Budgetplan statt Rotstift

Viele Logistikunternehmen reagieren mit Einstellungsstopps und Kostensenkungen auf die Konjunkturdelle. Doch es geht auch anders. Ein Plädoyer für mehr Mut und Weitsicht in der Logistik.

Whitewater Rafting funktioniert nur im Team. Ist ein Platz unbesetzt, droht das Boot zu kentern. Ähnlich geht es Logistikunternehmen im aktuell schwierigen Marktumfeld. Gute Mitarbeiter müssen gehalten werden. (Foto: iStock/IHSANYILDIZLI)

Die vergangenen Jahre waren fette Jahre, und viele Logistikunternehmen haben Personal aufgebaut. Die Gegenwart ist jedoch durch Rezessionsrisiken und geopolitische Spannungen geprägt. Logistiker stehen damit unter erheblichem wirtschaftlichen Druck.

Im Tagesgeschäft äußert sich dies in dem psychologischen Phänomen der Verlustvermeidung. Dies bedeutet, dass das Top-Management die Kosten herunterfährt. Die Folge sind Einstellungsstopps und Kostensenkungsprogramme. Das Fatale daran: Kommt der nächste Aufschwung, birgt diese kurzsichtige Strategie erhebliche Risiken, den Anschluss an den Wettbewerb langfristig zu verlieren und Marktchancen zu verpassen.

Maersk hat weltweit beispielsweise seit Anfang vergangenen Jahres rund 6.500 Arbeitsplätze abgebaut. Manchmal sind solche schmerzhaften Veränderungen für die zukünftige Aufstellung notwendig. Manchmal folgen die Verantwortlichen damit zu sehr Kapitalmarkt-Interessen. Maersk indes betont, dass es keinen Einstellungsstopp gebe, sondern nur der Prozess zur Neueinstellung rigider geführt werde. Dies ist ein kleiner, aber sehr wichtiger Unterschied. Denn auch Maersk weiß, dass es fahrlässig wäre, per se die Tür vor Top-Talenten zu schließen.

Deutlich weniger Neueinstellungen

Die Bereitschaft, in den kommenden drei Monaten neue Mitarbeitende einzustellen, geht laut dem Arbeitsmarktbarometer der Manpower Group spürbar zurück. Der Sektor Transport, Logistik und Automotive bekommt die Auswirkungen geopolitischer Konflikte und gestörter Lieferketten demnach besonders stark zu spüren. So haben sich die Einstellungsabsichten der Branche mit einem Netto-Beschäftigungsausblick (NBA) von 12 Prozent spürbar eingetrübt, im Vorquartalsvergleich entspricht der Wert einem Minus von 11 Prozentpunkten. Im Vorjahresvergleich ist es ein Minus von 10 Prozentpunkten. Der NBA setzt die Anzahl der positiven und negativen Beschäftigungsmeldungen in Relation. Über alle Branchen hinweg liegt der saisonbereinigte NBA für das zweite Quartal 2024 bei 17 Prozent. Der Wert sank damit moderat um 3 beziehungsweise 9 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und zum Vorquartal.

Marktchancen trotz Rezession

Vor kurzem wurde überdies die neueste Gallup-Studie zur Mitarbeiterbindung veröffentlicht, und sie verheißt nichts Gutes. Zentrale Aussage: Noch nie war die Mitarbeiterbindung so gering wie heute; rund vier von zehn Mitarbeitern sind aktiv auf der Suche nach einem neuen Job. Nur 14 Prozent fühlen sich emotional eng an ihr Unternehmen gebunden.

Auch wenn die Zahlen im Logistikumfeld und den dazugehörigen Unternehmen leicht nach oben oder unten streuen mögen: Fakt ist, dass diese besorgniserregenden Entwicklungen definitiv auch Leistungsträger in der Branche betreffen.

Die Forschung zeigt, dass Unternehmen in solchen Zeiten bewusst einen anderen Weg gehen sollten. Dieser erfordert Mut: nämlich bewusst zu investieren, etwa darin, die besten Arbeitskräfte zu halten, nötige technische Investitionen nicht zu stoppen, Gehälter disproportional zu erhöhen – etwa für die Leistungsträger, die keinesfalls in der Krise von Bord gehen dürfen. Die besten Unternehmen streichen nicht die Budgets zusammen, sondern verlagern sie und gehen bewusst einen risikoreicheren Weg als andere. Denn gerade Leistungsträger möchten nicht für ein Unternehmen arbeiten, in dem Angst zum Dauerzustand wird und in dem dies durch Einstellungsstopps und Kostensenkungen auch noch eindrücklich gezeigt wird.

Bürokratie vertreibt Personal

Das ist aber keineswegs der wichtigste Grund für das hohe Abwanderungsrisiko in deutschen Unternehmen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass Mitarbeiter, ganz egal welcher Stufe, in ihrem eigentlichen Tatendrang gebremst und in der Leistungsbereitschaft eingeschränkt werden. Dies vor allem dadurch, dass erhebliche Kontrollinstanzen installiert werden. Eine sehr kleine Anzahl Manager aus der obersten, aber auch mittleren Führungsebene hat die Macht, mit wenigen Kontrollmechanismen das Arbeitsleben der übrigen 98 Prozent der Mitarbeiter entscheidend zu beeinflussen, also entweder zu bereichern oder zu vergiften. In Zeiten von geopolitischen Krisen ist dieser Reflex, Kontrolle zu erhöhen, allzu menschlich. Er ist jedoch fatal für die Wettbewerbsstärke. Zwei Beispiele sollen dies untermauern.

Da ist der Geschäftsführer eines Logistikunternehmens mit einem Jahresumsatz im dreistelligen Millionenbereich, der seine Geschäftsleiter angewiesen hat, jegliche Gehaltserhöhungen einzufrieren, ganz egal aus welchem Grund. Wie soll ein Geschäftsleiter seinem Anspruch gerecht werden, wenn er im wahrsten Sinne des Wortes sein Geschäft nicht leiten darf? Dabei sollte gerade in unsicheren Zeiten das Gehalt derer, die das Zwei- bis Vierfache der übrigen leisten, disproportional erhöht werden. Denn die wichtigsten Mitarbeiter müssen an Bord bleiben. Durch den Fachkräftemangel sind Headhunter und Firmen sehr aktiv dabei, andere mit teils verführerischen Summen abzuwerben.

Da ist zweitens der Vertriebschef eines Logistik-Milliardenkonzerns, der aufgrund in der Vergangenheit angefallener zu hoher Reisekosten nun ein Reiseverbot für alle Mitarbeiter in Europa ausgesprochen hat. Nicht einmal die hochbezahlte, 20 Mitarbeiter starke Key-Account- und Produkt-Mannschaft darf sich persönlich treffen, um Strategien auszuarbeiten. Das wäre in etwa so, als wenn ein Ruder-Achter nach einem schwierigen Jahr beschließen würde, dass jeder zu Hause auf der Rudermaschine trainiert und sich alle per Video zum Training zusammenschalten. Dass sie auf diese Weise wohl kaum oder nur im Glücksfall Rennen gewinnen können, leuchtet ein.

Mitarbeitern Vertrauen schenken

Dabei geht es auch anders. Viele reden über Werte, sei es Zuverlässigkeit, Disziplin oder Diversität. Was jedoch jetzt benötigt wird, ist Risikobereitschaft. Sie muss sogar aktiv gefördert werden.

Das kann konkret so aussehen, dass jeder Mitarbeiter vom Sachbearbeiter-Level bis zum Vorstand ein eigenes Budget erhält, das er verwalten kann und auch soll. Es kann so geregelt werden, dass erst ab einer bestimmten Stufe eine weitere Freigabe eingeholt werden muss. Innerhalb seines Spielraums kann der Mitarbeiter dann frei entscheiden, ob er etwa einem Kunden bei einem Rechnungsfehler eine Gutschrift ausstellt, statt drei Wochen auf die Freigabe zu warten.

Andere Fehlerkultur notwendig

Wenn Unternehmen kundenobsessiv sein wollen, dann muss es bei einer Beschwerde schnell gehen, sonst kümmert sich jemand anderes, im Zweifel der Wettbewerber. Und wenn ein Fehler passiert, dann ist das eben einmal so. Dann kostet dieser Fehler im Zweifel etwas Geld. Es ist aber immer noch deutlich günstiger, als ein Talent zu verlieren, welches sich nicht frei entfalten kann und aus Frust über bürokratische Daumenschrauben kündigt. Denn dann muss ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gefunden und eingearbeitet werden, was allemal teurer ist.

Nicht jeder kann und will sich dieser neuen Verantwortung stellen. Daher gilt es, die Mitarbeiter entsprechend an die neue Fehlerlernkultur zu gewöhnen und sich von der Fehlervermeidungskultur Stück für Stück zu verabschieden. Das gelingt am besten, wenn die Mitarbeiter selbst mitbestimmen und ernsthaft in den Prozess mit einbezogen werden. Man kann sie einfach fragen, welche Entscheidungsbefugnis sie haben müssen, um ihren Job besser erledigen zu können. Mitarbeiter an vorderster Front, die eine hohe Wertschöpfungskraft haben, weil sie direkt im Kundenkontakt stehen, wissen oft am besten, was sie demotiviert und was sie für mehr Leistungsbereitschaft brauchen. Was ist das Risiko dabei?

Sie können durch die gesteigerte Motivation eine womöglich spielentscheidende Idee liefern, die besser als die des Managements ist und die ansonsten für immer verborgen geblieben wäre – oder aber durch Abwanderung dem Wettbewerber zugutekommt. Wenn man schon Kosten senken will, dann sollte man es auf eine produktivere Art tun.

 

Alexander Nowroth ist Mitgründer und Geschäftsführer der Lebenswerk Consulting Group

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