„Der freiwillige Kompensationsmarkt hat ein erhebliches Qualitätsproblem“

Der Wirtschaftswissenschaftler Benedict Probst von der ETH Zürich spricht im DVZ-Interview über die Unzulänglichkeiten von Kompensationsprojekten und mögliche Lösungsansätze.

Benedict Probst: „Die wissenschaftliche Evidenz zeigt sehr deutlich, dass viele Kompensationsprojekte nicht das liefern, was sie versprechen.“ (Foto: Jana Grasselt)

DVZ: Herr Probst, Sie forschen an der ETH Zürich zu dem Thema „Net-Zero Emissions“ und haben kürzlich ein Arbeitspapier veröffentlicht, in dem Sie den sogenannten freiwilligen Kohlenstoffmarkt stark kritisieren. Was läuft dort schief?

Benedict Probst: Zum freiwilligen Markt gibt es zahlreiche Studien, die darauf hindeuten, dass viele der Projekte nicht dafür geeignet sind, eine reale CO₂-Kompensation zu gewährleisten. Den Firmen, die diese Zertifikate kaufen, werden oftmals Versprechungen gemacht, die nicht einzuhalten sind. Wir haben alle relevanten Studien zusammengefasst, die die Effektivität von Kompensationsprojekten für den freiwilligen Markt untersucht haben.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie der Markt funktioniert?

Ein Projektentwickler, der etwa eine Waldfläche vor der Abholzung bewahrt, kann nach einem bestimmten Prüfungsprozess CO₂-Zertifikate verkaufen. Die Anzahl der erzeugten Gutschriften richtet sich danach, wie viele Emissionen im Falle einer Abholzung theoretisch emittiert worden wären. Das Zertifikat wird dann von einer Firma gekauft, die bereits CO₂ ausgestoßen hat und das kompensieren möchte.

Wie ist das zu bewerten?

Die Emissionen verbleiben für Jahrhunderte bis Jahrtausende in der Atmosphäre. Doch der Wald, der diese Emissionen kompensieren soll, könnte in wenigen Jahren abbrennen oder durch andere Faktoren zerstört werden. Die Rechnung ginge dann also nicht mehr auf. Aber noch gravierender: Mehrere Studien deuten darauf hin, dass viele der Waldschutzprojekte gar keinen Wald geschützt haben, aber trotzdem CO₂-Zertifikate verkauft wurden.

Solche Projekte wären also nicht dafür geeignet, eine CO₂-Kompensation auszuweisen, weil sie die zeitliche Dimension nicht berücksichtigen?

Genau. Da CO₂ ein sehr langlebiges Klimagas ist, kann es auch nur durch langfristige Projekte ausgeglichen werden. Ein anderer Projektbereich sind die erneuerbaren Energien. Ein Zertifikat wird etwa dafür ausgestellt, dass durch die Errichtung einer Photovoltaikanlage Emissionen eingespart werden, die bei einer anderen Art der Stromerzeugung wie Kohleverstromung entstünden. Mehrere Studien bringen aber zum Ausdruck, dass viele der Anlagen auch ohne den Verkauf von CO₂-Zertifikaten gebaut worden wären.

Benedict Probst

Der Wirtschaftswissenschaftler Benedict Probst ist Senior Researcher an der ETH Zürich. Dort beschäftigt er sich mit der sogenannten grünen Transformation der Wirtschaft. Zuvor forschte und studierte er an der University of Cambridge und der London School of Economics. Seine Artikel erschienen in führenden Fachjournalen wie „Nature Sustainability“ sowie renommierten deutschen Tageszeitungen.

Was ist die wichtigste Erkenntnis aus Ihrer Studie?

Die wissenschaftliche Evidenz zeigt sehr deutlich, dass viele Kompensationsprojekte nicht das liefern, was sie versprechen. Diese Qualitätsmängel deuten darauf hin, dass das Problem systemisch ist. Weder Projektentwickler noch Zertifizierer, noch der Käufer haben einen Anreiz, nur in begrenztem Maße Zertifikate auf den Markt zu bringen oder zu kaufen. Das führt dazu, dass zu viele davon ausgeschüttet werden. Der freiwillige Markt für CO₂-Kompensation hat ein erhebliches Qualitätsproblem und sollte deshalb nicht für Kompensationen von langlebigen Emissionen verwendet werden. Waldschutz und erneuerbare Energien sind natürlich weiterhin wichtig, aber eben nicht als Projekte zur Kompensation von CO₂-Emissionen.

Es gibt schon länger Hinweise darauf, dass CO₂-Zertifikate oftmals nicht ausreichend geprüft sind, um wissenschaftlichen Standards zu entsprechen. Warum setzen viele Unternehmen weiterhin auf diese Art der Kompensation?

Weil es für sie nicht einfach ist, sich in diesem Kompensationsdschungel zurechtzufinden. Viele Unternehmen haben nach bestem Wissen und Gewissen CO₂-Kompensationen gekauft.

Was folgt daraus?

Firmen sollten nur dann über die Kompensation von Emissionen nachdenken, wenn sie einen ambitionierten Plan zur Minderung der eigenen Emissionen haben. Die Science Based Targets Initiative (SBTi) etwa bietet hier das beste Ziel-Framework. Sie macht deutlich: 90 Prozent der eigenen Emissionen müssen reduziert werden, die letzten 10 Prozent können dann über permanente CO₂-Entnahme kompensiert werden. Für viele Firmen ist diese Art der CO₂-Kompensation noch gänzlich neu. Nur permanente CO₂-Entnahme ist zur Kompensation von Emissionen geeignet.

Warum ist die CO₂-Entnahme besser zur Kompensation von Emissionen geeignet?

Die CO₂-Entnahme ist besser zur Kompensation geeignet, weil dabei in der Regel genauer berechnet werden kann, wie viele Tonnen aus der Atmosphäre entnommen werden. Das steht im Gegensatz zu den meisten Kompensationsprojekten, deren Berechnungen oftmals Szenarien und Hypothesen zu Grunde liegen. Zudem ist die CO₂-Entnahme sehr langfristig. Laut dem Leitfaden für Carbon-Offsetting der University of Oxford, müssen wir langfristig mehr auf die Entnahme setzen, weil nur diese Zertifikate sich wirklich dafür eignen, effektiv zu kompensieren. Andere Projekttypen werden wahrscheinlich langfristig verschwinden oder zumindest bei der Kompensation keine große Rolle mehr spielen. Diese Projekttypen werden dann eher als Beitrag zum Klimaschutz gesehen werden, aber eben nicht zur CO₂-Kompensation.

Und gibt es überhaupt genügend technische Kapazitäten, um große Mengen aus der Luft zu filtern?

Es gibt schon funktionierende Technologien, bei denen CO₂ aus der Luft gefiltert und im Untergrund gespeichert wird. Doch die Industrie für die Entnahme steckt noch in den Kinderschuhen.

Ab wann könnten CO₂-Entnahme-Zertifikate für Unternehmen eine Alternative sein?

Wie schnell das geschieht, hängt natürlich davon ab, wie viel in diese Industrie investiert wird und wie gut sich der entstehende Markt für CO₂-Entnahme-Zertifikate behauptet. Im vergangenen Jahr ist die Entnahme-Industrie um circa 500 Prozent gewachsen, und Start-ups aus dieser Branche haben mehrere Hundert Millionen Dollar an Kapital eingesammelt. Damit die Industrie ins Rollen kommt, müssen mehr Firmen in diesen Sektor hineingehen, aber auch vonseiten der Regierungen muss es mehr Klarheit geben.

Wie kann die Wissenschaft einen Einfluss auf derartig marktgetriebene Entwicklungen nehmen?

Ich glaube, die Wissenschaft ist ein sehr wichtiges Korrektiv. Viele Studien waren ja der Anstoß für Recherchen, Berichte und politische Maßnahmen. Wir können mit unserer Forschung dazu beitragen den jetzigen Markt ehrlich zu machen.

Bei dem neu entstehenden Markt für die CO₂-Entnahme wird es wichtig sein, dass die Wissenschaft die Spielregeln mitgestaltet. Besonders wenn es um die Berichterstattung der tatsächlich entnommenen Emissionen geht. Um sicherzustellen, dass die zertifizierte Tonne CO₂, die laut Zertifikat entfernt wurde, auch tatsächlich entfernt wurde und nur dann angerechnet werden kann, muss es klare wissenschaftliche Standards geben. Und der gesetzliche Rahmen muss die Einhaltung sicherstellen. (ol)

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