Christina Thurner: „Ich möchte auf keinen Fall eine Zweiklassengesellschaft“

Die bisherige Loxxess-Vorständin Christina Thurner plädiert im Gespräch mit der DVZ für mehr Diversität, Sichtbarkeit und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Einer Vier-Tage-Woche steht sie indes noch skeptisch gegenüber: Wenn, dann müsste dieses Modell für alle Mitarbeitenden möglich sein.
DVZ: Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass gemischte Führungsteams – bestehend aus Frauen und Männern – vergleichsweise mehr Umsatz erzielen. Spielt das Geschlecht für die Unternehmensführung tatsächlich eine Rolle?
Christina Thurner: Gemischte Teams sind auf alle Fälle immer stärker. So bringt man verschiedene Meinungen, Einsichten und Erfahrungen an einen Tisch. Das muss automatisch schon mit in den Umsatz und die Effizienz einfließen. Es ist absolut wichtig, dass wir divers aufgestellt sind und heterogene Teams haben.
War es für Sie und Ihre Familie von klein auf selbstverständlich, dass Sie mal ins Familienunternehmen einsteigen und dieses mit Ihrem Bruder fortführen würden?
Für mich war das nicht selbstverständlich. Auch wenn ich schon damals live dabei war auf dem Rampenfest beim Lkw-Ziehen, wollte ich trotzdem erst mal weg. Mit meiner Familie hatte ich den Deal, dass ich mich entscheiden darf, bis ich 33 Jahre alt bin. Großartig war, dass meine Eltern uns immer in dem Glauben haben aufwachsen lassen, dass wir dieselben Chancen und Möglichkeiten haben. Daran habe ich ziemlich lange geglaubt, bis ich Mitte 20 war. Erst dann habe ich festgestellt, dass das in der Realität gar nicht immer der Fall ist. Für meinen Bruder und mich war aber eigentlich immer klar: Wenn wir es beide wollen, machen wir es zu zweit.
Angefangen haben Sie damals aber nicht gleich als Chefin, sondern als Assistentin der Geschäftsführung bei Loxxess-Pharma. Würden Sie das immer wieder so machen?
Ja. Ich habe vorher auch in anderen Unternehmen gearbeitet, das war mir wichtig, gerade um Strukturen nochmal anders wahrzunehmen und Logistik in der Praxis zu erfahren. Das würde ich auch jedem raten. Ich konnte dadurch viel Stabilität und Sicherheit für mich gewinnen. Und dann geht es natürlich auch darum, eigene Ideen mitzubringen und umzusetzen.
Studiert haben Sie damals Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Logistik. Haben Sie sich über die Geschlechterverhältnisse in der Branche zu dem Zeitpunkt schon Gedanken gemacht?
Nein, habe ich nicht. Ich würde auch sagen, dass ich lange Zeit gar nicht wahrgenommen habe, ob es mehr Frauen oder Männer in der Branche gibt. Das kam erst später nach und nach.
Frauen sind in der Logistik gerade in herausgehobener Position noch vergleichsweise selten zu finden. Ist die Branche etwa nichts für Frauen?
Logistik ist sensationell für Frauen. Wir haben wirklich viele Berufsfelder und interessante Tätigkeiten. Dennoch wird die Branche leider oft nur sichtbar, wenn irgendetwas nicht funktioniert. Dadurch leidet das Image, und es tut auch der Frauenquote von derzeit rund 19 Prozent nicht gut. Wer möchte in eine Branche kommen, in der es keine Vorbilder gibt? Zudem leiden wir generell unter der Teilzeitfalle, da haben wir politisch und gesellschaftlich noch einen weiten Weg.
Wenn es um das Thema Karriere geht, heißt es, dass Frauen grundsätzlich mehr leisten müssten, um die gleichen Chancen wie Männer zu haben. Stimmt das?
Ich glaube, das darf man nie pauschalisieren. Dennoch haben wir Frauen aus meiner Sicht oft einen längeren Anlauf, gerade wenn man klein und zierlich gebaut ist, muss man erst mal beweisen, dass man genauso kompetent ist wie die männlichen Kollegen. Hinzu kommt, dass es oftmals vor allem die Frauen sind, die den Spagat zwischen Kindern und Karriere meistern müssen. Da könnte auch die Politik viel für uns leisten, um entsprechende Hürden abzubauen.
Immer wieder wird diskutiert, ob ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in Branchen wie der Logistik überhaupt erstrebenswert ist. Was meinen Sie dazu?
Das ist ganz klar in jeder Branche erstrebenswert, sonst fehlen die entsprechenden Meinungen und Sichtweisen am Tisch. Bei uns im Unternehmen haben wir insgesamt tatsächlich ein Verhältnis von 50:50 an Frauen und Männern. In Führungspositionen sind es 46 Prozent Frauen und im Management aktuell 25 Prozent. Zudem sind bei uns über 46 Nationen beschäftigt, das ist ein wunderbarer Austausch an kontroversen Meinungen.
Initiativen wie die Ladies Logistics Lounge wollen das Netzwerk von Frauen in der Branche stärken. Bringt das wirklich etwas oder überwiegt der Konkurrenzgedanke?
Ich finde, dass wir Frauen extrem schlecht im Vernetzen sind – dabei ist genau dieser Punkt das A und O. Wir Frauen sollten besser darin werden, uns gegenseitig zu unterstützen, zu empfehlen und nach vorne zu bringen. Initiativen wie die Ladies Logistics Lounge sind super dafür.
Der Logistik mangelt es nicht nur an Frauen, sondern generell an Fach- und Nachwuchskräften. Könnte die heiß diskutierte Vier-Tage-Woche helfen, mehr Menschen für die Branche zu begeistern?
Da scheiden sich die Geister der Experten derzeit noch, und es gibt auch viele unterschiedliche Ansätze. Ich persönlich glaube nicht, dass diese Maßnahme den Standort Deutschland gerade jetzt retten wird. Und ich glaube auch, dass es da eher um den Wunsch nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten geht und nicht prinzipiell darum, weniger zu arbeiten. Das wird oft missverständlich ausgelegt.
Das heißt, andere Aspekte sind derzeit wichtiger als Maßnahmen wie die Vier-Tage-Woche?
Es muss auf jeden Fall gut durchdacht sein – zum Beispiel die Frage, wer an welchem Tag frei haben darf. Ich möchte auf keinen Fall eine Zweiklassengesellschaft bei uns im Unternehmen. Das heißt, wenn wir sowas machen, dann muss es auch für alle möglich sein.
Um junge Menschen für die Branche zu begeistern, muss man sie erst mal erreichen. Beispielsweise über die sozialen Medien, womit sich Logistikunternehmen oft sehr schwertun.
Im Bereich Social Media sind wir tatsächlich noch Anfänger. Gerade mit so erfolgreich wachsenden Apps wie TikTok sollten wir uns als Branche für mehr Sichtbarkeit beschäftigen – und tun es aktuell nicht. Zum Thema Recruiting gehört für mich aber vor allem auch die Chancengleichheit: kein Gender Pay Gap, allen Menschen einen guten Arbeitsplatz bieten und auf ihre individuellen Lebensumstände eingehen.
Sind Logistikunternehmen grundsätzlich attraktiv genug für junge Menschen? Die Ansprüche auf dem Arbeitsmarkt sind in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen.
Es gibt viele in unserer Branche, die super innovativ sind, zum Beispiel mit Blick auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Den jungen Bewerbern ist das Thema Nachhaltigkeit total wichtig, und auch da sind wir als Logistikbranche richtig gut dabei, ebenso was Homeoffice-Möglichkeiten angeht. Von daher: Ja, Logistikunternehmen sind super attraktiv für junge Menschen, vor allem durch die Vielfalt.
Gen Z wird von älteren Generationen gerade durch den verstärkten Fokus auf eine gesunde Work-Life-Balance oft als faul und verwöhnt kritisiert. Ist das berechtigt?
Ich sehe das überhaupt nicht so. Wir haben total tolle junge Berufseinsteiger, die genau wissen, was sie wollen. Und was ich so schön finde: Sie können das auch kommunizieren. Von daher kann ich diese Kritik überhaupt nicht unterschreiben.