NRW-Verkehrsminister: „Wir müssen die Infrastruktur zukunftsfest machen“

DVZ: Herr Krischer, in Ihrer Amtsbezeichnung stehen Umwelt, Naturschutz und Verkehr. Welchen Stellenwert räumen Sie Verkehr und Logistik ein?
Oliver Krischer: Das ist in Nordrhein-Westfalen ein zentrales Thema. Wir sind ein Bundesland mit einer großen Infrastruktur über alle Verkehrsträger hinweg. Funktionierende Verkehrssysteme sind für die Menschen und die Wirtschaft im Land eine existenzielle Frage. Diese zukunftsfest zu machen, ist wesentlicher Teil meiner Arbeit.
Für den Straßengüterverkehr stehen nicht genügend Fahrzeuge mit alternativen Antrieben sowie Tank- und Ladeinfrastruktur zur Verfügung. Was können Sie als Landesminister tun, um der Branche eine Perspektive zu geben?
Der Verkehr ist ein Problemsektor, weil seine CO2-Emissionen zu hoch und seit Jahren nicht gesunken sind. Deshalb brauchen wir eine Doppelstrategie, die der Bund vorantreibt und wir als Land begleiten. Wir müssen die Flotten vor allem durch Elektromobilität dekarbonisieren, aber gleichzeitig auch Verkehr von der Straße auf die Schiene und das Binnenschiff verlagern. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur liegt mehr in der Zuständigkeit des Bundes. Wir sehen in der Binnenschifffahrt ein großes Potenzial, um Großraum- und Schwertransporte auf die Wasserstraße zu bringen. Dafür haben wir eine Initiative gestartet, um zu schauen, wie man Transporte zum Ausbau der Windenergie verlagern kann.
Um was geht es bei der Initiative?
Wir wollen die Rahmenbedingungen verbessern, damit Windenergieanlagen mit dem Schiff transportiert werden können. Das heißt, dass wir bestimmte Hubs identifizieren, wo die Teile auf- und abgeladen werden können. Im ersten Schritt geht es darum, die Logistik- und Energiebranche zusammenzubringen, um auszuloten, welche Rolle das Binnenschiff spielen kann und was wo ertüchtigt werden muss.
Wie würden Sie den Zustand der Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen beschreiben?
Alle Verkehrsinfrastrukturen in Deutschland sind in die Jahre gekommen und an vielen Stellen sanierungsbedürftig. Die Verkehrsmenge und auch die Belastungen der Brücken haben erheblich zugenommen. In den vergangenen Jahren wurde zu wenig investiert.
Was ist nun zu tun?
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag den Grundsatz Erhalt vor Neubau verankert. Brückensanierungen oder ein Ersatzbau sind bei der Infrastruktur im Moment die vordringlichste Aufgabe. Das bekannteste Beispiel ist die Rahmede-Brücke an der A45. Hier ist zwar der Bund verantwortlich, doch wenn die Brücke gesperrt ist, verursacht das große Verkehrsprobleme in Nordrhein-Westfalen.
Geht es auch bei Straßen um Neubau?
Ja, da wo es sinnvoll und erforderlich ist. Wir haben aber leider begrenzte Ressourcen beim Geld und beim Personal.
Der neue Bundesverkehrs- und Mobilitätsplan des Bundes kündigt sich langsam an. Überlegen Sie schon, welche Projekte Sie einreichen werden?
Der Bund macht den Plan, aber wir werden uns natürlich daran beteiligen, wenn wir gefragt werden. Bis jetzt hat uns aber noch nichts erreicht. Für NRW haben wir ein Landesverkehrsmodell, das wir als Basis für unsere Planungen auf Landesebene nutzen werden. Da geht es um unsere eigenen Bedarfspläne für beispielsweise Landstraßen oder den öffentlichen Personennahverkehr
Wie weit sind Sie mit dem Modell?
Wir sind gerade in der Schlussphase. Das Modell soll das zukünftige Mobilitätsverhalten der Menschen abbilden. Auf dieser werden wir dann evaluieren, welche Infrastrukturinvestitionen sinnvoll sind.
Wo sehen Sie die größten Nadelöhre in Nordrhein-Westfalen?
Mit knapp 18 Millionen Einwohnern haben wir eine sehr hohe Autobahn-, Schienen- und Straßendichte. Wir haben also nicht nur ein Nadelöhr, sondern ziemlich viele. Deshalb kann ich auch nicht das eine Projekt nennen. Bei der Schiene werden wir uns mit dem Bund zusammen sehr stark um den Knoten Köln und um Münster-Lünen kümmern müssen. Das sind nur zwei der Nadelöhre. Da habe ich angesichts der stark reduzierten Mittel beim Bund für die Bahn die Sorge, dass das gar nicht mehr finanziert oder stark nach hinten geschoben wird.
Hat Berlin signalisiert, dass das Projekt auf Eis gelegt werden könnte?
Wenn Sie hören, dass ursprünglich 45 Milliarden Euro für Schieneninvestitionen geplant waren und dieser Betrag nun auf 27 Milliarden reduziert wird, dann mache ich mir Sorgen um die Weiterfinanzierung. Fest zugesagt ist die Betuwe-Linie zwischen Oberhausen und Arnheim. Sie ist für uns ein sehr wichtiges Projekt, auf das wir lange gewartet haben. Aber wann und in welchem Umfang die Maßnahmen für den Knoten Köln angegangen werden, scheint offen. Wenn wir hier wieder zurückgeworfen werden oder das ganz infrage steht, wäre das für Nordrhein-Westfalen eine Katastrophe.
Für 2025 steht die Sanierung des Hochleistungskorridors Emmerich-Oberhausen an. Gibt es Zweifel?
Nein, zumindest ist das unser Wissensstand. In Nordrhein-Westfalen haben wir elf Korridore, die die Bahn identifiziert hat. Soweit ich weiß, sollen sie alle saniert werden. Unklar ist, wie es mit dem Neu- und Ausbau weitergeht, wenn 40 Prozent der Mittel fehlen. Ich habe Sorge, dass viele dringend notwendige Schienensanierungsprojekte infrage stehen könnten.
Nordrhein-Westfalen hat seine eigene Klimaanpassungsstrategie. Was beinhaltet sie?
Das ist ein sehr komplexes Thema und betrifft auch die Verkehrsinfrastruktur. Diese müssen wir klimaresilient machen. Da, wo wir sanieren, müssen Brücken mit einem deutlich größeren Querschnitt gebaut werden, weil wir mit mehr Hochwassern rechnen müssen. Im Straßenbau müssen wir mit Belägen arbeiten, die höhere Temperaturen aushalten. Die Binnenschifffahrt war in den vergangenen Jahren wegen Niedrigwasser eingeschränkt. Unternehmen investieren in Schiffe mit einem geringeren Tiefgang. Wir müssen damit umgehen, dass der Rhein weniger Wasser führt und die Schifffahrt dann trotzdem möglich ist.
Vertreter der Wasserstraße klagen, dass die Mittelausstattung im Haushalt zu gering ist, um den Ausbau zu realisieren. Ist das für Sie ein Thema?
Ich schließe mich den Klagen an. Zwischen dem, was wir an Mitteln zur Verfügung haben und dem, was wir tatsächlich für die Wasserstraßen und Häfen bräuchten, klafft eine große Lücke. Wir haben einen hohen Investitionsbedarf für Schleusen. Unseren Landesanteil stellen wir zur Verfügung, es mangelt aber an Geldern vom Bund. Ich denke, dass wir bei der Sanierung der Wasserstraße deutlich mehr machen müssen.
Die Diskussion über Querschnitte und Brückenanhebungen ist ja schon alt. Sehen Sie im Rahmen der Klimaanpassung eine Chance, dass sich da etwas bewegt?
Dabei geht es um doppellagige Containerverkehre. Früher spielte die Binnenschifffahrt in der Politik kaum eine Rolle. Ich glaube, dass sich die Prioritäten nun verändert haben. Seitens des Landes haben wir alles vorbereitet. Wir sind mit den Baulastträgern im Gespräch, wie das technisch funktionieren kann und die Genehmigungen schnell erteilt werden. Jetzt mangelt es noch an der Finanzierung des Bundes.
Nochmal zur Straße: Sie hatten letztlich vorgeschlagen, dass man bestimmte Umleitungsstrecken in Innenstädten für Lkw sperren sollte, wenn Brücken nicht befahrbar sind. Halten Sie das für einen gangbaren Weg?
Drei große Autobahnbrücken – Rahmede auf der A45, die A42 über den Rhein-Herne-Kanal und die A544 in Aachen – sind in NRW zur Zeit gesperrt. Die Lkw, die normalerweise über die Autobahnen fahren, weichen auf die umliegenden Straßen aus. Das nachgelagerte Straßennetz und die dort lebenden Menschen werden dadurch unglaublich belastet. Da muss man die Verkehre großräumig umleiten, damit die Straßen nicht kaputt gehen und neue Brücken nicht zerstört werden. Das sollte unser gemeinsames Interesse sein.
Ist das einfach so zu machen?
Das ist das Problem: Kommunen können über Durchfahrverbote entscheiden. Doch die Entscheidungen müssen rechtmäßig sein. Wir wollen gemeinsam mit der Branche und den Kommunen entscheiden, was sinnvoll ist. Wir benötigen einen guten Interessensausgleich. Das ist heute sehr kompliziert, sehr bürokratisch. Als die Straßenverkehrsordnung entwickelt wurde, gab es noch keine Autobahnsperrungen. Wir sind mit dem Bundesverkehrsminister in der Diskussion, damit wir Umleitungen einfacher und unbürokratischer gestalten können.
Das Straßenverkehrsgesetz ist vor kurzem im Bundesrat gescheitert. Warum haben Sie nicht dafür gestimmt?
Es gab vor allem von den CDU-geführten Bundesländern, aber auch von Teilen der SPD Bedenken, dass die neue Formulierung im Gesetz die Sicherheit im Verkehr nicht gewährleistet. Wir hätten mit Ja gestimmt, aber für die Unionsseite unserer Regierung war das so nicht akzeptabel. Deshalb hat sich Nordrhein-Westfalen enthalten, ebenso wie Baden-Württemberg, Hamburg und eine Reihe anderer Länder. Wir sind jetzt mit der Bundesregierung und den Ländern im Gespräch und auf einem guten Weg, das über den Vermittlungsausschuss zu lösen.
Welche Auswirkungen hat der Aufschub des Straßenverkehrsgesetzes auf die Kommunen?
Wir wünschen uns, wie die Initiative mit über 1000 Städten es fordert, dass Kommunen mehr Handlungsfreiheit bekommen. Das stellt grundsätzlich niemand infrage. Jetzt geht es erstmal in den Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern. Ich bin überzeugt, dass wir eine Lösung finden. Das Straßenverkehrsgesetz ist die Grundlage für die Straßenverkehrsordnung. Auch da müssen wir noch einmal ran. Es geht dann mehr um Details, unter anderem um das neue Schild für Ladezonen.
Zum Abschluss möchte ich Sie fragen, wie Ihrer Meinung nach das ideale Verkehrssystem der Zukunft für den Güterverkehr aussehen sollte?
Ich würde mir wünschen, dass wir endlich die Trendwende hinbekommen, Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern, und dass wir dafür die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Das können wir als Land nur bedingt beeinflussen. Mir ist aber wichtig, dass das Binnenschiff als emissionsarme Transportmöglichkeit noch einmal einen richtigen Push erlebt.