Das Metaverse als Chance für Logistiker

Die nächste Entwicklungsstufe des Internets wird einen noch umfassenderen und besseren Service ermöglichen. Davon können auch Logistikunternehmen profitieren. Ein Gastbeitrag von Nicole Tews und Joris D’Incà von der Strategieberatung Oliver Wyman.

Demonstration eines 5G-gestützten
Fahrerarbeitsplatzes für
ferngesteuerte Anwendungen
auf der Metaverse Science and
Technology Concept Exhibition
Ende Februar in Peking. (Foto: imago)

Als Jeff Bezos 1994 Amazon gründete, war nicht absehbar, wie stark der E-Commerce die Logistik und die Lieferketten verändern würde. Ebenso wenig lassen sich die Auswirkungen des Metaverse vorhersagen. Außer Frage steht aber, dass es einen starken Einfluss haben wird.

Metaverse ist ein Sammelbegriff verschiedener Technologien und Anwendungen. Viele Anbieter behaupten zwar, Metaverse-Leistungen anzubieten, eine einheitliche Definition gibt es allerdings nicht. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass Studien von potenziellen Metaverse-Anbietern oft Märkte in Billionenhöhe sehen – Marktgröße ist immer auch eine Frage der Abgrenzung. Unbestritten ist, dass viele Ressourcen in die Entwicklung fließen. Mit Blick auf die wesentlichen Aspekte für Logistiker ist das Metaverse als die nächste Entwicklungsstufe des Internets zu verstehen. Der Fokus liegt dabei auf vier gestalterischen Elementen:

  • Schaffen einer virtuellen Realität für Erlebniswelten: 3-D und Sensorik verbessern das Einkaufserlebnis substanziell und leiten eine neue Boomphase des E-Commerce ein. Die Produkte werden weiter individualisiert und mit virtuellen Elementen kombiniert. So kann beispielsweise der Konsument bei der Fertigung von Sneakern den ökologischen und sozialen Footprint verfolgen und mitbestimmen. Die Auswirkungen für Logistiker sind massiv: Die Zahl der Fertigungsstufen nimmt zu, die Losgrößen sinken, und Lieferketten werden komplexer sowie dynamischer.

  • Verknüpfen von virtuellem und physischem Eigentum: Blockchain-Technologien können virtuelle Objekte einem Besitzer zuordnen und ermöglichen Eigentum und Handel im digitalen Raum. Man besitzt, kann aber nicht anfassen. Für den Logistiker wird das Thema relevant, wenn physisches und virtuelles Eigentum verknüpft werden. So ist denkbar, virtuelle Eigentumswechsel in der physischen Realität abzubilden. Beispielsweise können digitale Container während des Transports den Besitzer wechseln und die Auswirkungen auf den Container in der realen Welt abgebildet werden.

  • Erweitern der Realität: Die Anwendungen von Augmented Reality, die über Metaverse-Lösungen und tragbare Geräte wie smarte Brillen in der Fläche verfügbar werden, können Effizienz, Produktivität und Sicherheit von Prozessen in der Logistik deutlich erhöhen. Beispielsweise können im Lager Arbeitsabläufe optimiert und Schulungsbedarfe reduziert werden. Der Fachkräftemangel ließe sich so entschärfen.

  • Zugang zur Meta-Cloud für Applikationen: Informationen von IoT-Sensorik werden in der Meta-Cloud gesammelt und konsolidiert. Der Workflow und Informationsfluss wird organisiert, und KI-basierte Optimierungs- und Steuerungsmaschinen werden verfügbar gemacht. Für die Logistik bieten sich vielfältige Anwendungen: Transparenzlösungen entlang der Lieferketten, virtuelle Control Tower, Prognosetools zur Kapazitätsplanung und Risikovorhersage in Lieferketten, digitale Zwillinge für das Management von Transportequipment und die Steuerung von autonomen Flotten. Sie haben das Potenzial, die Effizienz enorm zu steigern. Dabei werden die Anwendungen zunehmend standardisiert und für kleinere Anbieter verfügbar. Der Aufbau von Ökosystemen und virtuellen Logistiknetzwerken wird gefördert und schwerfällige Eigenentwicklungen von Transportmanagementsystemen ersetzt. Ähnlich wie bei Mobiltelefonen wird sich auch hier die Zahl der Applikationen schnell multiplizieren und die Dynamik möglicher Anwendungen beschleunigen.

Lieferketten werden durch das Metaverse komplexer. Physische Prozesse und Informationen werden enger verknüpft, und Prozesse werden effizienter sowie sicherer. Zudem wird die Systemlandschaft durch die Meta-Cloud offener und dynamischer. Daraus ergeben sich zahlreiche Chancen für Logistiker, ihren Anteil am Erfolg der Kunden durch einen umfassenderen und besseren Service zu steigern. Es werden vor allem diejenigen von der Entwicklung profitieren, die sich schnell und kompromisslos den Veränderungen stellen. Die Erfolgsfaktoren hierfür sind ein Technologie-Stack mit modularer Architektur und offenen Schnittstellen, Offenheit gegenüber Partnerschaften und Make-or-Buy-Ansätzen sowie die Fähigkeit, digitale Lösungen und Technikinnovationen schnell zu verankern.

Vor allem der letzte Punkt wird oft unterschätzt. Das Ausrollen von digitalen Lösungen zieht sich häufig über Jahre hin – zu langsam für die Metaverse-Welt.

Eine Frage stellen unsere Logistikkunden dabei immer wieder: Welche Differenzierungsmöglichkeiten habe ich in einer zunehmend durch digitale Lösungen geprägten Logistikwelt? Es gibt auch in Zukunft Möglichkeiten zur Abgrenzung: Das tiefe Verständnis der immer komplexeren Lieferketten der Kunden und das effektive Zusammenstellen aus dem breiten Anwendungsmenü werden den Wettbewerb entscheiden.

Eines darf trotz Metaverse-Euphorie nicht in Vergessenheit geraten: Zugang zu Transportinfrastruktur wird in einem Markt mit wachsenden Volumen und Belastungsspitzen immer wichtiger. Denn: Physische Infrastruktur lässt sich nicht im Metaverse abbilden. Logistiker müssen also künftig gleichzeitig durch die virtuelle und die physische Welt navigieren können. (cs)
 

Die Gastautoren Nicole Tews und Joris D’Incà sind Partner der Transport & Logistik Practice bei der Strategieberatung Oliver Wyman. Tews ist auf der Messe transport logistic am 9. Mai ab 16 Uhr Teilnehmerin der DVZ-Podiumsdiskussion „How to Wende – Digital meets Sustain“.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Weitere Inhalte

09.05.2023 | Messe München Halle A3 | 236

How to Wende – Digital meets Sustain

Die Megatrends unserer Zeit sind Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel. Sie verändern das Leben aller Menschen. Die digitalen Technologien...

09.05.2023 | Messe München Halle B2 Ost | 329

mariLOG - 12. internationale Konferenz für maritime Logistik

Wie lässt sich wieder richten, was Corona angerichtet hat? Über die Beziehung zwischen Carriern und ihren Kunden - geändert

10.05.2023 | Messe München Halle B2 Ost | 329

Energy for Logistics: Wird der Logistik der Stecker gezogen?

Die stark steigenden Energiepreise waren im letzten Jahr ein Dauerthema - und sind es immer noch. Denn das Preisniveau ist weiterhin hoch und das...

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben