Seefracht: Fahrt ins Ungewisse

Geopolitische Spannungen haben die Schifffahrt bereits stark gefordert – nun muss sie auch noch mit einer handelspolitischen Krise fertigwerden. Kapazitäts- und Netzwerkmanagement stellen die Carrier vor große Aufgaben. Eine Analyse im Vorfeld der Marilog.

Verlässliche Planung ist in der Schifffahrt aktuell kaum noch möglich. (Foto: iStock)

So chaotisch die handelspolitische Weltlage seit der Zolloffensive der Trump-Administration ist, so unkalkulierbar sind die Aussichten für das Seefrachtgeschäft. Dass 2025 kein „normales“ Jahr werden würde, hatte sich schon abgezeichnet. Die anhaltende Sicherheitskrise im Roten Meer mit der Umleitung aller großen Allianz-Liniendienste um das Kap der Guten Hoffnung und die Aussicht auf weitere Hafenstreiks – vor allem an der Ost- und der Golfküste der USA – ließen bei den Marktteilnehmern keinen Optimismus aufkommen.

Der große US-Hafenarbeiterstreik konnte im Januar zwar abgewendet werden, doch dafür nahmen die Probleme in den europäischen Häfen zu. Arbeitskämpfe, Warnstreiks, Infrastrukturprobleme und verspätete Schiffe sorgten seit Jahresanfang für extreme operative Störungen zwischen Le Havre im Westen und Hamburg im Osten der Nordrange. Mit dem Einbruch der Ladungsmengen im China-US-Trade aufgrund der Eskalation von Zöllen und Gegenzöllen ist das Chaos nun perfekt.

So fällt auch das Wachstum der Transportnachfrage als stabilisierende Konstante für die Linienschifffahrt weg. Zumindest kurzfristig. Um bis zu 50 Prozent sollen die Buchungen aus China in die USA im April eingebrochen sein, nachdem Trump sein Zollfeuerwerk zündete. Wie in Zeiten der Corona-Pandemie lautet die strategische Devise für die Carrier jetzt wieder: auf Sicht fahren.

Wie schwierig Prognosen in der aktuellen Lage sind, wurde beim ersten Zwischenbericht von Maersk Anfang Mai deutlich. Die Markterwartungen der Dänen für den Containerverkehr im laufenden Jahr liegen in einer denkbar großen Spanne zwischen minus 1 und plus 4 Prozent. Nach einem starken ersten Quartal, das von Frontloading geprägt war, rechnet Maersk auch für das zweite Quartal noch mit einem Zuwachs im Markt, „gerade wenn Verlader die 90-tägige Zollpause noch einmal für sich ausnutzen“. Spätestens ab Juli werde die Lage völlig unberechenbar. Entweder der Containerverkehr beginnt zu schrumpfen oder er erlebt – gesetzt den Fall, die Zölle werden zurückgenommen – wieder einen Boom, so die Einschätzung von Maersk.

Ratenniveau sinkt zusehends

Für die Linienreedereien beginnt damit ein neues Kapitel. Nach einer längeren Phase der Vollauslastung ihrer Flotten aufgrund soliden Ladungswachstums und verlängerter Reisedistanzen infolge der Umfahrung des Roten Meeres müssen die Carrier jetzt dazu übergehen, die Kapazitäten zu verknappen. Sonst drohen sich die Mengenverluste noch durch Preiseinbußen zu potenzieren.

Die Frachtraten sind, historisch betrachtet, zwar noch relativ hoch, doch der Trend zeigt seit Monaten eher abwärts. Der World Container Index (WCI) von Drewry, der die Spotraten auf den drei Hauptrouten Fernost/Europa, Fernost/Nordamerika und Transatlantik abbildet, ist inzwischen 34 Prozent unter das Niveau von letztem Jahr gerutscht. Hatte der Markt vor zwölf Monaten noch darauf spekuliert, dass die Raten in Richtung der Allzeithochs während der Pandemie tendieren, scheiden sich heute die Geister darüber, ob es auch nur für einen saisonalen Anstieg der Preise ausreicht.

Das wird deutlich an den Terminkursen an der Futures-Börse in Shanghai für Spotfracht auf der Fernost-Europa-Route. Die dort seit einiger Zeit gehandelten „SCFIS Europe Futures“ (EC) wiesen bis vor einigen Wochen noch satte Aufschläge gegenüber dem aktuellen Spotlevel für den Rest des Jahres auf.

Mittlerweile notieren die Kontrakte für Juni und Oktober sogar unter dem derzeitigen Spotniveau. Nur für August handeln die Marktteilnehmer Raten, die um rund 13 Prozent höher als im Augenblick liegen. Dabei ist das Ausgangsniveau mit Raten irgendwo zwischen 1.400 und 2.000 US-Dollar/FEU (Main Port in China nach Rotterdam/Hamburg) bereits sehr niedrig.

Das Szenario, das vielen Marktteilnehmern vorschwebt, ist, dass die Carrier ihre überflüssigen Schiffe aus dem Transpazifik-Trade abziehen und auf die Asien-Europa-Strecke verlegen statt sie vorübergehend ganz aus dem Verkehr zu ziehen.

Da die wirtschaftliche Entwicklung in Europa keine großen Sprünge bei der Importnachfrage erwarten lässt, würden sich unweigerlich Überkapazitäten bilden, die das Frachtniveau nach unten drücken. Mit der Entscheidung, wohin mit all den Schiffen, lassen sich die Containerlinien scheinbar noch etwas Zeit.

Kurzfristig wurde das Stellplatzangebot im Fernost-Nordamerika-Verkehr um mehr als 20 Prozent eingedampft. Neben Streichungen einzelner Abfahrten haben die Linien mittlerweile zehn wöchentliche Dienste temporär ausgesetzt. Normalerweise müssten viele Schiffe in Aufliegerstatistiken auftauchen, wie sie der Branchendienst Alphaliner führt. Doch das ist bislang nicht der Fall. Die Aufliegerquote („Idle Ships“) liegt stattdessen weiter bei historisch niedrigen 0,5 Prozent.

Andere Schätzungen gehen sogar noch tiefer. Wenn die Schiffe nicht vor Anker gehen, liegt die Vermutung nahe, dass ihre Betreiber sie auf Positionierungsreisen in neue Fahrtgebiete geschickt haben. Ein klareres Bild dazu wird sich erst in den kommenden Wochen ergeben.

Transportlaufzeiten bessern sich

Disruptionen und Ineffizienzen im Seeverkehr, die im vergangenen Jahr viel Produktivität und ergo Kapazität geschluckt haben, scheinen ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Transitzeiten und Fahrplantreue lassen bereits leichte Verbesserungen erkennen.

Laut dem US-IT-Dienstleister e2open, der auch die Buchungsplattform Inttra betreibt, waren die durchschnittlichen Transportlaufzeiten (von der Buchung bis zum Pick-up des Containers im Empfangshafen) über alle Relationen hinweg im ersten Quartal noch einmal auf den Spitzenwert von 69 Tagen geklettert, der schon im dritten Quartal 2022 während der Pandemie erreicht worden war. Auch die Neuordnung der Schiffssysteme im Rahmen der Allianz-Restrukturierungen dürfte dazu beigetragen haben. Seit März deutet sich nun eine leichte Verbesserung an.

Einen Quantensprung beim Kapazitätsangebot wird es dann geben, wenn sich die Bedrohungslage im Roten Meer entschärft und die Linien ihre Ost-West-Dienste wieder durch den Suezkanal routen. Um bis zu 11 Prozent könnte das weltweite Stellplatzangebot infolge kürzerer Reisezeiten dann auf einen Schlag zunehmen.

Viele Stimmen in der Branche, darunter der Preisinformationsdienst Xeneta, prognostizieren für diesen Fall einen Einbruch der Frachtraten. Wann der Zeitpunkt dafür kommt, lässt sich noch nicht absehen. Nach den massiven Luftangriffen der USA auf Huthi-Stellungen im Jemen und einer nun vereinbarten Waffenruhe mit den Rebellen macht sich die Hoffnung breit, dass das Rote Meer bald wieder befahrbar wird für westliche Reedereien. Aber die Linien selbst trauen dem Frieden noch nicht.

Alle großen Allianzen zögern weiter. Maersk bekräftigte in einem Analysten-Call nach Veröffentlichung der Zahlen für das erste Quartal die Einschätzung, dass das Rote Meer noch für den Rest des Jahres tabu bleiben werde. Da in Kürze theoretisch die Hochsaison auf den Ost-West-Strecken (Juni bis September) anbricht und die Netzwerke in dieser Zeit möglichst stabil sein müssen, lässt sich schon aus rein praktischen Gründen schwer vorstellen, dass die Carrier vor Ende dieses Jahres auf die Suez-Route zurückkehren.

Für 2026 würden die Karten dann aber völlig neu gemischt. Die verladende Wirtschaft könnte dank entspannterer Kapazitäten auf deutliche Ratenabsenkungen hoffen. Der Druck auf die Preise könnte noch viel größer werden, wenn sich die Abfertigung in den Häfen wieder beschleunigt. Seit geraumer Zeit nimmt die Verstopfung in den Terminals rund um die Welt bis zu 9 Prozent der weltweiten Flottenkapazität durch Wartezeiten in Anspruch, wie Berechnungen der Researchfirma Linerlytica zeigen.

Die Hotspots dafür sind die Umschlagplätze in Fernost und in Europa. Schon Verbesserungen um wenige Prozentpunkte würden sich merklich auf das Marktgleichgewicht auswirken. Aber auch bei diesem Thema müssen sich die Linien und ihre Kunden wohl noch bis 2026 gedulden, bevor es deutliche Fortschritte gibt. Denn zum Herbst hin müssen alle großen Allianzen ihre Schiffssysteme noch einmal auf den Kopf stellen.

Die Herausforderung: Alle in China gebauten Großcontainerschiffe aus den US-Diensten zu entfernen und durch in Südkorea oder Japan gebaute Schiffe zu ersetzen. Denn ab Oktober sollen die vom US-Handelsbeauftragten vorgeschlagenen Strafgebühren für große Schiffe aus chinesischer Fertigung greifen. Über 120 Containerschiffe von mehr als 4.000 TEU Kapazität müssen laut einer Übersicht der Hamburger Reederei Peter Döhle durchgetauscht werden, um die Millionenstrafen zu vermeiden. Kein leichtes Unterfangen, da der Pool von Schiffen in den betreffenden Größenklassen begrenzt ist.

Egal ob sich die operativen Bedingungen in der Schifffahrt normalisieren oder nicht, ob die Achterbahn an den Märkten nachlässt oder sich verschärft, in den kommenden Jahren wächst der Druck noch bei einem weiteren Thema unweigerlich an: der Transformation zu Net-Zero.

Die Mitgliedsstaaten der IMO haben sich im April auf ein Maßnahmenpaket („Mid-term Measures“) zur Verringerung der Emissionen durch die Schifffahrt geeinigt, das ab 2028 in Kraft treten soll. Ähnlich der „FuelEU Maritime“-Verordnung, die ab diesem Jahr in Europa gilt, fordern die IMO-Bestimmungen von den Reedereien von Jahr zu Jahr weitere Absenkungen bei den Emissionen durch den Schiffsbetrieb. Die entscheidende Kennzahl dabei ist die Treibhausgasintensität (GFI) der an Bord verbrauchten Energie: Gramm CO2 Equivalent/Megajoule. Die Reduktionsziele sind allerdings noch ambitionierter als bei FuelEU. Für das Verfehlen der Zielwerte fallen erhebliche Strafen an.

In den kommenden Jahren geht es für die Linienreedereien deshalb vor allem um eines: sich entsprechende Kontingente an Biodiesel oder synthetischen Kraftstoffen zu sichern. Die benötigten Produktionskapazitäten für die Schifffahrt gibt es bislang nicht einmal auf dem Reißbrett. (ol)

Messe-Tipp: Marilog

Seit 2020 befindet sich die Containerschifffahrt im Krisenmodus: Zunächst belasteten die Folgen der Corona-Pandemie die Lieferketten. Heute steuert die Branche durch eine veränderte Welt mit Kriegen und Handelskonflikten, Unsicherheiten und ­Herausforderungen. Und dennoch halten die Marktteilnehmer die maritime Lieferkette am Laufen. Wie begegnet die Schifffahrt den aktuellen Entwicklungen? Wie blickt die Branche in die Zukunft, und was kommt als Nächstes? Antworten liefern führende Branchenvertreter auf der DVZ-Veranstaltung Marilog am 2. Juni um 16 Uhr im Rahmen der transport logistic.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben