Universität St. Gallen entzieht Prof. Stölzle die Institutsleitung

Wolfgang Stölzle gehörte in den vergangenen 20 Jahren zu den renommiertesten Logistikprofessoren im deutschsprachigen Raum. Doch nun hat seine Universität ihm die Führung des Instituts für Supply Chain Management entzogen. Eine eingesetzte Prüfgruppe kommt zu drei Hauptbefunden.

Prof. Wolfgang Stölzle, hier beim Gipfel der Logistikweisen im September 2022 in Baden-Baden, leitet ab sofort nicht mehr das Institut für Supply Chain Management der Uni St. Gallen. (Foto: Julia Pfeifer)

Die Universität St. Gallen hat Prof. Wolfgang Stölzle die Leitung des Instituts für Supply Chain Management (ISCM) entzogen. Die Maßnahme stütze sich auf interne Untersuchungen und auf einen Bericht einer eingesetzten Prüfgruppe unter Vorsitz des ehemaligen Bundesrichters Niklaus Oberholzer, teilte die Universität am Montag mit. Die Leitung des Instituts übernimmt bis auf weiteres Prof. Thomas Friedli. Er war im Februar 2023 als sogenannter Beistand eingesetzt worden. Seitdem konnte Stölzle die Leitung nur in Abstimmung mit Friedli wahrnehmen.

Nach Universitätsangaben konnten nicht alle Vorwürfe, die von verschiedenen Seiten gegen Stölzle erhoben worden sind, erhärtet werden. Einzelne schwere Vorwürfe hätten sich aber bestätigt, oder es bestehe Grund zur Annahme, dass sie zutreffen könnten. „Dies insbesondere in Bezug auf erhebliche Mängel in der Instituts- und Personalführung und die Beziehung zur privaten Firma von Wolfgang Stölzle“, heißt es in der Mitteilung. Nach den Hauptbefunden der Prüfgruppe fehlte die Einordnung des ISCM in gesamtuniversitäre Abläufe, zudem bestand eine problematische Führungskultur, und es gab eine starke Vermischung dienstlicher und privater Interessen, wie es heißt. Aufgedeckt hatte die Verquickungen zwischen der Universitätsarbeit und einer von Stölzle gegründeten Privatfirma im Herbst 2022 die Zeitung „NZZ am Sonntag“.

„Aktuell laufen für den Abschluss des Administrativverfahrens noch vertiefende Abklärungen“, teilte die Universität weiter mit. „Auf dieser Basis können weitere Maßnahmen ergriffen werden.“ Stölzle muss zwar die Leitung abgeben, kann aber noch immer für das Institut tätig sein. Über eine etwaige Entlassung könnte also erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden.

Plagiatsvorwürfe gegen Institutskollege

Langsamer als geplant kommen laut Universität die Klärungen der Plagiatsvorwürfe gegen einen Titularprofessor voran. Hier hatte wiederum das „St. Galler Tagblatt“ Ende vergangenen Jahres aufgezeigt, dass es sich bei der Habilitation eines Dozenten, der ebenfalls am ISCM tätig ist, wahrscheinlich um ein Plagiat handelt. Gegen die Habilitation wurden durch den österreichischen Plagiatsforscher Stefan Weber Vorwürfe erhoben.

Im Zusammenhang mit der Plagiatsaffäre des Institutskollegen hatte die Universität am 16. Dezember 2022 auch Stölzle zunächst vorläufig und am 9. Januar 2023 definitiv freigestellt. Die Freistellung begründete sie damals mit der Gefahr, dass dieser Verdunklungsversuche seines unter Plagiatsverdacht stehenden Kollegen unterstützen könne. Dieser Argumentation folgte das Gericht jedoch nicht, weshalb der Präsident des Universitätsrats Stölzles Freistellung im Februar widerrufen hatte.

Angesehener Experte

Stölzle gehörte in den vergangenen 20 Jahren zu den renommiertesten Logistik- und Supply-Chain-Professoren im deutschsprachigen Raum. Der heute 60-Jährige ist bereits seit 2004 an der Universität in der Schweiz tätig, die zu den führenden Wirtschaftshochschulen in Europa und weltweit zählt. Damals hatte er die Leitung des Lehrstuhls für Logistikmanagement übernommen.

Zu seinen Forschungsgebieten gehören die betriebswirtschaftliche Logistik, das Supply Chain Management sowie das Verkehrs- und Nachhaltigkeitsmanagement. Als geschäftsführender Gesellschafter der Logistics Advisory Experts GmbH beschäftigt er sich zudem mit der Transformation von Supply-Chain-Innovationen in die Praxis. Logistics Advisory Experts hatte zusammen mit Logistikwissenschaftlern der TU Dresden und der TH Würzburg-Schweinfurt zuletzt eine Studie vorgelegt, die den Lkw-Fahrermangel in Deutschland quantifiziert.

Stölzle war unter anderem Mitglied in den wissenschaftlichen Beiräten der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Darüber hinaus war er einst berufenes Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur in Deutschland, und zwar von 2004 bis 2022 und von 2011 bis 2012 sogar als Vorsitzender.

Im Gremium der Logistikweisen, das unter der Schirmherrschaft des Bundesverkehrsministeriums steht, wird der Wissenschaftler aktuell zumindest nicht mehr als Mitglied geführt und war auch schon beim Frühjahrsgipfel im März 2023 nicht zugegen. In diesem Expertenkreis brachte sich Stölzle ebenfalls viele Jahre ein.

Und auch in Preisjurys war er gern gesehen. So war Stölzle zuletzt Vorsitzender der Jury für die Eco Performance Awards, die gerade erst im Mai am Vorabend der Messe transport logistic in München verliehen wurden. Von 2009 bis 2021 war der Wissenschaftler zudem Vorsitzender der Jury für den Logistik-Award des deutschen Automobilverbands VDA.

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