Panasonic: Vom Heimelektronik-Anbieter zum Lieferketten-Steuerer

Menschen der späten Generation X und der Generation Y dürften mit Panasonic vor allem Stereoanlagen verbinden. In Jugendzimmern in den 80er, 90er und 2000er Jahren waren die Hi-Fi-Türme, CD-Player und andere Unterhaltungselektronik des japanischen Herstellers allgegenwärtig. Zu kaufen gibt es sie noch heute, doch mittlerweile steht Panasonic für viel mehr – unter anderem für Logistik und Supply Chain Management.
Wir wollten mehr Agilität in die Firma bringen. Hideaki Harada, COO Panasonic Connect
Der Konzern hat dieses Geschäft 2022 in der Sparte Panasonic Connect gebündelt. Den Grundstein bildete die Übernahme des Big-Data- und Lieferketten-Management-Anbieters Blue Yonder im Jahr zuvor. 5,6 Milliarden US-Dollar legten die Japaner für das 2018 aus dem Zusammengehen der deutschen Blue Yonder mit dem US-Anbieter JDA Software entstandene Unternehmen auf den Tisch. Der Sinn der Transaktion? „Wir stellten damals unser Geschäftsportfolio auf den Prüfstand. Im Kern stand die Frage, in welchen Bereichen wir auch künftig nachhaltige Erträge erwirtschaften könnten. Die Antwort: Wir mussten in das Softwaregeschäft einsteigen“, sagt Hideaki Harada, COO von Panasonic Connect, im Gespräch mit der DVZ. Ein weiteres Motiv für den Zukauf sei gewesen, dass in japanischen Konzernen in der Regel ein recht traditioneller Managementstil vorherrsche. „Wir wollten mehr Agilität in die Firma bringen“, betont der Manager.
So also wurde die erst wenige Jahre alte Blue Yonder Teil des mehr als 100 Jahre alten Konglomerats aus Kadoma. Dazu muss man wissen: Panasonic steht für viel mehr als Unterhaltungselektronik. Das Unternehmen ist in zahlreichen anderen Geschäftsfeldern vertreten, von der Industrie über Energieversorgung und Automotive bis hin zu Gebäudelösungen. Panasonic Connect wiederum ist auch in der Chip-Montage aktiv, im Luftfahrtsektor oder in der Satellitenkommunikation. Das Unternehmen beschäftigt fast 30.000 Mitarbeiter, davon 17.500 außerhalb des Heimatmarktes.
Milliarden für die Transformation
Blue Yonder sollte dabei helfen, die Panasonic-eigenen Lieferketten zu optimieren, und zugleich Drittgeschäft abwickeln. Daher wurde in den vergangenen Jahren weiter kräftig investiert. „Wir haben noch einmal etwa 2 Milliarden Dollar für Übernahmen und Produktinnovationen ausgegeben“, sagt Wayne Usie. Er ist Strategiechef bei Blue Yonder. 2023 wurde der Reverse-Logistics-Anbieter Doddle gekauft. Im vergangenen Jahr kamen Flexis, ein Spezialist für Automotive Supply Chains, und One Network Enterprises hinzu. Letztere beschäftigen sich mit Control-Tower-Lösungen und Carrier-Anbindung. Und in diesem Jahr wurde mit Pledge ein Anbieter für das Emissions-Reporting und mit Inmar Post-Purchase Solutions ein Unternehmen übernommen, welches in erster Linie für Fedex Retouren organisiert.
In Summe steht Blue Yonder Usie zufolge mittlerweile für 1,34 Milliarden Dollar Umsatz und ist für gut 3.000 Kunden aus Automotive und Retail, der Halbleiter- und Life-Sciences-Branche und für Logistikdienstleister tätig. „Der Ansatz reicht von der Produktions- und Lieferkettenplanung bis hin zu deren Steuerung und Überwachung“, so Usie. Basis sei eine gigantische Datenwolke, an die diverse Verlader, Carrier und Logistikdienstleister angebunden werden können und die künftig immer stärker mittels künstlicher Intelligenz (KI) genutzt werde.
Themen wie Risikomanagement und Resilienz sind eine Gelegenheit.
Wayne Usie, Strategiechef von Blue Yonder
Das aktuell undurchsichtige und volatile Marktumfeld spielt Blue Yonder durchaus in die Karten. „Themen wie Risikomanagement und Resilienz sind eine große Gelegenheit für uns“, unterstreicht Usie. Entsprechend strebt das Unternehmen danach, seine Fähigkeit im Bereich Track & Trace auszubauen – „auch mittels weiterer Zukäufe“, so der Manager. Technologieseitig werde ferner daran gearbeitet, dass künstliche Agenten in der Lieferkettensteuerung verstärkt zum Einsatz kommen und diese künftig direkt miteinander interagieren.
Dabei komme es immer stärker darauf an, möglichst mit Echtzeitdaten zu arbeiten, um ein präzises Lagebild zu bekommen und mit Lieferkettenstörungen umgehen zu können. Ferner brächten die im Raum stehenden Zölle neue Herausforderungen mit sich. „Die Kunden möchten beispielsweise wissen, wie sie ihre Waren entsprechend umleiten oder ihre Zuliefererbasis verbreitern können.“
Neben der Aktualität der Daten spielt auch deren Qualität eine große Rolle, betont Usie. Diese habe sich zwar verbessert, „trotzdem gibt es noch eine Menge Arbeit, allein bei der Datenkonsolidierung“, so der Digitalisierungsexperte. So sei es beispielsweise herausfordernd, dass viele Kunden ihre Daten in diversen Systemen vorhalten. Er verweist etwa auf verschiedene SAP-Instanzen oder Produktkataloge, die mehrfach vorgehalten würden. Da werde es schwierig, akkurate Daten zu erhalten, selbst wenn diese im Grunde schon strukturiert seien.
Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, hofft Usie auf generative KI. Sie könne dabei helfen, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Daten sichtbar zu machen und Dinge exakt und in menschlicher Sprache zu beschreiben. Dies sei wichtig, um angesichts der Unmengen an Daten trotzdem präzise zu sein.
Weitere Zukäufe
Und wie geht die M&A-Geschichte von Panasonic Connect und Blue Yonder weiter? Wird sie überhaupt weitergeschrieben? Mit großer Wahrscheinlichkeit schon, da sind sich Harada und Usie einig. Wenn sich Gelegenheiten ergeben, sei man in jedem Fall bereit, weitere Zukäufe zu tätigen, betont Harada. Gerade bei den Themen Resilienz und Risikomanagement könnten die dann auch noch etwas größer sein, so Usie, einfach da die dort zu findenden Unternehmen eine gewisse Größe hätten. „Allerdings glaube ich nicht, dass wir so schnell wieder einen Deal im Umfang von Blue Yonder machen.“
Wichtiger als die Größe sei ohnehin, dass eventuelle Zukäufe das Angebot sinnvoll ergänzen. Zwei Bereiche findet Usie dabei besonders beachtenswert. „Den einen könnte man als Fintech bezeichnen.“ Heißt: Neben den Güterströmen könnte sich Blue Yonder künftig stärker den damit verbundenen Finanzströmen widmen. Und zweitens sind ihm zufolge das Segment der Cybersicherheit und Business-Continuity-Lösungen sehr spannend, um den Betrieb aufrechterhalten zu können, sollte es zu einem Zwischenfall kommen.



