Der Traum vom klimaneutralen Fliegen

Der Luftfrachtsektor gilt nicht unbedingt als umweltschonend – doch das ändert sich derzeit. Mit nachhaltig erzeugtem Biokerosin können die Frachtflieger zumindest CO2-neutral unterwegs sein.

Foto: Istock

Kühne + Nagel machte den Vorreiter. Der Logistikkonzern, der mit einem Jahresumsatz von 4,7 Milliarden Euro (2020) internationale Nummer zwei in der Luftfracht ist, hat Anfang 2021 die weltweit erste CO2-neutrale Luftfrachtroute eröffnet. Auf der Strecke Los Angeles–Amsterdam setzt Partnerunternehmen Air France KLM Martinair (AFKLMP) Cargo ausschließlich mit Sustain Aviation Fuel (SAF) betankte Flugzeuge ein.

Anfang März folgt der nächste Coup. Mit American Airlines vereinbarte der Konzern in Schindellegi den Einsatz von 11 Millionen Litern SAF im Jahr. „Das entspricht 1 Prozent der weltweiten Biokerosin-Produktion“, erklärt Marcel Fujike, Senior Vice President Products & Services Global Air Logistics von Kühne + Nagel. Mit diesen Volumina könnte ein Großraum-Langstreckenflugzeug wie die Boeing 777F rund 13 Millionen Kilogramm Fracht von London nach Dallas, dem Heimatflughafen von American Airlines, transportieren.

Nachhaltigkeit nur mit SAF

Beide Projekte bringen endlich auch in der Luftfracht das konzernweite Net-Zero-Carbon-Programm voran. Dessen Ziele sind ehrgeizig: Kühne + Nagel möchte nicht nur die eigene CO2-Neutralität sicherstellen, sondern auch Fluggesellschaften, Reedereien und sonstigen Carriern bei diesem Ziel helfen. Das entspricht den Zielen von Scope 3 des Greenhouse Gas (GHG) Protocol: Wenn die Unterzeichner dieses 20 Jahre alten Nachhaltigkeitsstandards die in Scope 1 und 2 aufgelisteten direkten und indirekten Emissionen bilanziert und neutralisiert haben, sollen sie auch ihren Geschäftspartnern unter die Arme greifen. Solche Unterstützungsmaßnahmen sind freiwillig und sollen bis 2030 realisiert werden.

Bei der Luftfracht steht und fällt jede Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Einsatz von Biokerosin. Außerdem müssen die Carrier nicht in neue Flugzeuge investieren. Sonstige Maßnahmen wie der Einsatz von leichteren Ladungsträgern oder kompostierbaren Folien bringen erfahrungsgemäß nur wenig und sind nur mit zusätzlichen Investitionen zu realisieren. „Mit SAF können CO2-Emissionen im Lebenszyklus eines Flugzeugs um 75 Prozent verringert werden“, versichert Frederik van de Ven, verantwortlich für das Nachhaltigkeitsprogramm von AFKLMP Cargo. Der Carrier hat alle Geschäftspartner aufgerufen, Luftfrachtlinien mit SAF-Betankung zu nutzen. „Je mehr Unternehmen teilnehmen, desto preisgünstiger wird es für alle“, wirbt van de Ven. Gegenwärtig kostet der Öko-Treibstoff zwei bis drei Mal mehr als herkömmliches Kerosin.

Auch Bolloré wechselt auf Biokerosin

Das Engagement des Luftfahrtunternehmens fußt auf dem bereits 2012 gestarteten KLM Corporate SAF Programm. Mit 16 Partnern, darunter dem Finanzdienstleister ABN Amro und der Flughafengesellschaft Royal Schiphol Group, wollte KLM die Produktion von SAF finanzieren. Wegen hoher Kosten und knapper Kapazitäten trat das Programm jahrelang auf der Stelle.

75

Prozent weniger Emissionen durch Sustain Aviation Fuel.

2 bis 3

Mal so viel wie normales Kerosin kostet SAF.

100.000

Tonnen SAF will der Hersteller Sky NRG jährlich produzieren.

2019 machte SAF erst 1 Prozent des Kerosinaufkommens von KLM aus, der Emissionseffekt des Biokerosins, das mit herkömmlichem Treibstoff gemischt wurde, war bescheiden. Anfang 2021 öffnete das Unternehmen dieses Programm für Luftfrachtkunden. Sie können für alle Flugkilometer, die ihre Sendungen zurücklegen, in SAF investieren. Dem Pionierkunden Kühne + Nagel ist mittlerweile Bolloré Logistics gefolgt. Im Januar 2021 unterzeichnete das französische Luftfrachtunternehmen eine SAF-Vereinbarung für AFKLMP-Cargo-Verbindungen zwischen Paris und New York. Wenigstens 50 Prozent der bisherigen Emissionen sollen eingespart werden.

Solche Vereinbarungen sind auch deshalb möglich, weil der eingekaufte Treibstoff über jeden Zweifel erhaben ist. Die Zeiten, in denen Biokerosin aus angebauter Biomasse wie Palmöl, Raps und Soja hergestellt wurde, sind vorbei. Zum einen, weil die Emissionseinsparungen aufgrund der landwirtschaftlichen Produktion vergleichsweise gering ausgefallen sind, zum anderen mussten sich Fluggesellschaften wie Lufthansa, die vor Jahren mit Biokerosin aus Palmöl flogen, Vorwürfe von Umweltorganisationen anhören, sie würden die Zerstörung von wertvollen Wäldern und Wiesen unterstützen.

Nachhaltigkeit ist nachzuweisen

Solche Fehler wollen Kühne + Nagel und Bolloré Logistics nicht wiederholen. „Wir bestehen auf Treibstoff, der nachweislich nachhaltig produziert wird“, sagt Fujike. Der Logistikriese kann so auch Kosten reduzieren. Gemäß den GHG-Anforderungen müssen alle Emissionen, die bei der Produktion und dem Transport von SAF anfallen, mit Nachhaltigkeitsprojekten ausgeglichen werden. Infrage kommen vor allem Treibstoffe, die aus biogenen Rückständen und Abfällen hergestellt werden. Auch Tiertalg und Schlachtabfälle werden akzeptiert. Und dann gibt es noch Power-to-Liquid (PtL)-Produkte. Wer solche synthetischen Treibstoffe mit Elektrolyse herstellen will, muss Wasserstoff mit erneuerbarer Energie erzeugen, mit Kohlenstoffdioxid zu Kohlenwasserstoff umwandeln und anschließend zu Kerosin aufbereiten.

„Ein wirksamer SAF-Hochlauf kann kurz- und mittelfristig bis 2030 nur in Verbindung mit sogenannter HEFA-SAF erreicht werden“, versichert Nils Bullerdiek, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Diese Technologie für die SAF-Herstellung aus öl- und fetthaltigen Rohstoffen ist dem Energieexperten zufolge am weitesten fortgeschritten. Anfang 2022 nimmt im nordniederländischen Delfzijl die europaweit erste Produktionsstätte für Biokerosin aus solchen erneuerbaren Ressourcen ihren Betrieb auf. Hersteller Sky NRG will jährlich 100.000 Tonnen SAF produzieren. Hauptkunde ist KLM: Die Fluggesellschaft wird zehn Jahre lang drei Viertel der Produktionsvolumina nutzen.

Power-to-Liquid kommt in Fahrt

Aber auch die PtL-Technik kommt langsam in Fahrt. Im Umland von Kopenhagen will ein internationales Konsortium, dem unter anderem der Flughafen, SAS, die Reederei DFDS und die Logistikkonzerne A.P. Möller-Maersk und DSV Panalpina angehören, eine Großanlage für die Herstellung von Biokerosin und anderen klimaneutralen Treibstoffen bauen. Auf der norwegischen Halbinsel Heroya südlich von Oslo plant Norsk E-Fuel, ein weiteres internationales Konsortium, ein ähnliches Projekt ab 2023.

Solche und weitere Projekte werden allerdings am Preisgefälle nichts ändern. Auf absehbare Zeit wird SAF deutlich teurer als herkömmliches Kerosin sein. An der Faustregel, dass pro Kilogramm Luftfracht bis zu 2 Liter Kerosin getankt werden müssen, ändert sich vorerst nichts. „Wir benötigen für den SAF-Durchbruch Incentives und Regularien“, sagt Fujike. Wünschenswert wäre eine EU-Regelung über Mindestprozentsätze pro Tankfüllung. Immerhin in diesem Punkt herrscht Einigkeit. (ben)

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