Güterverkehr soll EU-Binnengrenzen auch in Krisen passieren dürfen

Damit sich Staus an blockierten Grenzübergängen wie während der Corona-Pandemie nicht wiederholen, arbeitet die EU an einem Binnenmarkt-Notfallgesetz. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten haben sich nun auf einen Text geeinigt.

Der internationale Transportverband IRU stuft auch die Blockade wichtiger internationaler Verkehrswege durch protestierende Bauern als Krisenfall ein. Das Foto zeigt Landwirte, die den Verkehr auf der nordfranzösischen Autobahn A1 bei Lille zwischen Lesquin und Seclin lahmgelegt haben. (Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

In Krisensituationen wie etwa einer Pandemie sind die EU-Staaten künftig verpflichtet, den grenzüberschreitenden Verkehr von unverzichtbaren Gütern und Dienstleistern zu erleichtern, selbst wenn sie die Bewegungsfreiheit auf ihrem Staatsgebiet einschränken. Zudem müssen sie die EU-Kommission, Unternehmen und Bürger über ihre Maßnahmen zur Krisenbewältigung informieren. Diese Grundsätze sind in einem Gesetz zum Schutz des EU-Binnenmarkts in Krisenzeiten (Internal Market Emergency and Resilience Act – IMERA) festgelegt, auf dessen Text sich Unterhändler des Europäischen Parlaments (EP) und der Mitgliedsstaaten verständigt haben. Der Kompromiss muss noch vom EP und dem Ministerrat bestätigt werden.

Das Notfallinstrument solle im Binnenmarkt die Stabilität der Lieferketten für wichtige Güter und Dienstleistungen garantieren, erklärte der belgische Wirtschafts- und Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne für die EU-Ratspräsidentschaft. „In Krisenzeiten muss die EU vermeiden, ungerechtfertigte Hindernisse aufzubauen, gleichzeitig müssen Grundrechte inklusive des Streikrechts respektiert werden.“

Gründe für Grenzschließungen eingeschränkt

Der EP-Chefunterhändler Andreas Schwab (CDU) sagte, das Gesetz enthalte eine „schwarze Liste“ von Gründen, die eine Grenzschließung nicht mehr rechtfertigen. „Außerdem wird die Kommission Formulare für Dienstleister und Arbeitnehmer entwickeln, damit diese auch im Krisenfall die Grenze zur Arbeit überqueren können. Dies ist der erste Schritt, um im nächsten Notfall den Grenzübertritt per QR-Code zu ermöglichen, und in Richtung Digitalisierung der A1-Bescheinigung, an der die belgische Ratspräsidentschaft ebenfalls arbeitet“, erklärte Schwab.

Die EU-Kommission und eine neue Beratergruppe sollen die Risiken für den Binnenmarkt künftig mit einem Drei-Stufen-System bewerten.

  • Vorbeugung: Zeit für Notfallpläne und -übungen, Schulungen und den Aufbau eines Frühwarnsystems.
  • Wachsamkeit: Eine Krise droht und Kommission sowie Mitgliedsstaaten sollten unter anderem die für diese Krise besonders wichtigen Güter und deren Hersteller identifizieren und sich über Lagerbestände und Produktionskapazitäten informieren.
  • Notfall: Die Krise ist da. Die Kommission kann Informationen von Unternehmen anfordern, diese um vorrangige Produktion bestimmter Güter bitten oder bestimmte Waren (zum Beispiel Impfstoffe) für alle EU-Staaten oder gemeinsam mit ihnen einkaufen.

„Was die drei Stufen angeht, ist es wichtig, sich in den Phasen ‚Vorbeugung‘ und ‚Wachsamkeit‘ ausreichend vorzubereiten, um nicht überrascht zu werden, wenn ein Notfall eintritt“, kommentierte Raluca Marian, Leiterin der EU-Vertretung der International Road Transport Union (IRU), auf Anfrage der DVZ. Sie begrüßte, dass die Mitgliedsstaaten künftig Informationen über Beschränkungen des Grenzverkehrs auf Plattformen mitteilen müssten. „Es ist wichtig, dass diese Plattformen so rasch wie möglich eingerichtet werden“, sagte Marian.

Das Erfragen von Lagerbeständen und Produktionsdaten, gemeinsame Wareneinkäufe und andere Eingriffe in die Lieferketten sollten als „letzte Mittel“ genutzt werden, heißt es beim Ministerrat. Wenn Unternehmen zustimmen, krisenrelevante Produkte auf Anfrage der EU-Kommission bevorzugt herzustellen, sollen sie vor Regressansprüchen anderer Kunden geschützt werden, deren Aufträge sie dafür hintanstellen.

„Insgesamt hätte sich das Europäische Parlament deutlich mehr Ambition bei der strukturellen Vorbereitung auf eine künftige Krise gewünscht. Wir sind aber am Widerstand des Ministerrates gescheitert“, sagte Schwab.

IRU sieht auch Bauernproteste als Krisenfall

Die IRU hofft, dass die IMERA-Prinzipien künftig in allen möglichen Notfallsituationen von den EU-Staaten beachtet werden. Als Krisenfall stuft der Verband etwa auch die jüngsten Verkehrsbehinderungen durch Bauernproteste ein. An der Grenze zwischen Spanien und Frankreich seien dadurch wichtige Verkehrskorridore versperrt worden, und es habe Angriffe auf Lkw aus Spanien und Rumänien gegeben.

„Diese Situation ist nicht akzeptabel“, sagte Marian. „Die Proteste der französischen Landwirte gefährden Berufskraftfahrer, die lediglich versuchen, ihren Job zu machen und Bürger, Unternehmen und Gemeinschaften in der EU mit Waren zu beliefern.“

Die EU will mit dem neuen Gesetz Lehren aus der Covid-Pandemie ziehen, als durch nationale Grenzkontrollen, Reiseverbote und andere Einschränkungen Menschen zeitweise nicht an ihre Arbeitsplätze kamen, sich lange Lkw-Schlangen und Staus vor EU-Binnengrenzen bildeten und Lieferketten unterbrochen wurden. IMERA soll Initiativen wie die „Grünen Vorrangspuren für den Güterverkehr“ (Green Lanes) ergänzen.

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