Uber-Prinzip für den Warentransport erobert China

In der Volkrepublik etablieren sich mehrere Plattformen, die Fahrer und Verlader zusammenbringen. Der Fokus liegt auf innerstädtischem Verkehr, das Modell funktioniert aber auch landesweit.

Foto: Stouffer/istock

China ist ein Land der großen Zahlen. Der Erfolg des Transportdienstes Didi Freight beeindruckt dennoch. Im September 2020, zwei Monate nach dem Start, wickelte das Unternehmen bereits 100.000 Transaktionen täglich ab, obwohl das Angebot zu dem Zeitpunkt lediglich in den beiden chinesischen Metropolen Hangzhou und Chengdu verfügbar war.

Der On-Demand-Logistikdienst Didi Freight gehört zu einer Handvoll von Anbietern, die den Transportmarkt des Landes revolutionieren. Ihr Vorbild sind die erfolgreichen Ride-Hailing-Apps, die Personentransporte über eine Smartphone-Anwendung vermitteln, wie die US-Anbieter Uber und Lyft. Entsprechend Taxifahrt lassen sich mithilfe der Plattform Transporte von Paketen oder größere Lieferungen organisieren.

Dafür stehen den Kunden fünf Fahrzeugtypen zur Verfügung, von kleinen Vans bis zu 4,2-Meter-langen Trucks. Das Angebot ist mittlerweile auf zehn Städte ausgeweitet, unter anderem gehören Beijing, Shanghai und Guangzhou dazu. Die Fahrer müssen jeweils Fahrzeughalter sein. Sie werden von Didi geprüft und erhalten ein Training, bevor sie über die Plattform ihre Dienste anbieten können.

Aktuelle Daten zur Auslastung und Anzahl der Fahrer nennt das Unternehmen nicht. Doch der Erfolg einer Kapitalerhöhung zum Jahresanfang zeigt, dass Investoren einen Markt für das Angebot sehen. Umgerechnet 400 Millionen USD wollte Didi Freight ursprünglich bei institutionellen Anlegern einsammeln. Doch die Nachfrage war so groß, dass daraus laut Medienberichten 1,5 Milliarden USD wurden. Zu den Kapitalgebern gehören Temasek, der Staatsfonds aus Singapur, und Yunfeng Capital des Alibaba-Gründers Jack Ma.

Schwerpunkt des Angebots sind Transporte innerhalb einer Metropole. Das würde schon das Größenschema der Fahrzeuge zeigen, sagte Gu Dasong, Leiter des Transportforschungszentrums an der Southeast University in Nanjing. Das System ist damit auch als Ergänzung für die großen Kurierdienste im Land interessant. Anbieter wie Yunda, STO oder YTO wickeln Ferntransporte genau wie Lager und Distributionslogistik innerhalb des eigenen Unternehmens ab. Für die letzte Meile setzen sie auf Unterauftragnehmer.

Trotz der rasanten Modernisierung, die die Volksrepublik in allen Lebensbereichen seit Jahrzehnten durchmacht, hinkt der Straßentransport hinterher. Nicht einmal zehn Jahre ist es her, dass die US-Amerikanerin Rachel Katz für ein universitäres Forschungsprojekt gut 10.000 Kilometer mit Truckern im Land unterwegs war, um die Branche und ihre Besonderheiten zu beschreiben. Eine ihrer Einsichten: Vermittelt würden Ferntransporte zu einem erheblichen Teil auf Märkten an den Stadträndern, wo die Fahrer jeweils für einzelne Touren angeheuert werden. „Kleine Vermittlungsbetriebe nutzen Kreidetafeln für Informationen über ausgehende Frachten von Fabriken in der Region“, beschrieb die spätere McKinsey-Beraterin die Situation. Zu der Zeit war China längst zu einem riesigen Binnenmarkt geworden.

Doch die Zersplitterung des Marktes hat eine effizientere Abwicklung lange schwierig gemacht. Große Speditionen sind im Land bis heute die Ausnahme. Rund 90 Prozent der Lastkraftwagen gehören den Fahrern, die als selbstständige Einzelunternehmer tätig sind. Für lange Touren nehmen sie einen Kollegen mit, um sich mit dem Fahren und Schlafen abzuwechseln.

Mit Plattformen wie Didi Freight wird das System der Aufträge auf Zuruf modern. „Der innerstädtische Warentransport dürfte in den kommenden drei bis fünf Jahren weiter mit einer Rate von fünf bis sieben Prozent wachsen“, erwarten die Analysten der Marktforschungs- und Strategieagentur Daxue Consulting. „Diese positiven Vorhersagen für den Frachtmarkt haben Didi zu dem Entschluss veranlasst, in den Markt einzusteigen und die Kundenbasis und den Markennamen zu nutzen, um Marktanteile zu gewinnen.“

Im Frachtmarkt ist Didi zwar ein Neuzugang. Unter der Marke Didi Chuxing ist der Konzern aber der unangefochtene Marktführer beim Ride-Hailing, das wörtlich übersetzt für “Fahrt herbeiwinken” steht. Die App funktioniert in 400 Städten in der Volksrepublik, über 500 Millionen nutzen sie mindestens einmal im Monat. Der nächste Anbieter in der Rangliste, Dida Chuxing, kommt laut Daxue Consulting nur auf ein gutes Zehntel. Das chinesische Marktvolumen schätzen Analysten auf 20 Milliarden USD, der Markt ist damit der größte weltweit. Zum Vergleich: In den USA liegen die Nutzerzahlen bei rund 100 Millionen. Vor dem Ausbruch der Coronapandemie lag das Marktvolumen bei knapp 15 Milliarden USD, ist im vergangenen Jahr aber auf rund ein Drittel geschrumpft.

Ob Didis Erfahrung ausreicht, um auch beim Transport von Waren ganz vorne mitzuspielen, wird sich zeigen. „Die meisten Beobachter sind überzeugt, dass in diesem Markt eine Fracht-Plattform mit einem klaren Marktführer entstehen wird, wie Didi beim Personentransport. Aber der Markt ist komplizierter, zersplittert und ohne klare Standards“, so ein Analyst eines chinesischen Logistikanbieters, der seinen Namen nicht genannt wissen wollte. „Der Wettbewerb wird heftig sein, und eine Menge Geld dürfte verbrannt werden.“

Einer der direkten Wettbewerber ist Huolala, international auch als Lalamove bekannt. 2013 gegründet, ist das Unternehmen ebenfalls hauptsächlich auf innerstädtische Transporte spezialisiert. Ende vergangenen Jahres war es mit 480.000 registrierten Fahrern in 352 Städten aktiv.

Im Unterschied zu Didi Freight müssen die Fahrer allerdings eine Art Mitgliedsgebühr zahlen. Außerdem melden sie sich für gesuchte Fahrten, während Didi die eigene Software nutzt, um Touren zu verteilen. So funktioniert das Prinzip auch bei Kuaigou, einem weiteren Anbieter in dem Markt, der unter anderem auch in Taiwan, Südkorea und Singapur aktiv ist.

Für Ferntransporte wird das Modell ebenfalls eingesetzt. Größter Anbieter ist hier die Full Truck Alliance, in der Volksrepublik unter dem Namen Manbang bekannt, zu deren Investoren der chinesische Tech-Konzern Tencent und Softbank aus Japan gehören. Manbang ist 2017 aus der Fusion von zwei Fracht-Apps nach dem Vorbild von Uber und Didi Chuxing entstanden, Yunmanman und Huochebang. Die App verknüpft Eigner größerer Lastkraftwagen mit Händlern. Den Truckern bietet sie auch eine Reihe weiterer Dienstleistungen, beispielsweise Finanzierung. Nach eigenen Angaben sind auf der Plattform 10 Millionen Fahrer und 5 Millionen Verlader registriert. Das Unternehmen nutzt Datenanalyse und Künstliche Intelligenz, um die Touren bestmöglich zu verteilen.

Die Erfahrung der vorhandenen Anbieter im Markt sei nicht zu unterschätzen, sagen auch die Analysten von Daxue-Consulting. „Sie bringen jahrelange Erfahrung in dem Markt mit, haben bereits einen großen Stamm von Kunden und eine starke Marke aufgebaut.

Didi Freight profitiert von dem Wachstum des E-Commerce in China, der die Nachfrage nach Transporten in sämtlichen Bereichen deutlich weiter wachsen lassen wird. Für das laufende Jahr rechnen Experten des Marktforschungsunternehmens E-Marketer damit, dass im Land erstmals über 50 Prozent des Einzelhandels online abgewickelt werden wird, eine weltweite Premiere. Sie rechnen mit einem Anteil des Online-Shopping von 52,1 Prozent, nach 44,8 Prozent 2020.

Zusätzlich unterstützt wird das Wachstum durch den neuen strategischen Fokus der Regierung für den 14. Fünf-Jahres-Plan, der Mitte März vom Nationalen Volkskongress verabschiedet wurde. Das von Präsident Xi Jinping bereits im vergangenen Jahr mehrmals vorgestellte Prinzip der „Dual Circulation“ soll beim Wachstum künftig vorrangig auf den Binnenmarkt setzen, den „inneren Kreislauf“. Der „externe Kreislauf“, also der internationale Warenhandel soll dieses Wachstumsfundament lediglich unterstützen. Warentransporte innerhalb des Landes dürften mit mehr Binnenhandel damit weiter an Bedeutung gewinnen. Keine schlechten Voraussetzungen für die Plattformen. (fho)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben