Der lange Abschied vom Fax
Die Zukunft ist digital oder zumindest digitalisiert - das gilt für alle Lebensbereiche. Egal ob im Handel oder in der Produktion - überall werden Geschäftsmodelle, Services und die dahinterstehenden Prozesse digitalisiert. Aber gilt das auch für Speditionen? Müssen kleine und mittelständische Transportunternehmen wirklich bald allen ihren Lkw-Fahrern kündigen und sich stattdessen mit selbstfahrenden Transportern oder Drohnen auseinandersetzen, die – maximal ausgelastet von cleveren Algorithmen – Ware automatisiert an Droppoints ab- und umladen und anschließend ebenso automatisiert wie transparent die Abrechnung zwischen Kunden und Dienstleister auslösen?
Tatsächlich ist ein solches Szenario für die kommenden fünf bis zehn Jahre noch utopisch. Dass ein Großteil der Auftragsabwicklung aber weiterhin wie gewohnt über Telefon und Fax erfolgt, ist allerdings ebenso unwahrscheinlich. Auch die kleinste familiengeführte Zwei-Mann-Spedition darf die Augen nicht mehr davor verschließen, dass Digitalisierung stattfindet – und das jeden Tag ein bisschen mehr. Kunden kommen damit in Kontakt in ihrem Wohn- und Kinderzimmer, sie erleben sie im Restaurant und im eigenen Auto und schlussendlich stellen sie auch in ihren eigenen Betrieben die Weichen immer stärker auf digital. In gleichem Umfang steigen die Erwartungen an ihre Geschäftspartner und Dienstleister. Wer keine Anstrengungen unternimmt, die Zusammenarbeit mit digital optimierten Services und Prozessen immer mehr zu erleichtern, darf sich nicht wundern, wenn er über kurz oder lang von neuen Anbietern im Markt ersetzt wird, die mehr Kundenorientierung – oder neudeutsch: Customer Centricity – versprechen. Und nein: Auch die längste und beste Kundenbeziehung der Welt wird diese Entwicklung nicht stoppen können.
Wie ein Algorithmus die herzliche Mirjam ersetzte
Das zeigt unter anderem das Beispiel der Hotelleriebranche, die als eine der ersten die Auswirkungen der Digitalisierung zu spüren bekam. Das kleine sympathische Familienhotel in Flensburg-Mürwik hätte es zwar eigentlich auch im 125. Jahr seines Bestehens verdient, dass Kunden dort immer wieder buchen, weil "die Mirjam" am Empfang immer so herzlich und persönlich ist. Tatsächlich aber wird ein Großteil der Gäste die Location wechseln, wenn sie Zimmerverfügbarkeiten und Preise telefonisch erfragen müssen, statt diese zu jeder Tages- und Nachtzeit online abrufen und buchen zu können.
Und es geht noch weiter: Denn ein Blick in die Buchungszahlen des kleinen sympathischen Familienhotels zeigt: Längst reserviert die Mehrzahl der Kunden ihre Zimmer nicht mehr telefonisch oder über die eigene Website. Stattdessen wird ein Großteil des Geschäfts von Plattformen wie Booking.com, Opodo und HRS vermittelt. Die sympathische und herzliche Mirjam wird im besten Fall nur die Kundenbewertung positiv beeinflussen können. Ansonsten spielt der Algorithmus maximal unemotional Zimmer nach Verfügbarkeit und Preis - und gegebenenfalls der Höhe eines Leistungsgebots des Hoteliers - aus. Als letztes Bindeglied zu den guten alten Bestandskunden bleiben nur noch ein richtig gutes Kundenbindungsprogramm oder Prämiensysteme wie Miles & More. Doch können hier große Ketten in der Regel bessere Benefits liefern als der lokale Kleinstbetrieb.
Wenn sich das Lager mit einem Mausklick anbinden lässt
Genau dasselbe wie in der Hotellerie wird unweigerlich auch in der Speditionsbranche passieren. Die persönliche Beziehung zwischen den Verladern und den Auftraggebern, die heute wie in keiner anderen Branche sonst noch immer durch Telefon und Fax aufrechterhalten wird, wird ersetzt werden durch Plattformen und Algorithmen, die Preistransparenz schaffen und den Wettbewerb verschärfen. Denn im Zweifel ist es jedem Kunden doch egal, welcher Name auf der Plane des Sattelaufliegers steht. Ihn interessiert vor allem, wer die beste Verbindung bietet und das zum besten Preis. Und schon heute gibt es Anbieter wie Warehouse One oder bis vor kurzem On Demand Commerce, die genau solche Services bieten und Speditionskunden mit dem Versprechen locken, dass sich Lager mit nur einem Mausklick anbinden lassen.
Das heißt natürlich nicht, dass die Speditionen alles, was sie bisher getan haben, von einem Tag auf den anderen in die Tonne treten müssen. Keiner erwartet von einem kleinen oder mittelständischen Betrieb eine riesige Digitalisierungskampagne, aber durchaus digitale Customer Centricity mit Augenmaß. Amazon lebt seit mehr als einem Vierteljahrhundert vor, wie ein Unternehmen aussieht, das kompromisslos vom Kunden her denkt. Dasselbe müssen Transportunternehmer künftig tun. Sie müssen sich in die Lage ihrer Kunden versetzen, herausfinden, wo in der Prozesskette es derzeit am meisten knirscht, wo die meiste Handarbeit erforderlich ist und wo ihre Kunden einen besseren Service erwarten würden. Genau an diesen Stellen muss Digitalisierung einsetzen.
Was Kunden sich wünschen, wissen sie am besten selbst
Weil mit jedem Jahr mehr die Betriebsblindheit zunimmt, sollten sich die Unternehmer dabei nicht nur auf ihr Bauchgefühl verlassen, sondern etwas tun, das so naheliegend ist, dass man es oft übersieht: ihre besten Kunden fragen. Schnell werden da Wünsche aufkommen nach automatisierter Auftrags- oder Rechnungsabwicklung oder mehr Transparenz in der Leistungserbringung und Sendungszustellung. Schließlich sind die Auftragnehmer aus ihrem privaten Alltag gewohnt, dass Paketdienste wie DHL ihnen Services wie Lieferung zur Wunschuhrzeit, alternative Zustellorte oder Sendungsverfolgungslinks anbieten. Dasselbe erwarten sie auch von ihrer Spedition. Denn vor allem bei Direktfahrten schaffen es die Lkw-Fahrer beispielsweise nicht immer termingerecht an die Rampe.
Auch jüngere Mitarbeiter oder Azubis im Unternehmen sind ein guter Ansprechpartner, wenn es um digitale Innovationen geht. Schließlich sind sie mit digitalen Medien aufgewachsen und haben vor ihrem Start im Transportwesen noch nie ein Faxgerät gesehen. Darüber hinaus sollten Unternehmen ihren Auftragsfluss durchgehen. Wo müssen Mitarbeiter manuell aus Papier Datensätze anlegen? Wo müssen Daten aus Dokumenten in Excel-Tabellen übertragen werden? Wo werden Excel-Listen aus Systemen gezogen? Und wo erledigen Mitarbeiter immer wieder die gleichen, wenig anspruchsvollen Tätigkeiten, die sich eigentlich auch durch ein System erledigen ließen?
Digitalisierung heißt Optimierung von Prozessen und Arbeitsschritten
Auch hier kann die Digitalisierung ansetzen – und das in kleinen Schritten und mit kleinen Verbesserungsprojekten. Denn Digitalisierung zum aktuellen Zeitpunkt heißt weder, die schönste Website zu haben, noch vollautomatisiert Waren von A nach B zu transportieren. Digitalisierung heißt heute vor allem, Prozesse zu optimieren sowie überflüssige und unproduktive Arbeitsschritte zu vermeiden.
Wer sich jetzt mit offenen Augen auf die Reise begibt, kann nicht nur als Kleinbetrieb optimistisch in die digitale Zukunft blicken. Er wird es auch eher schaffen, durch die Offenheit gegenüber Innovationen Mitarbeiternachwuchs auf sich aufmerksam zu machen. (ben)