„Wenn der Gashahn zugedreht wird, reißen Lieferketten“

Die verladende Wirtschaft sorgt sich wegen eines möglichen Energie-Embargos gegen Russland. Das machte DIHK-Vizepräsident Ralf Stoffels bei einer Diskussionsrunde von DVZ und BVL deutlich. Dass sich die Lieferketten-Situation in absehbarer Zeit entspannt, sei wenig wahrscheinlich. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die entsprechenden Sanktionen des Westens und insbesondere das im Raum stehende Einfuhrverbot für russisches Gas halten die verladende Wirtschaft und mit ihr die Logistikbranche in Atem. Sollte tatsächlich ein umfangreiches Embargo gegen russische Energieträger kommen, so würde dies die Wirtschaft massiv belasten. Das machte Ralf Stoffels, Vizepräsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) bei einer Online-Diskussionsrunde von DVZ und Bundesvereinigung Logistik (BVL) am Donnerstag deutlich. Es war der erste Teil der gemeinsamen Ukraine-Krisenkonferenz, die am 28. April von 11 bis 12 Uhr fortgeführt wird. Dann geht es schwerpunktmäßig um die operativen Auswirkungen des Krieges im Logistiksektor.

„Wenn der Gashahn zugedreht wird, reißen Lieferketten“, befürchtet Stoffels. Schließlich hätten diese auch schon vor dem Einmarsch der russischen Truppen in dem Nachbarland massiv unter Druck gestanden. Sein Unternehmen, die BIW Isolierstoffe GmbH aus Ennepetal bei Wuppertal, beispielsweise habe stark unter dem Hochwasser in Westdeutschland im vergangenen Sommer und auch von der Sperrung der A45 gelitten. Fielen dann noch Unternehmen aus, weil sie die bereits deutlich gestiegenen Kosten für Energie und andere Rohstoffe nicht mehr tragen könnten oder eben konkret nicht mehr mit Gas für die Produktion beliefert würden, komme die Wirtschaft an vielen Stellen zum Erliegen. Schließlich gebe es auch kaum Ausweichmöglichkeiten, da es in vielen Supply Chains stark auf einzelne, hoch spezialisierte Zulieferer ankomme.

Robert Kümmerlen, Mitglied der DVZ-Chefredaktion (unten links) und BVL-Geschäftsführer Christoph Meyer diskutierten mit dem Sanktionsexperten Lothar Harings (Kanzlei GvW) und DIHK-Vizepräsident Ralf Stoffels. (Screenshot DVZ)

Viele offene Fragen

Viele Unternehmen blickten daher im Moment sehr genau auf die Notfallpläne zur Gasversorgung, nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Ende März die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen hatte und der Ruf in der Politik nach einem umfangreichen Energie-Embargo gegen Russland immer lauter wird. „Die zentrale Frage als Unternehmer ist, ob das eigene Unternehmen systemrelevant ist oder nicht und entsprechend von einer Kontingentierung beim Gas betroffen wäre“, erläuterte Stoffels. Welche Branchen fallen möglicherweise darunter oder auch nicht? Wäre die Automobilindustrie beispielsweise systemrelevant? Und was ist, wenn nur Teile des eigenen Geschäfts betroffen sind? All dies seien Aspekte, die nun zu klären seien.

Große Unsicherheit in der Wirtschaft gibt es Lothar Harings zufolge auch noch im Umgang mit den gegen Russland verhängten Sanktionen. Der Sanktionsexperte und Partner der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen begründete dies vor allem mit dem schrittweisen Zustandekommen des aktuellen Sanktionsregimes. Harings: „Es gab eben nicht die eine Verordnung, auf die man sich vorbereiten konnte. Sie wurde ja peu á peu angepasst und auch immer wieder verschärft.“

Um die eigene Betroffenheit überhaupt einigermaßen abschätzen zu können, rät der Fachanwalt Unternehmen, sich zunächst mit den konkreten Sanktionsbestimmungen vertraut zu machen und sich zugleich einen Überblick zu verschaffen, mit welchen Unternehmen man Geschäfte macht. Dabei gebe es immer wieder böse Überraschungen, da auch hiesige Töchter von russischen Unternehmen unter das Sanktionsregime fallen können. Das Embargo betreffe entsprechend nicht nur den direkten Handel mit Russland.

Die Alternativen sind rar

Dass sich die Situation in den internationalen Lieferketten alsbald spürbar entspannt, glauben weder Stoffels noch Harings. Leider sei nicht davon auszugehen, dass der Krieg schnell vorbei sei, so Stoffels. Auch die Rohstoff- und Energiepreise würden folglich wohl nicht so schnell sinken. Zugleich sei es schwierig, Alternativen in der Beschaffung aufzubauen. Einerseits wegen der fehlenden Verfügbarkeit, andererseits wegen politischer Überlegungen und bereits bestehenden großen Abhängigkeiten. „Würde eine noch stärkere Konzentration auf China beispielsweise nicht dazu führen, dass wir dort direkt wieder ein Risiko bekämen“, fragte er, während Harings auch eine weitere Sanktionsspirale gegen Russland nicht ausschließen möchte. „Finanztransaktionen oder auch der generelle Transport nach Russland sind beispielsweise noch nicht sanktioniert“, deutete der Experte an, in welche Richtung es neben dem diskutierten Öl- und Gas-Embargo noch gehen könnte.

  • Zweiter Teil der Ukraine-Krisenkonferenz am 28. April

    Bei der zweiten digitalen Diskussionsrunde geht es vor allem um die direkten operativen Auswirkungen des Krieges auf die Logistik. Dazu zählen beispielsweise die Paletten- und Containerverfügbarkeit, Versicherungsfragen oder auch der weitere Zugang zu den Seidenstraßenverkehren.

    Diskutanten:

    • Anja Krüger, Managerin Ocean und Rail Import am Bremer Hauptsitz der Spedition Kopf & Lübben
    • Bernd Dörre, CEO European Pallet Association (EPAL), und Robert Holliger, Präsident European Pallet Association (EPAL)
    • Urte Jessica Bölke, Abteilungsleiterin Transportversicherung/Verkehrshaftung, Nordwest Assekuranzmakler GmbH & Co. KG.
    • Philipp Bartels, Head of Marine Cargo Underwriting, Lampe & Schwartze KG
    • Tobias Rahmann, Prokurist, A.L.S. Allgemeine Land- und Seespedition

    Anmeldung unter www.dvz.de/ukrainekonferenz

    Alle Einnahmen werden an die "Aktion Deutschland Hilft" gespendet.

     

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