Datenanalyse: Automatisieren wie Amazon

Es gibt zwar immer mehr und bessere Daten. Doch die meisten Unternehmen nutzen diese noch nicht wirklich aus. Die Königsdisziplin heißt Prescriptive Analytics.

Beim Onlineriesen Amazon gab es im vergangenen Jahrzehnt ein Projekt namens „Hands off the wheel“, also „Hände weg vom Steuer“. Die Idee: Vorhersagen so zu automatisieren, dass der manuelle Planer möglichst gar nicht mehr eingreifen muss. Die Systeme sollen die Arbeit übernehmen – und die Planer können etwas Sinnvolleres machen. Und irgendwann waren die maschinellen Vorhersagen tatsächlich so gut, dass die Anpassungen durch die Planer das Ergebnis nur noch verschlechtern konnten. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Automatisierung bei vielen Aufgaben durchsetzte.

Bei voller Automatisierung sprechen Datenexperten von Prescriptive Analytics. Präskriptive Analysen geben Auskunft darüber, was getan werden muss, damit ein bestimmtes Ereignis eintritt. Solche Lösungen reduzieren zum Beispiel ungeplante Ausfallzeiten, indem Mitarbeiter bestimmte Handlungsanweisungen vollautomatisch erhalten.

Robuster planen

Prof. Richard Pibernik von der Universität Würzburg beschäftigt sich – auch in zahlreichen Praxisprojekten – intensiv mit Prescriptive Analytics. Der Inhaber des Lehrstuhls für Logistik und Quantitative Methoden gab kürzlich in einem Webinar der Bundesvereinigung Logistik (BVL) einen Überblick. Das Gute sei, stellt Pibernik fest: „Firmen haben Zugang zu immer mehr Daten innerhalb und außerhalb des Unternehmens, die ihnen helfen können, mit Unsicherheiten besser klarzukommen.“ Externe Informationen können zum Beispiel Wetter- oder Kalenderdaten sein, Suchmaschinen-Anfragen oder Daten aus sozialen Medien.

„Alle diese Quellen können helfen, robuster zu planen.“ Allerdings: Die meisten Unternehmen verwenden laut Pibernik einfache Entscheidungslogiken, die die verfügbaren Daten nicht vollständig ausnutzen. Dafür hätten sie weder die Systeme noch das Personal. Und selbst wenn Daten gesammelt würden, gebe es in der Regel nur einfache Auswertungen, Reports, einfaches Data-Mining – und vieles sei Excel-basiert. Pibernik: „Das Ergebnis sind Prognosen, bei denen es um eine ganz einfache Extrapolation dessen geht, was in der Vergangenheit passiert ist.“

Hier spricht man auch von Descriptive Analytics. Dabei greift in aller Regel noch jemand manuell ein, der es aus Erfahrung oder aus dem Bauch heraus besser weiß. „Aus der Forschung zeigt sich aber: Das ist manchmal gut, aber in vielen Fällen werden die Ergebnisse eher verschlechtert“, sagt Pibernik. Sein Fazit: hoher Aufwand, aber geringe Entscheidungsqualität.

Prädiktive Analysen (Predictive Analytics) sind deutlich komplexer. Die Idee aber ist einfach: Hier wird versucht, mit Verfahren des maschinellen Lernens (ML) aus umfangreichen Datenquellen eine möglichst präzise Prognose abzuleiten, und zwar stark automatisiert. Doch auch hier gibt es dann wieder einen Entscheider, der manuell Anpassungen vornimmt.

Die ML-Verfahren haben Namen wie Deep Neural Networks, Extreme Gradient Boosting oder Random Forests. Egal welches Verfahren angewandt wird: Jedes versucht auf Basis von historischen Daten eine mathematische Funktion oder das Modell zu lernen, das am Ende die bestmögliche Prognose liefert. „Man weiß vorher allerdings nie, welches Verfahren am besten funktioniert“, sagt Pibernik.

Die Königsdisziplin

Die große Entwicklung sieht er bei der Königsdisziplin: Prescriptive Analytics. Hier wird aus Daten keine Funktion gelernt, die eine Prognose liefert, sondern es wird auf Grundlage zahlreicher Parameter gleich die optimale Entscheidung ermittelt. Man spart sich damit den Schritt der Prognose und theoretisch auch des manuellen Eingriffs. Hier werden ebenfalls Optimierungsmodelle mit maschinellem Lernen eingesetzt.

Prescriptive Analytics eignet sich laut Pibernik bei routinemäßigen Entscheidungen, die auf sehr regelmäßiger Basis mit einem relativ hohen Aufwand getroffen werden müssen. Dazu gehört zum Beispiel das Bestandsmanagement, also wenn es zum Beispiel um optimale Bestellmengen und Sicherheitsbestände geht, oder das Transportmanagement und hier die Frage, welche Kapazitäten benötigt werden. Auch Personal und Instandhaltung sind mögliche Bereiche. Die Entscheidungen werden dabei alle unter mehr oder weniger Unsicherheit getroffen. Unsicher ist zum Beispiel die Nachfrage oder sind Transport- und Wiederbeschaffungszeiten, Zeiten in der Fertigung sowie Produktionsausfälle.

Pibernik nennt auch Projektbeispiele. So geht es bei Lufthansa Technik Logistik Services um das Planen von Personalkapazitäten für verschiedene Schichten. Bei Mainpost Logistik dreht es sich um die Frage, welche Kapazitäten für verschiedene Sortierlinien benötigt werden. „Mit Prescriptive Analytics sehen wir da herausragende Performance-Verbesserungen“, sagt der Wissenschaftler.

Nächstes Beispiel Pharmalogistik: Hier arbeiten die Forscher mit zwei Start-ups namens Maisha Meds aus Afrika und MClinica aus Südostasien. Die Aufgabe ist sehr komplex. So geht es darum, für Tausende von Produkten und Hunderte von Standorten wie Apotheken und Lager zu bestimmen, wo welche Menge vorgehalten und wie viel bestellt werden soll. „Auch hier haben wir Unmengen von Daten, die wir mit weiteren anreichern können.“ Und auch hier sei das Ergebnis deutlich besser. Pibernik überrascht das nicht. „Ein Apotheker ist eben kein Logistiker. Er weiß auch nicht, was um ihn herum alles passiert, und er hat auch keine Super-Werkzeuge.“ Das Ganze laufe zentral und völlig automatisiert. Grundsätzlich sind Eingriffe aber immer auch noch möglich.

Weiteres Beispiel ist die Würzburger Firma Va-Q-Tec, die mit ihren Transportboxen stark in die Verteilung vom Coronaimpfstoffen eingebunden ist. Das Unternehmen betreibt ein globales Netz mit Containerstationen. Hier geht es darum, die Containerflüsse zu optimieren. Pibernik: „Zu jedem Container, der zurückkommt, spuckt die Maschine aus, wohin der Container am besten transportiert werden soll.

Aber das alles sind eben nur Projekte. „Wir stehen noch am Anfang“, sagt Pibernik. So seien noch viele Fragen offen, zum Beispiel: Wie wird das alles in den organisatorischen Planungsprozess und bestehende Systeme eingebunden? Welche Technik wird gebraucht? Wie sieht die Rolle der Planer künftig aus?

Der Übergang zu einer Automatisierung im Sinne von „Hände weg vom Steuer“ war selbst für Amazon nicht einfach. Für die vielen Unternehmen, die nicht so datengetrieben sind wie der Konzern, dürfte der Weg noch einmal deutlicher länger und steiniger werden, ist auch Pibernik überzeugt.

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