Gräfenhausen: BAFA von der Dimension „negativ überrascht“

Die Kontrollbehörde für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) benennt die Menschenrechtsverstöße der Unternehmensgruppe Mazur gegen die Fahrer im Arbeitskampf an der hessischen Raststätte. Gemeinsam mit Vertretern von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft will sie ähnliche Zustände künftig verhindern.

Ein Krisengespräch beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zeigt, dass sich Menschenrechtsverstöße in komplexen Lieferketten nicht einfach abstellen lassen. (Illustration: iStock, Carsten Lüdemann)

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat Branchenverbände, Gewerkschaftsorganisationen und das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) zum Krisengespräch über die Arbeitsbedingungen in der Transportbranche eingeladen. Ziel der Zusammenkunft in der BAFA-Außenstelle Borna war es, den Arbeitskämpfen Gräfenhausen I und II keine weiteren folgen zu lassen.

Dabei stellte BAFA-Präsident Thorsten Safarik die Ergebnisse seines Vor-Ort-Besuchs an der Raststätte Gräfenhausen während der Auseinandersetzung im September vor. Die Fahrer seien Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die polnische Unternehmensgruppe Mazur gewesen. Die Vorwürfe richteten sich aber nicht direkt gegen deutsche Unternehmen, betonte er. Bisherige Untersuchungen des BAFA hätten in der überwiegenden Zahl vorbildhafte Resultate geliefert und ein starkes, ehrliches Bemühen gezeigt. Allerdings gebe es Bereiche, in denen noch deutlicher Nachholbedarf bestehe. Dazu gehöre auch die Transportbranche.

Rund 1.000 Dokumente geprüft

„Wir waren negativ davon überrascht, wie viele dem LkSG unterliegende Unternehmen Waren auf den Lkw hatten“, räumt der Behördenleiter ein. In Zahlen: Insgesamt nennen die Frachtpapiere 284 Unternehmen, davon unterliegen in diesem Jahr bereits 58 Unternehmen dem LkSG. Sie machen einen Anteil von 5 Prozent der Unternehmen aus, für die das Gesetz derzeit gilt; mindestens 64 weitere fallen ab dem kommenden Jahr zusätzlich unter die Regelung. Ein Großteil von ihnen sei nur einmal in den Unterlagen genannt, die beiden Spitzenreiter jedoch 42  und 43 Mal. „Insgesamt haben wir rund 1.000 Dokumente angesehen“, teilt Safarik mit.

Besonders wichtig war dem BAFA-Chef, dem Eindruck entgegenzutreten, seine Organisation sei erst jetzt tätig geworden. „Bei Gräfenhausen I sind wir medial nicht in Erscheinung getreten, haben aber im Hintergrund ermittelt“, sagt er. Die Behörde habe die Sachlage geprüft, Unternehmen angeschrieben und ihre Stellungnahme eingeholt. Durch die besonderen Umstände von Gräfenhausen II sei aber ein sofortiges Eingreifen erforderlich geworden.

„Der zweite Arbeitskampf dauerte wesentlich länger und war umfangreicher“, erklärt Safarik und fügt hinzu: „Vor allem ist es zum Hungerstreik gekommen, der so schnell wie möglich beendet werden musste.“ Die Fahrer seien in einem schlechten gesundheitlichen Zustand gewesen. Deshalb sei er sehr froh, dass einige Unternehmen die ärztliche Einschätzung als Impuls für eine Spende aufgegriffen hätten, mit der die Situation beendet werden konnte.

EU-Mobilitätspaket als Mindestmaß für Menschenrechte

Der BAFA-Chef erklärte auf Anfrage der DVZ die konkreten Menschenrechtsverletzungen gegen die Fahrer in Gräfenhausen: Sie hätten nicht die ihnen zustehenden Zahlungen erhalten, konnten nicht im vorgesehenen Rhythmus zu ihren Familien zurück und mussten viele Wochenenden im Lkw verbringen, obwohl das Unternehmen die Kosten für eine andere Übernachtungsmöglichkeit hätte tragen müssen.

Im Gespräch mit der DVZ begrüßte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) diese Einschätzung des Behördenleiters: „Wir haben seit langem gegen solche unmenschlichen Zustände gekämpft und es gemeinsam mit vielen Partnern geschafft, dass sie durch das EU-Mobilitätspaket heute in ganz Europa verboten sind.“ Umso erfreulicher sei, dass dieses geltende Recht nun auch zum Maßstab für Menschenrechtsverletzungen genommen werde.

Zum Zusammenwirken der Kontrollbehörden betonte der BAFA-Chef auf Rückfrage der DVZ, seine Einrichtung verfolge anders als das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) und die dem Zoll zugeordnete Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) eine branchenübergreifende Aufgabe. Ihre Kontrollpflicht bestehe darin, bei Verdacht auf Verletzung von Menschenrechten tätig zu werden und der Frage nachzugehen, ob die verantwortlichen Auftraggeber ihren Sorgfaltspflichten gerecht geworden seien. Im Falle Gräfenhausen habe sich dabei der Menschenrechtsverstoß bewahrheitet.

BAFA überwacht die gesamte Lieferkette

Die Behörde gehe zudem der Frage nach, in wessen Lieferkette Verletzungen der Menschenrechte erfolgten und welche deutschen Unternehmen dafür eine Verantwortung trügen, ergänzte der für den Verkehrssektor zuständige BAFA-Referatsleiter Norman Müller. Die Prüfperspektive liege dabei auf der gesamten Lieferkette; darin hätte beispielsweise auch die verladende Wirtschaft die Verpflichtung, das generelle Branchenrisiko im Transportbereich über den Kreis der unmittelbaren Lieferanten hinaus zu betrachten.

„Dazu zählen insbesondere neue Vertragspartner für Ad-hoc-Geschäfte und die Untervergabe von Transportaufträgen“, verdeutlichte Müller. Dabei müsse die Lieferkette erheblich tiefer betrachtet werden, bezüglich der Vergabekriterien und möglicher Untervergabeketten.

Unmittelbar nach dem Krisengespräch könne er noch keine Lösungsansätze präsentieren, sagte Safarik. Die Lage in der Transportbranche sei so komplex, dass sich die Teilnehmer am Krisengespräch direkt zu einem Folgetermin verabredet hätten, um die komplexe Lage in der Transportbranche einer vertieften Analyse zu unterziehen im Hinblick auf den Spotmarkt und die Untervergabe von Transporten. Dafür werde das BAFA auch weitere Organisationen und Unternehmen befragen und anschließend wie bereits für andere Wirtschaftsbereiche auch eine Handreichung zum LkSG für die Transportbranche erarbeiten.

Erste Lösungsideen aus der Branche

Aus der Branche selbst gibt es bereits erste Ideen dazu, wie sich die Untervergabe von Transporten transparenter gestalten lässt. Stephan Sieber, CEO des Plattformbetreibers Transporeon berichtete im Gespräch mit der DVZ von Überlegungen dazu, anhand des elektronischen Frachtbriefs (eCMR) eine automatische Benachrichtigung an den jeweiligen Auftraggeber zu senden, wenn in den elektronischen Dokumenten ein neuer Frachtführer für einen Transport eingetragen werde.

Für die Frachtenbörse Timocom erklärte der leitende Unternehmenssprecher Gunnar Gburek gegenüber der DVZ, sein Unternehmen werde es Frachtführern ermöglichen, in der eigenen Plattform sämtliche Informationen bereitzustellen, die eine rechtskonforme Arbeitsweise bestätigten. „Wir sollten in der Branche auch gemeinsam mit internationalen Partnern vereinbaren, welche Informationen dafür erforderlich sind, Transportpartner im Sinne des LkSG und der kommenden europäischen Norm sorgfältig auszuwählen“, so Gburek.

Eine erste Idee dazu bringt der BGL ins Spiel, dessen Vorstandssprecher Engelhardt sich seit langem für die Arbeitsweise deutscher Frachtführer verbürgt. Solange es keine besseren Informationsquellen gebe, könne ein schneller, pragmatischer und kostengünstiger Weg darin bestehen, die Echtzeitdaten aus den Fahrzeugen mit nachvollziehbaren Algorithmen auch auf die Einhaltung der Vorschriften des EU-Mobilitätspakets zu überprüfen. Das entlarve zwar noch keine schwarzen Schafe, könne Auftraggebern aber die nötige Sicherheit geben, mit verlässlichen Frachtführern zusammenzuarbeiten.

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