Citylogistik auf dem Wasser

In immer mehr Städten sind Staus an der Tagesordnung – und darunter leidet auch die Versorgung. Doch was wäre, wenn keine Lkw sondern Binnenschiffe den Nahverkehr übernähmen?

Der Schlüssel zur Erhöhung des Binnenschifffahrtsanteils am Güterverkehr liegt in der Erschließung neuer Märkte. Davon ist Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), überzeugt. Umso mehr, da bisherige Geschäftsfelder wie der Kohletransport aufgrund der sinkenden Zahl von Kohlekraftwerken einbrechen. Kleinere Schiffe könnten wieder eine größere Rolle übernehmen, da sie – anders als die meisten Einheiten, die auf dem Rhein unterwegs sind – kanal-, nebenwasserstraßen- und schleusengängig sind. Und im besten Fall wären sie wendig genug, um bisher nicht ausgelastete Wasserinfrastrukturen nutzen zu können.

Öko-Lösung auf dem Wasser

Wenn die Binnenschiffe dann noch elektrisch angetrieben und damit lokal emissionsfrei sowie mit eigenem Ladegeschirr ausgestattet wären, könnten sie sogar eine Rolle in der Citylogistik spielen und das Straßennetz in Innenstädten entlasten – sofern ein Wasseranschluss besteht. Sind diese Einheiten dann noch autonom oder zumindest in vielen Belangen automatisiert unterwegs, wären sie aufgrund der geringen oder sogar gar nicht gegebenen Personalkosten sehr günstig unterwegs. So ließe sich beispielsweise der organisatorische und kostenintensive Nachteil der eventuell erforderlichen Umladung für die letzte Meile ausgleichen. Wirtschaftlichkeit muss bei allen Projekten von vornherein mitgedacht werden.

Abgesehen vom Güterverkehr in Venedig gibt es weitere Citylogistikbeispiele, die bereits funktionieren, wenn auch nicht automatisiert. Dazu gehört etwa ein Boot, das seit September 2020 Sendungen vom DHL-Servicecenter Heathrow ins Stadtzentrum von London befördert. Elektrofahrzeuge bringen die Packstücke zum Schiff. Am Bankside-Pier in London übernehmen dann Lastenfahrräder den Transport auf der letzten Meile. Vorteil: schnelle Verbindung, weniger Straßenverkehr in der Metropole, weniger CO2-Ausstoß. Im niederländischen Utrecht zur Versorgung von Kneipen und Entsorgung von Müll, in Amsterdam, Göteborg und etwa in Paris gibt oder gab es ähnliche Projekte.

Autonome Systeme am Start

Andere befinden sich im Forschungsstadium und setzen auf einen deutlich reduzierten Personaleinsatz. Dazu gehört das Projekt „A-Swarm“ (Autonome elektrische Schifffahrt auf Wasserstraßen in Metropolregionen). Die Idee: Kleine autonome, elektrisch angetriebene Einheiten nutzen freie Kapazitäten auf Binnenwasserstraßen, können sich aneinanderkoppeln und suchen selbstständig ihren Weg zu in Berlin verteilten, dezentralen Güter-Hubs. Post-Projekt-Vision: Die Boote werden auch ohne menschliches Zutun be- und entladen. Projektpartner sind die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala), die Schiffbau-Versuchsanstalt (SVA) Potsdam als Konsortialführer, Infineon Technologies, Veinland, das Institut für Automatisierungstechnik an der Universität Rostock und die TU Berlin.

„Zwei 6 Meter lange Schiffskörper sind schon gebaut und werden in der Schiffbau-Versuchsanstalt getestet – noch aber mit wenig Technik an Bord“, erläutert Tim Holzki, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin im Fachgebiet Entwurf und Betrieb maritimer Systeme. Das Projekt bestehe aus mehreren Teilen, eins davon sei das Logistikkonzept, um das sich TU und die Behala kümmerten. „Aktuell wird im Logistikteil überlegt, welche Güter transportiert werden könnten, Betreibermodelle werden durchdacht und mit möglichen Verladern gesprochen“, so Holzki. „Potenzielle Partner aus dem Paketbereich gibt es für den Demonstrator schon. Die Behala baut bereits einen Mikrohub im Westhafen in Moabit auf, von wo aus die Paketbeförderung mit Lastenfahrrädern über die letzte Meile gehen soll.“

Eine andere Umschlagstelle ist zunächst am Charlottenburger Verbindungskanal geplant, weitere sind in alten Berliner Hafenteilen und an Sportbootstationen möglich. „Damit das System erfolgreich sein kann, sind sowohl die Autonomie als auch der elektrische Antrieb entscheidend, um ökologisch und ökonomisch punkten zu können sowie die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung zu erlangen“, erläutert der Forscher den Anspruch des Projekts.

Ladegeschirr soll an den Be- und Entladestationen am Kai stehen, die Fahrzeuge böten dafür zu wenig Platz und wären mit einer solchen Ausrüstung zu teuer, so Holzki. Allerdings sollen die Schiffe in der Größe skalierbar sein, so dass bei weiteren Entwürfen auch ein Kran an Bord denkbar wäre. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Projekt läuft bis Mitte 2022 und soll die Machbarkeit einer solchen Logistiklösung durch einen Demonstrationsbetrieb im Berliner Westhafen zeigen.

Schwärme von Roboterschiffen

Städte der Nordsee-Region wie Hamburg, Delft, Gent und Leuven stehen im Mittelpunkt des Projekts „Avatar“ (Nachhaltiger städtischer Güterverkehr mit autonomen Null-Emissions-Schiffen). An diesem europäischen Vorhaben, das bis Mitte 2023 läuft, ist unter anderem die Universität Oldenburg beteiligt. In den von Kanälen durchzogenen Orten wurden bereits früher Güter und Menschen mit Booten befördert. Nun soll diese Form des Transports mit Roboterschiffen wieder aufleben: Geplant ist, Personen, palettierte Waren und Abfall stündlich zwischen externen Umschlagzentren und innerstädtischen Verkehrsknoten zu befördern. Die Uni Oldenburg befasst sich im Projekt mit Rückfalllösungen, um in kritischen Situationen von einem Leitstand aus die Kontrolle über die Schiffe übernehmen zu können.

Im Ruhrgebiet arbeiten Forscher des RIF Institut für Forschung und Transfer und des Entwicklungszentrums für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) gemeinsam mit Partnern wie Konecranes Terex MHPS im Projekt „DeConTrans“ zusammen: Schwärme kleiner, standardisierter und speziell entwickelter Schiffe sollen auf den Kanälen der Region emissionsfrei und leise Container mit Waren aller Art zu kleinen, automatisierten Umschlagplätzen bringen. Die Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur und die Senkung der Personalkosten sollen den wirtschaftlichen Durchbruch ermöglichen. Automatisiert werden Festmachsysteme, Krananlagen und das Fahren selbst. Schiffe, Umschlaggeräte und Lkw werden in einem Transportsystem miteinander vernetzt. Ausprobiert wird das System in einem virtuellen Testfeld, das die relevanten Systemkomponenten prototypisch modelliert und die Simulation verschiedener Szenarien ermöglicht. Das Projekt läuft bis September 2021.

Projekt Watertruck

Auch einen Binnenschiffsentwurf mit eigenem Teleskop-Portalkran gibt es bereits (Projekt „Watertruck“). Er könnte Container ohne Hafeninfrastruktur löschen und laden. Gebaut wurde so eine Einheit – wie so viele andere innovative Entwürfe auch – bisher nicht. Manches ist noch nicht ausgereift, vieles scheitert an der Finanzierung und der langen Zeitspanne, bis solche Konzepte mit hohem konstruktivem Aufwand oder teurer Technologie an Bord sich amortisieren könnten. Soll der Anteil der Binnenschifffahrt am Modal Split aber wachsen, hin zu den geplanten 12 Prozent bis 2030 (aktuell: knapp 7 Prozent) müssten wohl entsprechende Förderprogramme her – zusätzlich zu dringend erforderlichen Investitionen in die teils marode Infrastruktur. (ben)

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