Stückgut-Symposium: Netze zwischen Preisdruck und Innovation

Die Stückgutbranche wird durch steigende Kosten und die Klimapolitik herausgefordert. Beim 10. Symposium Stückgut der DVZ diskutierten die Akteure deshalb, welche Lösungsansätze vielversprechend sind.

Moderator Lutz Lauenroth diskutierte mit Aigul Zhalgassova (Siemens Digital Industries), Petra Welling (Online Systemlogistik), Helmut Schweighofer (DSV Road) und Alexander Tonn (Dachser) über die Anforderungen von Industriekunden an die Stückgutnetze (von links). (Foto: Daniel Koebe)

Die Stückgutbranche steht wirtschaftlich unter erheblichem Druck. Kosten steigen, Volumina stagnieren, die Anforderungen von Industrie und Handel nehmen zu. Zugleich verschärfen Klimapolitik, Arbeitskräftemangel und Digitalisierung den Veränderungsdruck. Führungskräfte aus Industrie und Logistik erläuterten beim 10. DVZ-Symposium Stückgut, wie die Netze auch künftig robust und wettbewerbsfähig bleiben können.

Stückgut liegt aus Sicht von Ewald Kaiser, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsnetzwerks Corporate Navigator und Senior Advisor bei McKinsey, mit einem Umsatzanteil von rund 20 bis 25 Prozent am Straßengüterverkehr im Spannungsfeld zwischen steigenden Kosten und faktischem Stillstand. „Über die letzten elf Jahre beträgt das Wachstum insgesamt lediglich 1 Prozent“, verdeutlichte er. „Gleichzeitig steigen die Kosten jährlich um 4 bis 5 Prozent. Das ist kein temporäres, sondern ein strukturelles Problem.“

Kaiser betonte, dass sich aktuell sowohl die Angebots- als auch die Nachfragesituation wandele. Produktionsverlagerungen, der Hochlauf der Elektromobilität und Nearshoring veränderten die Sendungsstrukturen und erhöhten den Bedarf an Feinverteilung. Während sich Marktanteile verschöben, entstehe Wachstum vor allem durch E-Commerce und das Privatkundengeschäft.

Um dort effizient agieren zu können, müsse die Steuerung der Systeme datenbasiert erfolgen. Frühere Erlösmodelle auf Basis von Intransparenz seien überholt. „Wer seine Daten nicht im Griff hat, verliert die Kontrolle über Preise, Qualität und Kundenbindung.“ Das Beispiel Cargoboard als digitaler Vertriebskanal der Kooperation Cargoline verdeutliche das Potenzial mit rund 2.000 Sendungen täglich, die dem Volumen zweier mittelgroßer Niederlassungen entsprächen. Zudem zeigten Einzelbetriebe mit zweistelligen EBIT-Margen, dass Profitabilität nicht von der Größe abhänge, sondern von konsequenter Steuerung.

Angesichts der derzeit geringen Auslastung vieler Netze warnte Dirk Lohre, Professor an der Hochschule Heilbronn, vor den Auswirkungen der Fixkosten auf die Ertragslage. Netzarchitektur, Standortzahl und Verkehre müssten unter Effizienzgesichtspunkten neu bewertet werden. „Die Anzahl der Standorte entscheidet maßgeblich über die Kostenstruktur“, unterstrich der wissenschaftlich Verantwortliche für den Stückgutkostenindex des DSLV Bundesverbands Spedition und Logistik.

Der Großteil der Sendungen liege unter dem Durchschnittsgewicht, „viele unter 200, manche sogar unter 90 Kilogramm“, so Lohre. Er empfahl Speditionen deshalb, Sendungen im Nahverkehr stärker zu bündeln und den Effekt der Stoppverdichtung über die Nachlaufkostensätze auch an die Versanddepots weiterzugeben. „Die Kapazitätsplanung wird zur Schlüsselaufgabe – trotz unsicherer Mengenperspektiven brauchen wir heute belastbare Entscheidungen“, resümierte der Hochschullehrer.

Helmut Schweighofer (Foto: Daniel Koebe)
Mich beschäftigt der hohe Fixkostenanteil jeden Tag. Helmut Schweighofer, CEO DSV Road

DSVs neue Stückgut-Plattform

Mit Spannung erwartet wurde der Vortrag von Helmut Schweighofer, der nach der größten Unternehmensübernahme der jüngeren Logistikgeschichte als CEO von DSV Road die Integration des Straßengüterverkehrs von DB Schenker verantwortet. Er beschrieb seine Aufgabe mit dem Ziel, Sammelgut-, Teil- und Komplettladungsverkehre modular steuerbar zu machen. „Es geht darum, eine Plattform zu bauen und weiterzuentwickeln, die Synergien hebt und skalieren kann.“

Angesichts eines nach Abschluss der Schenker-Integration selbst errechneten Marktanteils von „nur“ 6,5 Prozent strebe DSV weiteres Wachstum auch durch Akquisitionen an. Die neue Strategie kombiniere das standardisierte Schenker-Stückgutmodell mit dem bei DSV gepflegten Asset-Light-Prinzip. „Das schafft die besten Voraussetzungen für Skaleneffekte und Synergien“, begründete er die angepasste Ausrichtung. Dabei will der Dienstleister Fixkosten durch Sharing-Modelle reduzieren. „Mich beschäftigt der hohe Fixkostenanteil in unserer Kostenrechnung jeden Tag“, räumte er mit Blick auf die Ertragsziele aus dem Stückgutbereich ein.
 

Alexander Tonn (Foto: Daniel Koebe)
Wenn wir unsere Qualität halten wollen, brauchen wir ein belastbares Preisniveau. Alexander Tonn, COO Road Logistics, Dachser

Auch Dachser blickt auf ein Marktumfeld mit steigender Unsicherheit. Alexander Tonn, als COO Road Logistics sowohl für das Lebensmittel- als auch das Stückgutnetz des Familienunternehmens verantwortlich, beschreibt einen Markt im Umbau: Mengen und Sendungsstrukturen verschieben sich, Planung wird anspruchsvoller, Kunden verlangen zugleich Stabilität. „Wenn wir unsere Qualität halten wollen, brauchen wir ein belastbares Preisniveau“, forderte er in diesem Kontext.

Dabei setze Dachser in erster Linie auf ein starkes Netz ohne nationale Hubs, das mit einem hohen Maß an Standardisierung stabile Prozesse in lokalen Märkten reproduziert; die Verantwortung für den Kundenkontakt liege weiterhin vor Ort. Deshalb arbeite der Logistikdienstleister sowohl mit einheitlicher Infrastruktur und IT als auch mit einheitlichem Equipment wie Doppelstock-Megatrailern. „Nur so erreichen wir die erforderliche Auslastung“, betonte Tonn. Seit 2019 nutze Dachser Machine-Learning-basierte Prognosemodelle für Sendungsmengen, die besonders in Hochlastphasen hilfreich seien. Darüber hinaus investiere das Unternehmen gezielt in Ausbildung und Fahrerrekrutierung – auch über internationale Anwerbeprogramme.

Aus Perspektive der verladenden Industrie schilderte Aigul Zhalgassova, die als globale Transportmanagerin bei Siemens Digital Industries den europäischen Straßengüterverkehr eines großen Verteilzentrums in Nürnberg verantwortet, wachsende Anforderungen: „Wir erwarten Transparenz nicht nur bei Zeit und Kosten, sondern auch bei den CO2-Emissionen.“ Zudem seien papierbasierte Prozesse nicht mehr akzeptabel, Schnittstellen zum Unternehmen Pflicht. „Wenn wir eine Sendung in unseren Systemen nicht sehen, dann existiert sie nicht für uns“, unterstrich sie.

Stückgut sei für Siemens strategisch wichtig, „kein Lückenfüller, sondern Teil unserer Taktik“. Für die Auswahl eines Transportpartners zählten der Informationsfluss über die IT, zu den eigenen Transportwegen passende Relationen und die unternehmerische Haltung. „Wir wollen sehen, dass jemand bereit ist für Gespräche“, betonte sie. Der Konzern brauche keine Sonderlösungen, sondern belastbare Standards. Deshalb sehe sie die Marktkonzentration eher positiv, weil große, standardisierte Netzwerke globale End-to-End-Lösungen und Innovationen auch über KI-Anwendungen erleichterten.

Trotz der wachsenden Anforderungen hält Petra Welling, Geschäftsführerin von Online Systemlogistik (OSL), das Geschäftsfeld Stückgut für mittelständische Spediteure weiterhin für attraktiv. Ausschlaggebend sei aber, dass sie sich einem System anschließen, das zu ihren Kunden passe und ihnen Nähe und Erreichbarkeit als Differenzierung gegenüber Konzernen ermögliche. Online Systemlogistik schaffe solche Voraussetzungen durch zentrale Organisation mit gemeinsamer IT, einheitlichen Prozessen und kontinuierlicher Schulung: „Digitalisierung ist kein Privileg großer Unternehmen – bei uns profitieren alle Partner“, sagte Welling.

Gleichzeitig bleibe Raum für unternehmerische Eigenverantwortung. „Die Partner bleiben unabhängig, aber wir handeln strategisch abgestimmt“, verdeutlichte sie die Strategie. Welling kritisierte den Preisdruck durch große Netzwerke. Sie wünsche sich, dass diese „nicht auf Teufel komm raus ihre Linien auslasten“. OSL konsolidiere dagegen bei seinem nachhaltigen Produkt Green-Cargo die Sendungen sogar gegen einen Klimageld-Aufschlag für Umweltschutzprojekte. Kunden bezahlten für diese Optionen aber nur zögerlich, so dass viele Partner die Nachhaltigkeitskosten faktisch selbst tragen müssten.

Stephan Opel, Chef von NG.Network, will den Nachwuchs im Wettbewerb um Fachkräfte damit begeistern, dass sein Netz nachhaltige Lösungen entwickelt und konsequent umsetzt. (Foto: Daniel Koebe)
In den Pausen tauschten sich die Teilnehmenden angeregt über die Marktlage aus. (Foto: Daniel Koebe)

Systematische Innovation

Um den stetig wachsenden Aufgaben standhalten zu können, behandelt der IDS-Verbund Innovationsmanagement als „Überlebensaufgabe“, verriet Geschäftsführer Michael Bargl. Dabei ziele die Kooperation nicht darauf ab, neue Technologien zu entwickeln. „Wir setzen als Fast Follower auf Technologien, die bereits am Markt verfügbar sind, und nutzen sie für unser Netzwerk“, beschrieb er das Konzept. Die Kooperation investiere gezielt in Projekte mit kurzfristigem Return on Investment. Dabei lerne der Verbund schnell und breche rund 20 Prozent weniger geeignete Innovationsvorhaben nach dem Anfangsstadium gezielt ab.

Erklärtes Ziel der Entwicklungsarbeit sei es, den Sendungsdurchlauf vollständig zu digitalisieren. Dafür nutze der Verbund auch 3D-Kameras und Data-Matrix-Codes mit über 99,5 Prozent Leserate und spare dadurch bis zu 50 Prozent Personalaufwand beim Entladen. „Für jede weitere Automatisierung muss eine Sendung exakt vermessen sein“, benannte er eine Grundvoraussetzung. Innovationen flächendeckend im Netz einzuführen erfordere aber auch einen kulturellen Wandel, die Bereitschaft zur Veränderung bei allen Beteiligten: „Der Fokus liegt auf Struktur, nicht auf Genialität – und Innovation ist Chefsache.“

Aus Sicht von Stephan Opel, Geschäftsführer der Kooperation NG.Network, müssten sich die Netze auch beim Thema Nachhaltigkeit bewegen, um ihre Existenzberechtigung zu sichern und weiterhin attraktive Arbeitgeber zu bleiben. Das gelte vor allem für Nachwuchskräfte: „Die wollen wissen, was wir wirklich tun – nicht nur, was wir berichten“, mahnte er. Das erfordere einen tiefgreifenden Transformationsprozess bei Unternehmen und Politik. „Kooperationen und Verbundstrukturen ermöglichen uns dabei Innovationen, die Einzelunternehmen allein nicht stemmen können“, gab der NG.Network-Chef zu bedenken.

Diese Unternehmen verfügten oft weder über die Zeit noch die erforderlichen Ressourcen für Employer Branding oder Nachhaltigkeitskommunikation, so Opel weiter. Sein Verbund verstehe sich deshalb als Kommunikationsplattform, die gemeinsam eine Verbindung zwischen beiden Themenfeldern schaffe. Der dafür erforderliche Kulturwandel werde von sogenannten Networkern in die Organisation getragen. Zudem schaffe der Verbund mit seinem Projekt Zukunftsraum Nachwuchskräften ein Betätigungsfeld, auf dem sie eigene Vorhaben mit der Unterstützung von Mentoren umsetzen und sich deutschlandweit unternehmensübergreifend vernetzen könnten. Das stärke die Verbindung zur Kooperation und dem eigenen Arbeitgeber.

Zwar geraten die Stückgutnetze zunehmend unter wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Druck. Die Experten des DVZ-Stückgutsymposiums zeigten jedoch, wie Kooperationen mit konsequenter Arbeit an Struktur, Qualität und Skalierbarkeit ihre Aufgaben bewältigen können.

Schienenpotenzial mit Hürden

Stückgut per Bahn gilt als klimafreundliche Alternative zum Lkw. Doch im Gegensatz zur Schweiz fehlt in Deutschland dafür die wirtschaftlich tragfähige Grundlage, meint Nils Planzer, Inhaber des gleichnamigen Schweizer Logistikunternehmens. Er empiehlt, Rahmenbedingungen wie Nachtfahrverbote und eine hohe Maut aus der Schweiz zu übernehmen. Diese sorgten dort für starke Anreize zur Verlagerung und begründeten und die breite Akzep- tanz der Schiene.

Planzers Unternehmen transportiert über 60 Prozent der Sendungen im Hauptlauf auf der Schiene. Strategische Basis seien 13 eigene Schienenzentren, die Planzer von der SBB übernommen habe. „Die würde ich nie mehr hergeben“, betonte er deren Bedeutung. Die Bahn sei für ihn kein Prestigeprojekt, sondern Teil eines betriebswirtschaftlich sinnvollen Modells. Die leis- tungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) habe dabei eine zentrale Funktion: „Lkw zahlen das, was sie effektiv an Kosten verursachen.“

Operativ setze Planzer auf Verlässlichkeit und Transparenz bis auf Einzelsendungsebene. Nur wenn das System zuverlässig funktioniere, sei eine Verlagerung sinnvoll. „Stückgutspediteure können es sich nicht leisten, im Stau zu stehen“, preist er die Vorteile der Schiene. Sein Unternehmen wachse allerdings nicht mehr mit klassischem Stückgut, sondern durch Pakete und projekthaften Logistiklösungen. Auch Peter Reinshagen, Geschäfts- führer des Waggonvermieters Ermewa, wittert Potenzial für die Schiene im Stückgutbereich. Voraussetzung sei jedoch, dass Systeme, Prozesse und Partner abgestimmt zusammenwirkten. „Die Schiene kann Stückgut, wenn man es richtig organisiert“, sagte er.

Der Lkw werde weiter eine zentrale Rolle spielen, doch die Bahn biete ökologische Vorteile. Um sie stärker zu nutzen, brauche es moderne Wagen, Sensorik, digitale Steuerung und Echtzeitdaten. Reinshagen forderte gezielte staatliche Anreize, um verlässliche, wirtschaftliche und klimafreundliche Stückgutkorridore zu ermöglichen. 

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