Warum TMS heute schon von gestern sind

Seit mehr als vier Jahrzehnten verlaufen die Weiterentwicklung der Transportlogistik und die Digitalisierung Hand in Hand. Begonnen hat alles in den Speditionen mit Transportmanagementsystemen (TMS). Nun steht diesen eine historische Zäsur bevor. Ein Gastbeitrag von Dietmar Haveloh.

Dietmar Haveloh, Key Account Manager beim Softwarehaus Anaxco. (Foto: Anaxco)

Vernetzung und Planung sind die Treiber für die Digitalisierung in der Transportlogistik. Sie sind der Schlüssel zur Beschleunigung von Logistikprozessen. Denn wer mit anderen zusammenarbeitet, dabei den Status der eigenen Arbeit kennt und so die eigenen Ressourcen besser auslastet, nutzt die entscheidenden Faktoren für mehr Effizienz.

Als die ersten TMS entstanden, ging es zunächst darum, das auf Papier geführte Speditionsbuch durch ein elektronisches zu ersetzen. Dann kamen nach und nach weitere Funktionen hinzu. Bildlich gesprochen, war das TMS in der IT das, was als Schal begonnen hatte, zum wärmenden Pullover geworden. In dieser Phase setzte aber auch eine Entwicklung ein, die uns aus unserer heutigen Sicht auf ergänzende Systeme logisch erscheint. Die aber zum damaligen Zeitpunkt den Entwicklern der TMS gar nicht bewusst ein konnte. Denn nachdem die Grundstruktur vernetzter Zusammenarbeit in der IT solide stand und die deutlich beschleunigten Transporte eine neue Phase des Güterverkehrs mit starkem Wachstum einleitete, begannen die Optimierungen. Die Speditionen verfeinerten ihre operativen Prozesse und ließen sich für die komplexeren Abläufe auch eine darauf abgestimmte Software schreiben. Die Innovationen wuchsen exponentiell im Vergleich zur eigentlich einfachen Grundidee der TMS. 

Eingebaute Komplexität

Womit zu Beginn niemand gerechnet hatte, war jedoch, dass damit die TMS sukzessive Funktionen erhielten, die nur bedingt mit der Grundidee zusammenhingen. Die Entwicklungen machten den Quellcode und die dafür benötigten IT-Ressourcen immer komplexer und unüberschaubarerer. Um im Bild zu bleiben: Die Software-Entwickler strickten immer weiter an ihren Pullovern. Sie setzten Rollkrägen an, nähten Verzierungen auf und behielten jahrzehntelang nur ein einziges Kleidungstück in ihrem Schrank – für alle Anlässe und Wetterlagen. Mit einem Schmunzeln mag man sagen, dass sich die Handschuhe für besonders kalte Tage auch noch trefflich am Abschluss der Ärmel anschließen ließen. Da sie es aber versäumten, auch Socken, Hosen und Schuhe zu entwerfen, strickten sie ihren Pullover länger und länger, bis dieser mehr und mehr einem Nachthemd ähnelte und sich zu einer beträchtlichen Stolperfalle entwickelte. Denn die TMS wurden so zwar immer leistungsfähiger aber auch deutlich komplizierter und waren für die eigentlichen Aufgaben in diesen Spezialbereichen mehr schlecht als recht geeignet. Hinzu kommt, dass die Entwicklungszeit für Neuerungen auch länger und risikobehafteter wurde – schließlich mussten sie ja an das bestehende Konstrukt gestrickt werden.

Neuer Weg ohne Altlasten

Was wir als Softwareentwickler heute noch sehen ist, dass wir kontinuierlich den Blick unserer Kunden für Gesamtprozesse und nicht nur für technische Insellösungen schärfen müssen. Die Unternehmen wollen zukunftsfähige Technologien nutzen, haben aber Sorge, ihre eingespielten Prozesse aufzubrechen. Innovation bedeutet hier aber, das „Running System“ einem Change zu unterziehen. Wie heißt es so schön? Viele Köche verderben den Brei. Jedenfalls wird das Mahl nicht besser, wenn alle unabhängig voneinander nachwürzen.

In der Supply Chain erfasst jeder nur das vom Auftrag, was für seine Arbeit notwendig ist. Das verändert dessen Status. Am Schluss muss die Abrechnungsabteilung nochmals prüfen und korrigieren. Geht man den umgekehrten Weg und die Erfassung sorgt für korrekte Auftragsdaten, dann dauert es da zwar länger aber alle nachfolgenden Arbeiten basieren auf validen Daten. Lediglich die Ausnahmen, wie etwa fehlerhafte Erfassung oder Veränderungen, verbleiben zur Korrektur. Wenn nun die Software auch noch plausibel die Auftragsqualität prüft, dann gewinnen alle nachfolgenden Arbeitsschritte an Qualität und Geschwindigkeit.

Ein TMS muss keine Eingangsrechnungen überprüfen, aber sehr wohl mit den Ergebnissen der Prüfung für die Abrechnung der Transporte weiterarbeiten können. Auch muss es nicht Aufträge auf Papier lesen können, aber die Inhalte verstehen. Moderne TMS sind mit additiven Services also Beispiele moderner Kollaboration. Damit verändern sich auch die Aufgaben in der Entwicklung von Speditionssoftware.

Individuelle Lösungsbündel

Unser Unternehmen zum Beispiel erlebt das unmittelbar, denn wir sind Microsoft-Partner und haben unser Produkt in deren Technologieumgebung integriert. Darin gibt es eine Vielzahl neuer und bereits bewährter Technologien, die sich auch für den Einsatz im Speditionsumfeld eignen. Ein fast schon klassisches Beispiel dafür ist die Auswertung abgeschlossener Leistungen mit Business-Intelligence-Systemen. Denn diese Technologie markiert gewissermaßen den Übergang zwischen dem alten Entwicklungspfad für Speditionssoftware und einem neuen Weg. Erste Versuche mit direkt ins TMS integrierten Analysewerkzeugen zeigten nämlich rasch, dass der große Leistungsbedarf für Auswertungen ein operatives Arbeiten rund um den Monatsabschluss nahezu unmöglich machte.

Heute sind in diesem Bereich – durch die neue Arbeitsteilung – dagegen bereits dynamische Berichte mit Echtzeitdaten möglich. Auch den Einsatz künstlicher Intelligenz erleichtert uns dieser Lösungsbaukasten erheblich. So werden IT-Unternehmen sukzessive auch vom Softwareentwickler zum Softwarearchitekten und Prozess-Consultant, der für individuelle Prozessoptimierungen weitere Standardlösungen in den Gesamtprozess integriert. Ein Weg, der Innovationspotenziale für die Nutzer erschließt, während gleichzeitig unser Kernprodukt überschaubar, agil und dynamisch bleibt.

Das TMS erhält ein neues Gewand

Die Entwicklung der TMS in seiner bisherigen Form wird mittelfristig an ihr Ende gelangen. Nicht, weil es die Entwickler versäumt hätten, neue technologische Wege zu gehen, wie die Beispiele belegen. Viel gravierender: Ihr Ansatzpunkt hat sich in der Logistikwelt von heute deutlich verändert. Denn für weitere Optimierungen des Transportgeschehens ist es nicht mehr ausschließlich der richtige Weg, bei den Ressourcen der Spedition anzusetzen. Wer Planungen präziser und ihre Ergebnisse belastbarer machen will, muss andere Datenquellen erschließen und sich auf neue Ziele fokussieren. Denn der Megatrend in der Logistik entwickelt sich seit längerem weg von der Produktionsentsorgung über den Spediteur hin zu einer empfängergetriebenen Logistik. In ihr werden die Wünsche und Kapazitäten des Empfängers zu den Prämissen der Steuerung. Digitale Avisierungsprozesse, wie sie ein Teil der Speditionen heute bereits nutzt, sind Vorboten dieser Entwicklung.

Ganzheitliche Planung

Für eine optimale Ressourcenauslastung brauchen Speditionen künftig also bereits Informationen über die Vertragsabschlüsse der Händler und Produzenten, um Transportprozesse punktgenau zum Abschluss zu bringen. Perspektivisch betrachtet, werden sie sich dafür mit den ERP-Systemen ihrer Kunden verbinden müssen, um den Wunschtermin für eine Zustellung gleichzeitig mit der Produktionsplanung zu erfahren. Auf diese Weise werden dann auch Konzepte denkbar, deren Begriffe längst gefunden sind, wie etwa Logistik 4.0, in der sich die Güter ihren Transportweg selbst suchen. Die Spedition steuert dann weiterhin ihre Aufträge. Planung und Management der Transporte werden in der Supply Chain aber immer mehr von der Quelle an die Senke wandern – und so auch das klassische TMS vor neue Herausforderungen stellen. (ben)

Zum Autor

Dietmar Haveloh ist Key Account Manager beim Softwarehaus Anaxco und denkt als Verfechter innovativer Konzepte Prozesse aus veränderten Perspektiven. Außerhalb dieser Gedanken spielt er gerne Basketball, tourt mit seiner Harley an Rhein und Mosel und entspannt in seinem Garten.

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