er sieht in dem AFP-Programm eine Neuauflage des Logistik Partner Programms von Amazon, das sich im KEP-Bereich seit Jahren etabliert habe. „Diese Konstruktion, die nun deckungsgleich für den Lkw-Transport aufgebaut wird, ist aus unserer Sicht das nächste Ausmaß der organisierten Verantwortungslosigkeit, die Amazon gegenüber den Subunternehmern und deren Beschäftigten lebt“, sagt er. Auch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht die Ausweitung des Portfolios von Amazon vor diesem Hintergrund kritisch, sagt Stefan Thyroke, Bundesfachgruppenleiter für Spedition, Logistik, Kurier- und Expressdienste. Der Ausbau der eigenen Transportkette mittels Vertragspartnern sei wahrscheinlich nur der erste Schritt, bevor Amazon-Lkw in einem nächsten Schritt auch fremdes Stückgut transportieren.

Abhängigkeitsverhältnis kritisiert

Dies müsse den gesamten Speditionssektor alarmieren, sagt Thyroke und ergänzt: „Ähnlich wie im Bereich der Zustellung sorgt Amazon durch eine strikte Begrenzung der Flotte und eine regionale Reglementierung dafür, dass die eigene Unabhängigkeit von den Vertragspartnern gewahrt bleibt, während die Spedition sich als Vertragspartner in die komplette Abhängigkeit von Amazon begibt.“

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) ist diesbezüglich bereits im Dialog mit Amazon. Gemeinsames Anliegen dabei sei es, Scheinselbstständigkeit und Sozialdumping auszuschließen sowie einen echten Mehrwert für die deutschen mittelständischen Transportunternehmen zu schaffen, wie ein Sprecher auf Anfrage erklärt.

Wenn wir auf ein Problem aufmerksam werden, handeln wir sofort und schrecken nicht davor zurück, unsere Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen zu beenden. Amazon-Sprecher

Der relativ junge Bundesverband Logistik und Verkehr (BLV pro) verurteilt das Vorhaben von Amazon scharf: „Für uns steht die Kontrolle des Marktes als Ansinnen von Amazon über dem gesamten Vorhaben. In der Praxis bedeutet das, dass Amazon sich Zugang zu billigen Arbeitskräften verschafft und vollständig abhängige Unternehmer installiert, die nichts anderes machen können, als dem Willen von Amazon zu gehorchen“, erklärt ein Sprecher. Weiterhin geht der Verband davon aus, dass Amazon sich von den AFP-Partnern schriftlich zusichern lasse, dass sie keine Scheinselbstständigkeit betreiben und den Mindestlohn zahlen. Ob dies dann auch eingehalten werde, unterliege allerdings nicht mehr der Kontrollpflicht von Amazon. Das heißt, dass somit der Subunternehmer in der Haftung steht.

Amazon wehrt sich

Amazon weist die Kritik auf DVZ-Anfrage zurück. „Das Amazon Freight Partner Programm besteht aus mittelständischen Transportunternehmen, die Amazon eigene Kapazitäten zur Verfügung stellen, um den Bedarf in unserem Netzwerk zu decken. Sie bekommen gleichzeitig Tools und stabile Auslastung zur Verfügung gestellt, um das Unternehmenswachstum voranzutreiben. Partner können sich frei entscheiden, ob sie unsere Services und Tools nutzen möchten, die ihnen Zugang zu neuen, erstklassigen Technologien verschaffen“, erklärt ein Sprecher.

Diese Entscheidungsfreiheit gelte grundsätzlich auch für die Amazon-App, die von den Partnerunternehmen zur Disposition verwendet wird, wie Amazon erklärt. Auf die Frage, wie Partner, die die Amazon-App zur Disposition nicht verwenden wollen, ihre Touren einsehen, planen oder abschließen können, erklärte Amazon, dass man sich zu technischen Einzelheiten von Schnittstellen und internen Prozessen nicht detaillierter äußern könne. Bislang gebe es auch keinen AFP-Partner, der die Tools nicht nutze.

Generell stellt sich aber die Frage nach dem strategischen Hintergrund des Programms: Will Amazon künftig lieber auf viele Kleinunternehmer setzen, statt wie bislang mit mittelständischen bis großen Transportunternehmen zusammenzuarbeiten? Nicht wirklich, erklärt ein Sprecher. Vielmehr werde der US-Konzern auch in Zukunft mit großen Dienstleistern wie DHL, Royal Mail oder La Poste zusammenarbeiten, aber durch die steigende Nachfrage nach Lieferungen sei die Möglichkeit gesehen worden, ein besseres Transportnetz aufzubauen, um Kapazitätsengpässe und Performance-Probleme zu vermeiden.

Bislang werde das Programm sowohl von Gründern als auch von bestehenden Transporteuren gut angenommen. Wie viele Partner bereits an dem Programm teilnehmen, lässt Amazon jedoch unbeantwortet. Klar sei allerdings, erklärt ein Unternehmenssprecher, dass AFP-Partner nicht nur Chancen erhalten, sondern auch Pflichten beachten müssen. In Deutschland müssen die Partner ihre Fahrer zum Beispiel als Vollzeitbeschäftigte anstellen und die Bezahlung sowie die Sozialleistungen in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen und Vorschriften gewährleisten.

Amazon prüfe stichprobenartig, ob die Partner die geltenden Gesetze und Vorschriften einhalten, sagt ein Sprecher und ergänzt: „Wir verlangen von allen Unternehmen in diesem Netz, dass sie sich an unsere Richtlinien und alle geltenden Gesetze und Vorschriften halten. Es kann immer einige Unternehmen oder Einzelpersonen geben, die sich nicht an die Regeln halten, und wir erwischen sie vielleicht nicht sofort. Wenn wir jedoch auf ein Problem aufmerksam werden, handeln wir sofort und schrecken nicht davor zurück, unsere Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen zu beenden.“

Wann ist Scheinselbstständigkeit gegeben?

Im Zusammenhang mit dem neuen Frachtpartner-Programm von Amazon wird das zu starke Abhängigkeitsverhältnis der Partner kritisiert. Ein Vorwurf, der in Richtung Scheinselbstständigkeit geht. Aber wann ist diese überhaupt gegeben? Laut Gesetzgeber trifft diese Bezeichnung auf Personen zu, die formal wie selbstständige Auftragnehmer auftreten, tatsächlich jedoch abhängig Beschäftigte sind. Merkmale einer Scheinselbstständigkeit können folgende sein:

  • die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten

  • die Einhaltung bestimmter Arbeitszeiten

  • die Verpflichtung, dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen

  • in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten arbeiten zu müssen

  • die Verpflichtung, bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind.

Ab wann eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist immer im Einzelfall durch den Sozialversicherungsträger zu prüfen. Eine tatsächliche Selbstständigkeit liegt in der Regel vor, wenn das unternehmerische Risiko in vollem Umfang selbst getragen wird und die Arbeitszeiten frei gestaltet werden können. Der Erfolg des finanziellen und persönlichen Einsatzes ist dabei ungewiss und hängt nicht von dritter Seite ab. Insgesamt führte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Zollverwaltung zwischen 2018 und 2020 rund 15.500 Geschäftsunterlagenprüfungen in der Logistikbranche durch. In diesem Zeitraum wurden 10.376 Strafverfahren eingeleitet. Allerdings verweist die Generaldirektion des Zolls darauf, dass Fälle von Scheinselbstständigkeit nicht gesondert erfasst werden.

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