Analyse: Deutschland und der Verkehrsinfarkt

Die Infrastruktur in Deutschland ist schlecht in Schuss: Straßen, Schienen, Wasserwege müssen saniert werden. Es wird Zeit, die Medizin zu schlucken und die unangenehme Gesundungskur anzugehen, um den endgültigen Zusammenbruch abzuwehren. Ein Plädoyer.

Die mittlerweile abgerissene Talbrücke Rahmede gilt als Symbol des Infrastrukturverfalls. (Fotos IMAGO/Hans Blossey)

Vor 30 Jahren prägte eine Veröffentlichung der Deutschen Bank die Rede vom Verkehrsinfarkt in Deutschland: „Strategien gegen den Verkehrsinfarkt“. Sie hat den schleichenden Verfall jedoch nicht aufhalten können. Viele gefühlte Mini-Infarkte und Bypässe später hält man einen Moment inne, wenn Verkehrsminister Volker Wissing die Sprengung der Rahmedetalbrücke im Sauerland als vollen Erfolg bezeichnet. Aus Sicht der Sprengmeister war sie das sicher, denn das Ganze lief kontrolliert ab und es kam niemand zu Schaden.

Andererseits ist die Sprengung einer Autobahnbrücke auf einer der wichtigsten großräumigen Verkehrsachsen wohl ein Fanal. Angesichts der Tatsache, dass bundesweit 4.000 Autobahnbrücken saniert werden müssen, muss man wohl Politiker sein, um diesen Tag als Tag des Optimismus und der Zuversicht zu bezeichnen.

Sanierungsfall Schienennetz

Zuversicht ist aber bitter nötig beim Blick auf das marode Bahnnetz in Deutschland. Die Deutsche Bahn AG fordert bis zum Jahr 2030 bis zu 80 Milliarden Euro zusätzliche Mittel für eine Generalsanierung der abgewirtschafteten Hauptabfuhrstrecken. Die Sanierungspläne sind weit fortgeschritten und angesichts des Zustands der Anlagen alternativlos. Auch wenn nachher alles besser werden könnte, sollte man angesichts dieser Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren realistischerweise nicht mit spürbaren Kundenzuwächsen rechnen.

Was läuft also schief mit der Verkehrsinfrastrukturpolitik in Deutschland? Ein Erkenntnisproblem kann es nicht sein, denn die Misere wurde auf zahllosen Konferenzen diskutiert, von Wissenschaftlern, Praktikern und Politikern bestätigt sowie in hochrangigen Kommissionen evaluiert. Forderungen wurden erhoben, Lösungen vorgeschlagen und teilweise sogar umgesetzt, wie die Idee einer Infrastrukturgesellschaft für das Autobahnnetz. Die aktuelle Situation lässt den Beobachter trotzdem ratlos und frustriert zurück.

Steigende Preise kompensieren steigende Förderungen

Offensichtlich reicht der seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts tatsächlich zu beobachtende „Hochlauf“ der Mittel nicht, um die Löcher zu stopfen, geschweige denn, den Bedarf an Aus- und Neubau zu befriedigen. In realen Größen lagen die gesamten Verkehrsinfrastrukturinvestitionen in den letzten Jahren tatsächlich nur rund ein Zehntel über dem Niveau Westdeutschlands von Anfang der 1980er Jahre. Mit dem seit geraumer Zeit zu beobachtenden dramatischen Anstieg der Preise für Bauleistungen wird es in Zukunft noch schwieriger, das reale Investitionsniveau zu halten.

Trotz aller Sonntagsreden wurde die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland seit Jahr und Tag auf Verschleiß gefahren. Schleichender Substanzverzehr ist besonders tückisch, da er einen dynamischen Teufelskreis beinhaltet, bei dem fortschreitende Qualitätsverschlechterungen immer höhere Aufwendungen zur Beseitigung der Schäden in der Zukunft nach sich ziehen. Oder schlicht einen Neubau. Dies ist ein Offenbarungseid von drei Dekaden gesamtdeutscher Verkehrspolitik.

Einen Teufelskreis von Problemen beobachten wir insbesondere bei der Eisenbahn: Der Instandhaltungsstau, den man jetzt angehen will, resultiert im Wesentlichen aus den Finanzierungsmodalitäten der Vergangenheit. Die Finanzierung von Aus- und Neubau über verlorene Zuschüsse hat einen gigantischen Shadow Asset Value generiert, für den im Transportbetrieb keine Abschreibungen verdient wurden.

Verkehr nimmt weiter zu

Dies alles kollidiert mit einer trotz wirtschaftlicher Krisen und den Nachwirkungen von Covid 19 – beziehungsweise den dadurch angestoßenen Verhaltensanpassungen – auf hohem Niveau befindlichen Verkehrsnachfrage. Weiteres Wachstum von Straßen- und Schienenverkehr ist angesagt, wie die im März vorgelegte „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“ für das Bundesverkehrsministerium bestätigt.

Was gilt es also zu tun, um die Qualität und Leistungsfähigkeit der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland mittel- bis langfristig wieder auf einen Stand zu bringen, der einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft angemessen ist? Und vielleicht auch wieder Aussichten auf den Titel des „Logistikweltmeisters“ eröffnet? Im Wesentlichen sind neue Rezepte wohl die alten. Sie müssten einfach befolgt werden.

Zwei Ansätze

Zum Ersten geht es um eine bedarfsgerechte und auskömmliche Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auch in Zeiten steigender Baupreise. Diese ist möglichst von den öffentlichen Haushalten zu entkoppeln und es sind zusätzliche Einnahmequellen aus der sogenannten „Nutzerfinanzierung“ zu erschließen. Ein wichtiger Schritt hierzu wäre der Einstieg in eine an Finanzierungserfordernissen orientierte Pkw-Maut. Kontraproduktiv im Hinblick auf eine stärkere Verfolgung der Nutzerfinanzierung ist dagegen die „Förderung“ (Subventionierung) der Trassenpreise für den Schienengüterkehr wie auch die geplante plumpe Quersubventionierung der Schieneninfrastruktur aus der CO₂-Maut für Lkw. Notwendiger Subventionsbedarf der Schieneninfrastruktur sollte ehrlicherweise aus allgemeinen Steuermitteln gedeckt werden.

Zum Zweiten geht es bei einer rationalen Verkehrsinfrastrukturpolitik um effizienzorientierte Regeln bei der Auswahl der zu realisierenden Projekte. Es geht um Nutzen-Kosten-Kalküle und nicht ausschließlich um Klimawirkungen. Verkehrspolitik muss darüber hinaus gewährleisten, dass die verfügbaren Mittel im Sinne des ökonomischen Prinzips bestmöglich verwendet werden. Dies adressiert den institutionellen Rahmen der Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur: Hier wurden im Bereich des Straßenwesens bereits Fortschritte durch die Etablierung der Autobahn GmbH gemacht, auch wenn nicht alle umgesetzten Maßnahmen überzeugen. Statt einer sauberen institutionellen Trennung von Netz und Transport bleibt es bei der Schiene leider nur bei einer „gemeinwohlorientierten“ Netzgesellschaft.

Die aktuelle Diskussion um eine Planungsbeschleunigung nur für Schienenverkehrsprojekte zeigt sehr deutlich, dass der infrastrukturpolitische Kompass immer wieder neu auszurichten ist – insbesondere in Zeiten eines vermeintlich absoluten Primats der Klimapolitik. (zp/fh)

Die Sprengung ist hier mitzuerleben: dvz.de/spiegel-talbruecke 

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