Olaf Lies: „Wir müssen lernen, dass wir die Dinge machen“


Der niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsminister spricht im Interview über die wichtigsten aktuellen verkehrspolitischen Projekte und die Lage der SPD.

Olaf Lies gehört schon seit mehr als zehn Jahren zur niedersächsischen Landesregierung. (Foto: Henning Scheffen)

DVZ: Herr Lies, machen Sie sich Sorgen um die SPD?

Olaf Lies: Mit Blick auf die Umfragewerte stehen wir natürlich nicht da, wo wir gerne wären. Das gilt ja insgesamt für die Ampel. Aber es gab meiner Meinung nach noch keine Bundesregierung, die in so kurzer Zeit so viel bewegt hat und das auch noch unter dem Einfluss von diversen Krisen. In dieser Regierung stellt die SPD den Kanzler und die stärkste Fraktion. Sie leistet einen riesigen Beitrag. Ich finde es bedauerlich, dass es uns so wenig gelingt, das zu vermitteln. Wir wollen in Infrastruktur so viel investieren wie nie zuvor – und ich bleibe zuversichtlich, dass es uns gemeinsam mit dem Bund auch im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gelingen wird, Lösungen zu finden. Zudem beschleunigen wir so stark wie noch nie. Wir bringen die Energiewende mit einem Tempo voran, wie wir es noch nicht erlebt haben. Aber leider erreichen wir damit nicht den breiten Teil der Gesellschaft. Das muss uns nachdenklich machen. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir müssen klüger, besser und früher kommunizieren.

Meinen Sie mit diesem Weg auch den von Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagenen Deutschland-Pakt mit Planungsbeschleunigung und Bürokratieabbau?

Ja, das ist der absolut richtige Weg. Wir befinden uns in der Dekade der größten Veränderungen, die wir je erlebt haben. Das macht den Menschen Angst. Das verstehe ich. Auf der anderen Seite gibt es keine bessere Alternative. Deutschland-Pakt heißt, dass wir uns in der Politik langfristig auf zentrale Punkte verständigen, die weit über die Legislaturperiode hinausgehen. Trotz aller notwendigen und wichtigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition brauchen wir bei ganz elementaren Fragen ein gemeinsames Verständnis.

Was sind für Sie persönlich die wichtigsten verkehrspolitischen Themen in Niedersachsen?

Für uns sind die Entwicklung der Seehäfen und die Fahrrinnenanpassung beispielsweise der Ems entscheidend. Wir müssen eine gute Erreichbarkeit der Hafenstandorte sicherstellen. Güterverkehr seeseitig auf die Schiene zu bringen, war für mich schon in meiner ersten Amtszeit als Wirtschaft- und Verkehrsminister ein zentrales Projekt. Ich möchte weniger darüber reden, sondern mehr Projekte, die man umsetzen kann, auch machen. Wir haben eine Reihe sehr großer Infrastrukturprojekte in Niedersachsen. Da geht es vor allem um zwei Magistralen, zum einen die A39 in Nord-Süd-Richtung und zum anderen die Ost-West-Magistrale A20. Das sind zentrale Projekte, um die Wirtschaftskraft in Niedersachsen weiterzuentwickeln.

Welche Bedeutung hat für Sie der Logistiksektor für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen?

Niedersachsen ist für mich das logistische Herz Europas und der zentrale Kreuzungspunkt für die Schiene und die Straße. Unsere Seehäfen sind das Tor zur Welt und sichern zusammen mit Bremen und Hamburg die wirtschaftspolitische Entwicklung – und bald auch die Versorgung mit sauberer, unabhängiger Energie. Das funktioniert natürlich nur mit einem starken Logistiksektor. Diese Branche hat für Niedersachsen eine strategische Bedeutung. Wir leben das sehr intensiv, sehen aber natürlich auch die Schwierigkeiten der Branche.

Olaf Lies

Seit mehr als zehn Jahren ist der gebürtige Wilhelmshavener in unterschiedlichen Funktionen Teil der niedersächsischen Landesregierung. Im Februar 2013 wurde Lies als Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in das Kabinett Weil I berufen. Im November 2017 wurde er Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, weil das Wirtschaftsressort an den neuen Koalitionspartner CDU überging. Seit November 2022 ist Lies nun Minister für Wirtschaft, Bauen, Verkehr und Digitalisierung.

Wie sieht für Sie eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik für den Logistiksektor aus?

Der Logistiksektor wird von vielen Menschen leider oft als uninteressante Branche mit schlechter Bezahlung, schlechten Bedingungen und vielen ausländischen Arbeitskräften verbunden. Das ist fatal, weil die Logistik viele unterschiedliche Perspektiven bietet. Logistik ist nicht nur derjenige, der als Lokführer oder Lkw-Fahrer unterwegs ist. Es ist eine riesige Branche mit hochqualifizierten Arbeitsplätzen. Aber wir brauchen klare Regeln, eine vernünftige Sozialpartnerschaft und anständige Tarifverträge. Der sozialdemokratische Ansatz ist, Wirtschaft sozialpartnerschaftlich zu denken.

Wünschen Sie sich mehr Unterstützung für die Hafenpolitik?

Der Bund leistet derzeit einen Beitrag von etwa 40 Millionen Euro zu den Hafenlasten der Länder. Ideal wären jedoch 400 Millionen Euro, da unsere Hafenpolitik nicht nur Niedersachsen oder Hamburg betrifft, sondern das gesamte Land. Unsere Häfen werden künftig noch wichtiger, wenn es um die Versorgung des Industriestandorts Deutschland mit klimaneutraler Energie in Form von Gas geht. Dafür brauchen wir einen starken Bund an unserer Seite. Und der zeigt sich offen für gemeinsame Projekte. Insofern ist das eine nationale Verantwortung. Als Länder sind wir bereit, unseren Beitrag zu leisten, obwohl wir momentan hohe Investitionen für die Transformation unserer Häfen zu Energie-Hubs stemmen müssen. Positiv ist, dass sich die Diskussionskultur und die Bereitschaft zur Lösungsfindung auf Bundesebene in den letzten beiden Jahren deutlich verbessert haben. Anstatt wie früher abzuwinken, arbeiten wir nun gemeinsam an Lösungen.

Sehen Sie auch südliche Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg in der Pflicht?

Im Dialog mit südlichen Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg gestaltet sich die Zusammenarbeit oft schwierig. Ich denke, dass der Bund hier eine ausgleichende Funktion erfüllen muss. Und das tut er auch. Das gilt für die Häfen wie auch für andere Gemeinschaftsaufgaben wie die Agrarwirtschaft oder den Küstenschutz. Die Nicht-Anrainerstaaten leisten ihren Beitrag, während der Bund gezielt Investitionen im Norden fördert – ein kluger Ansatz, da unser Land als Exportnation wesentlich vom Seehandel und den deutschen Häfen profitiert.

Wie beurteilen Sie gerade die Bundesverkehrspolitik mit Blick auf die Schiene?

Bundesverkehrsminister Wissing geht einen konsequenten Weg, die Schieneninfrastruktur zu stärken. Die Bahn durchläuft gerade eine schwierige Zeit. Sie muss die Infrastruktur konsolidieren und in Qualität und Zuverlässigkeit investieren. Das sind alles unglaubliche Herausforderungen. Es gibt eine breite Koalition aus Ländern, Bund und Bahn, um diesen Weg gemeinsam voranzutreiben. Die bereitgestellten Mittel, die ja unter anderem aus der Mauterhöhung kommen, zeigen ein klares Umsteuern. Das ist nicht selbstverständlich, denn wir brauchen natürlich auch weiterhin eine gute Straßeninfrastruktur. Die Fortführung der Logistik auf der Straße und gleichzeitig die Stärkung der Schiene stellen eine erhebliche Belastung dar. Dennoch halte ich das politische Signal, mehr Geld für die Schiene zur Verfügung zu stellen und in Investitionen zu lenken, für richtig und unerlässlich.

Wie weit sind die Verhandlungen über die Sanierung des Korridors Hamburg–Hannover?

Es gibt drei Lösungsvorschläge. Erstens: Auf der Bestandsstrecke über Lüneburg und Uelzen erfolgt eine Generalsanierung. Zweitens: Die Bestandsstrecke wird durch ein drittes Gleis erweitert. Drittens: Die Deutsche Bahn will etwas ganz Neues entlang der A7 machen. Ich finde, dass wir das Machbare sofort beginnen sollten und dies hoffentlich bald mit dem Bund und der Bahn schriftlich fixieren können. Die Generalsanierung soll ein Instrument sein, um einen möglichst großen Teil umzusetzen. Wo es möglich ist, sollte sofort der dreigleisige Ausbau erfolgen und der Rest vorbereitet werden. Das würde schnell eine deutliche Verbesserung der Strecken mit einer Erhöhung der Kapazität bedeuten. Für diese Variante muss man sehr, sehr schnell sein. Bis 2026 werden wir das nicht schaffen. Deshalb möchte ich die Generalsanierung auf 2029 verschieben. Land, Bund und Kommunen müssten bis dahin hart arbeiten, um alle Genehmigungen rechtzeitig fertigzustellen. Mich ärgert dabei allerdings schon, dass wir seit vielen Jahren einen umsetzbaren und breit akzeptierten Vorschlag als Ergebnis eines offenen Vorschlags haben, seitdem aber nicht ein Meter des Projekts umgesetzt wurde. Das ist schon fatal. Alpha-E ist ein umsetzbares Modell – und wir sollten uns an dem tatsächlich Machbaren orientieren.

Niedersachsen ist für mich das logistische Herz Europas und zentraler Kreuzungspunkt für Schiene und Straße. Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Bauen, Verkehr und Digitalisierung in Niedersachsen

Das Land Niedersachsen hat Bahnstrecken übernommen, die sonst stillgelegt worden wären. Was versprechen Sie sich davon?

Infrastruktur, die sonst nicht mehr genutzt würde, haben wir als Land übernommen und eine Landesgesellschaft gegründet. Wir investieren in die Infrastruktur. Wir machen das, weil wir auch eine vernetzte Schieneninfrastruktur brauchen, die in der Lage ist, jenseits der großen Magistralen Alternativen zu finden. Wir wollen damit ein hohes Maß an Verlässlichkeit schaffen. Wir sind der Überzeugung, dass die Infrastruktur auch für die Hafenhinterlandanbindungen und vernetzten Verkehre eine zentrale Rolle spielt.

Zur Straße: Wie kommen Sie bei der Küstenautobahn A20 voran?

Ich hoffe, dass wir bald mal anfangen können. Wichtig ist das Projekt um Stade herum, um die feste Elbquerung umzusetzen. Ohne sie würde der Mehrwert dieser zentralen Ost-West-Verbindung nicht entstehen. Wir arbeiten mit der Autobahn GmbH eng zusammen, um die Planfeststellungsabschnitte zum Abschluss des Verfahrens zu bringen. Meine Bitte an den Bund ist, dass dann auch angefangen wird, wenn die Abschnitte fertig geplant sind, und er dann nicht abwartet, bis der letzte Kläger in der letzten Instanz noch eine Entscheidung erwirkt. Wir müssen in die Umsetzung kommen. Das ist die Dekade der größten Veränderungen, aber in dieser Dekade müssen wir auch die Investitionen voranbringen. Wir können nicht immer auf die letzte Gerichtsentscheidung warten. Wir müssen lernen, dass wir die Dinge machen. Das ist dann das, was wir neues Deutschland-Tempo nennen.

Warum ist die Projektplanung so schwierig?

Die Bundesregierung hat ja ganz schön Tempo gemacht. Wir müssen das aber auch in den zuständigen Behörden und Institutionen leben. Aber es bietet uns Chancen, Infrastruktur insgesamt schneller zu machen. Das fängt mit der Energieinfrastruktur und dem Ausbau der Netze an, die ja auch zentral sind für das Gelingen der Energiewende. Das gilt auch für die Schiene, aber eben auch für die Infrastruktur der Wasserstraße. Letztere wird immer gern vergessen. Die Bauarbeiten am Schiffshebewerk Scharnebeck hätten schon längst begonnen werden sollen. Gerade die Wasserstraße leistet einen riesigen Beitrag zur Entlastung der Straße und einen großen Beitrag für den Gütertransport. Und da sind wir wirklich nicht gut unterwegs.

Die Wasserstraße wurde bei der Genehmigungsbeschleunigung oder auch im Haushalt 2024 nur wenig berücksichtigt...

Das ist leider so. Die Wasserstraße ersetzt ja nichts. Auch die Straße oder Schiene nicht.

…und was können Sie als Land tun?

Man muss alle Verkehrsträger gemeinsam denken. Eine echte Beschleunigung ist notwendig, damit wir auch bei der Wasserstraße schneller werden.

Wie muss denn ein Bundesverkehrswegeplan künftig aussehen?

Für mich ist der Bundesverkehrswegeplan ein Bundesinfrastrukturplan. Es geht um den Bau und die Realisierung von Infrastruktur. Entscheidend ist, dass es nicht eine gute oder böse Infrastruktur gibt. Wir brauchen den Ausbau von Schiene, Straße und Wasserstraße. Die Zeit für neue Großprojekte ist vorbei. Wir haben eine Liste mit Bauvorhaben, die wir konsequent abarbeiten müssen. Logistikinfrastruktur auf der Straße sieht in zehn bis 15 Jahren nicht mehr so aus wie heute. Sie wird sich zwangsläufig entwickeln müssen, weil wir langfristig keine Fachkräfte mehr haben. Manche Vorhaben sind schon sehr lange in der Planung. Die müssen wir jetzt endlich umsetzen, auch wenn sie in Niedersachsen politisch umstritten sind. Wir werden uns nicht über alles einig sein. Aber ein neuer Bundesverkehrswegeplan muss gleich in der Präambel klarstellen, dass alle Verkehrsträger wichtig sind.

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