Belgien schlägt EU-Agentur für Straßengüterverkehr vor

Bei einer von der belgischen EU-Ratspräsidentschaft organisierten Branchenkonferenz ging es darum, wie die Vorschriften des Mobilitätspakets für den Straßengüterverkehr besser durchgesetzt werden können. Etliche Ideen wurden diskutiert, die Belgier legten am Ende eine Liste mit 15 Empfehlungen vor.

Belgische Autobahnpolizisten analysieren bei einer Kontrolle von Sozialvorschriften Daten, etwa der Fahrerkarte. (Foto: Frank Hütten)

Um die Vorschriften des EU-Mobilitätspakets gegen Sozialdumping im Straßengüterverkehr besser durchzusetzen, sollte die EU eine spezialisierte Agentur gründen. Das schlug der belgische Verkehrsminister Georges Gilkinet (Grüne) am Freitag bei einer von der belgischen EU-Ratspräsidentschaft organisierten Konferenz zu Kontrollen im Straßentransport vor. Die Agentur solle einen mehrjährigen Plan gegen Betrug und unfairen Wettbewerb entwickeln und jährlich bewerten, die wie Mitgliedsstaaten die Vorschriften des Mobilitätspakets umgesetzt haben.

„Wir machen das doch für die Haushaltsplanung aller Mitgliedsstaaten auch in jedem Jahr und weisen etwa Belgien darauf hin, dass das Defizit zu hoch ist“, sagte Gilkinet zur DVZ. Für Eisenbahn-, Luft- und Seeverkehr gebe es bereits spezialisierte EU-Agenturen, für den Straßentransport, den Bereich mit den meisten Angestellten, dagegen nicht. Um diese Lücke zu schließen, könne entweder das Mandat der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) ausgeweitet oder eine neue Organisation geschaffen werden. Der Vorschlag gehört zu 15 Empfehlungen, die Gilkinet als Ergebnis der Konferenz präsentierte.

Verlader sollen mehr Verantwortung tragen

Vertreter von Transportverbänden, Gewerkschaften und EU-Kommission sprachen sich in der Diskussion dafür aus, Verlader und Spediteure stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Transportbranche bestehe überwiegend aus kleinen und mittelgroßen Unternehmen, sagte Raluca Marian, Leiterin der EU-Vertretung der International Road Transport Union (IRU). Man dürfe sich bei der Durchsetzung des Mobilitätspakets nicht nur auf diese „mittlere Ebene“ konzentrieren. „Unsere Kunden sind große Unternehmen mit viel Geld“, sagte sie. Sie müssten Verantwortung für die Arbeitsbedingungen im Straßengüterverkehr übernehmen.  

Dirk Saile, Brüsseler Repräsentant des deutschen Branchenverbandes BGL, sagte, Industrieunternehmen hätten von niedrigen Transportpreisen profitiert. Die Branche müsse aber das schlechte Image des verbreiteten Sozialdumpings loswerden, schon um künftig noch genug Lkw-Fahrer zu finden. Saile regte gezieltere Kontrollen auch bei Verladern an.

Gewerkschaft wirbt für EU-Lieferkettengesetz

Nach Ansicht von Livia Spera, Generalsekretärin der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft ETF, könnte ein EU-Lieferkettengesetz helfen, die Lage zu verbessern. „Leider ist das ja jetzt im Ministerrat blockiert.“ Die Verpflichtung, die Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten zu kontrollieren, könne internationalen Konzernen mehr Informationen darüber liefern, wer ihre Waren zu welchen Konditionen transportiere. ETF-Berechnungen hätten ergeben, dass Transportkosten nur um „einige Cent oder Euro steigen“, wenn alle Vorschriften eingehalten werden, sagte Spera.

Ewa Ptaszynska, stellvertretende Referatsleiterin für Straßentransport in der EU-Kommission, wies darauf hin, dass die Vorschriften des Mobilitätspakets sowohl soziale Ziele hätten als auch den Wettbewerb fairer machen sollen. Das Heimkehrrecht von Fahrern spätestens alle vier Wochen solle diesen zunächst einmal erlauben, ihre Freizeit bei der Familie oder dort zu verbringen, wo sie wollten. Es solle Unternehmen aber auch zwingen, die Touren so zu organisieren, dass ihre Lkw nicht monatelang unterwegs sind. Dadurch gebe es auch weniger Möglichkeiten, spontan irgendwo im EU-Ausland Aufträge anzunehmen. In den Vorschlägen der belgischen EU-Ratspräsidentschaft heißt es, das periodische Rückkehrrecht sei schwer durchsetzbar. Es sollte durch eine verpflichtende Mindestzeit in der Heimat ersetzt werden.

Informationen über Verstöße austauschen

Häufig gefordert wurden bei der Konferenz gezieltere und effizientere Kontrollen der Sozialvorschriften. Große Hoffnungen ruhen dabei auf Informationen, die von digitalen Fahrtenschreibern der zweiten Generation geliefert werden. Zudem müsse das europäische Register der Straßentransportunternehmen permanent mit Informationen über Verstöße gefüttert und für Kontrolleure zugänglich gemacht werden. Die Auslegung der Entsendevorschriften für Lkw-Fahrer müsse verbindlicher gemacht werden, lautete eine weitere Forderung – besonders was die Definition von Mindestlöhnen betreffe. Um Unternehmen die korrekte Ermittlung der fälligen Mindestlöhne im EU-Ausland zu erleichtern, schlägt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss vor, ein digitales Berechnungstool zu entwickeln, das in Echtzeit funktioniert. Zu weiteren Forderungen der Ratspräsidentschaft gehören:

  • Die EU-Kommission soll erwägen, alle leichten Transportfahrzeuge den Vorschriften für den Straßengüterverkehr und den Lenk- und Ruhezeitenregeln zu unterwerfen. Durch zunehmenden E-Commerce und städtischen Lieferverkehr könnten ansonsten auch bisher noch ausgenommene Fahrzeuge die Straßenverkehrssicherheit, soziale Standards oder den fairen Wettbewerb gefährden.
  • In der EU beschäftigte Lkw-Fahrer aus Drittstaaten müssten gleichen Gesundheitsschutz, soziale Rechte und Mindestlöhne erhalten wie EU-Bürger. Auch die Vorgaben der Verordnung 1072/2009, besonders zu Fahrerbescheinigungen, müssten beachtet werden. Die EU-Kommission soll die Lage beobachten und wenn nötig neue Vorschriften für Fahrer aus Drittstaaten vorschlagen.

 

Zwei Fragen an Georges Gilkinet (Grüne), Verkehrsminister von Belgien:

  • Was soll die von Ihnen vorgeschlagene neue EU-Agentur für den Straßengüterverkehr leisten?

Es muss jemanden geben, der über die Einhaltung der Regeln des Mobilitätspakets wacht, der den Mitgliedsstaaten dabei auf die Finger schaut, der auch Anstöße für die eventuelle Weiterentwicklung der Regeln gibt, etwa mit Blick auf Lkw-Fahrer aus Drittstaaten. Es geht hier um Schnittstellen zwischen Straßenverkehrssicherheit, Sozialrecht und um fairen Wettbewerb. Auch Umweltfragen spielen eine Rolle. Lkw sollten nämlich dort genutzt werden, wo sie am besten sind: für den Transport auf kurzen und mittleren Strecken. Bei den langen Strecken sollte dagegen die Bahn mehr genutzt werden, denn wir müssen die Treibhausgasemissionen reduzieren. Das wird aber nicht gelingen, wenn der Straßengüterverkehr hier Konkurrenz macht mit Preisen, die nur mit immer billigeren Arbeitskräften angeboten werden können. Als Demokrat kann ich es nicht akzeptieren, dass manche Fahrer drei Monate in ihrem Lkw auf der Straße sind, um in dieser Zeit das zu verdienen, was andere in einer Woche verdienen.

  • Von Branchenvertretern wird gesagt, dass auch Verlader und Spediteure in die Verantwortung genommen werden müssen. Zum Beispiel durch das EU-Lieferkettengesetz, das derzeit im Ministerrat blockiert ist. Denken Sie, dass das ein gutes Instrument wäre, um die Durchsetzung der Regeln zu verbessern?

Man muss die gesamte Lieferkette in die Verantwortung nehmen. Wie es einen Mindestlohn für Lkw-Fahrer geben sollte, braucht es auch einen Mindestpreis für Auftraggeber. Wenn wir immer nach dem billigsten Angebot suchen und wir irgendwann keine Transportunternehmen mehr haben und keine Fahrer für die Lkw finden, dann haben wir auch verloren. Politisch werden gerade wieder Konservative und Liberale stärker, die möglichst keine Regeln wollen. Ich bin auch für eine EU mit einfacheren Vorschriften. Aber gegen ein Regelwerk wie das Lieferkettengesetz zu sein, mit dem Argument, es sei zu kompliziert, das ist unehrlich. Wir brauchen Vorschriften, um die europäische Wirtschaft zu schützen und die Unternehmen, die ehrlich arbeiten wollen, die ihre Arbeitnehmer korrekt bezahlen und die Sicherheits- und Umweltvorschriften einhalten.

 

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