Die Gewichte im Schwarzen Meer haben sich verschoben

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass sich die Marktanteile der Linienreedereien in der an das Kriegsgebiet angrenzenden Region geändert haben. Der Hafen von Constanta ist als Container- und Getreidedrehscheibe wichtiger geworden.

Seit dem 1. August haben mehr als 600 Schiffe die Häfen der Region Odessa verlassen, um Nahrungsmittel in die Länder Afrikas, Asiens und Europas zu transportieren. (Foto: picture alliance / abaca | BePress/ABACA)

Ein Jahr nach Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine sind die Auswirkungen des Krieges auf die Verkehre im Schwarzen Meer geringer, als es die dramatische Lage in der Region nahelegt. Obwohl Teile des Binnenmeeres vermint sind, nach wie vor 62 Handelsschiffe feststecken und mehr als 360 Seeleute nicht von Bord gehen können, sind die Containerverkehre vergleichsweise intakt. So schrumpfte laut den jüngsten zur Verfügung stehenden Zahlen des Analysehauses Alphaliner für Dezember 2022 die monatliche Stellplatzkapazität der Schwarzmeer-Containerverkehre um nur 21,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat auf rund 86.500 TEU.

Wenig Bewegung an der Spitze

Selbst Großreedereien wie CMA CGM, Hapag-Lloyd, Evergreen und MSC befahren nach wie vor das Binnenmeer. Die meisten dieser Player beschränken sich dabei auf den westlichen Teil des Schwarzen Meeres; MSC läuft im Rahmen seines wöchentlichen Dienstes „Black Sea String B“ als einziger westlicher Carrier auch den russischen Containerhafen Noworossijsk an der Ostseite des Meeres an. Und so ist MSC trotz eines reduzierten Kapazitätsangebots nach wie vor der Platzhirsch im Schwarzen Meer mit einem fast unverändert hohen Marktanteil von 29 Prozent. CMA CGM wiederum hat zum Ende des vergangenen Jahres das Kapazitätsangebot gegenüber der Vorkriegszeit sogar erhöht und vergrößert den Marktanteil auf 16,6 Prozent.

Vom weitgehenden Kapazitätsabbau durch Carrier wie Maersk, Yang Ming, Zim und Hapag-Lloyd profitieren maßgeblich türkische Containerreedereien. Arkas Line, Akkon Lines und Medkon Lines haben ihre Marktanteile im Vergleich zur Vorkriegszeit deutlich erhöht. Verfügten diese Anbieter Ende 2021 über einen Kapazitätsanteil von rund 20 Prozent, liegt dieser nun bei 29 Prozent.

Ein weiterer Profiteur der im Zuge des Krieges eingetretenen Verschiebungen ist der rumänische Containerhafen Constanta. Bei Containern verzeichnete der Port im vergangenen Jahr einen Zuwachs von 22 Prozent auf 772.046 TEU, während das Gesamtaufkommen immerhin noch um 12 Prozent auf 75,6 Millionen Tonnen anstieg. Zum Vergleich: Vor dem Krieg war das Ladungsaufkommen des Standorts nach Angaben des ukrainischen Beraters Informall um jährlich rund 2,5 Prozent gewachsen.

Der sehr große Zuwachs im Containersegment dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass das Containerterminal im wichtigsten ukrainischen Hafen Odessa nach Auskunft des Betreibers HHLA zwar funktionsfähig ist, derzeit aber kein Boxenumschlag möglich ist. Ein Teil der eigentlich 480 Beschäftigten hält derzeit vor Ort den landseitigen Betrieb aufrecht und unterstützt an der Wasserseite beim Umschlag von Getreide. Sobald es wieder möglich ist, sei das Team aber bereit, auch den seeseitigen Containerumschlag kurzfristig wieder aufzunehmen, so die HHLA auf Nachfrage der DVZ.

Außenhandel von Deutschland mit Russland

Die Ausfuhren von Deutschland nach Russland sind wertmäßig 2022 deutlich gesunken, und zwar um 37,6 Prozent. Aber: Immerhin wurden 2022 noch Waren im Wert von 14,6 Milliarden Euro exportiert. Doch im Laufe des Jahres sind die Exporte immer weiter zurückgegangen: von 2133 Millionen Euro im Januar 2022 auf 828 Millionen im Dezember 2022.

Anders hingegen die Lage bei den Importen aus Russland: Die haben sich von 33,1 Milliarden Euro (2021) auf 35,3 Milliarden Euro (2022) sogar leicht erhöht. Der Grund dafür dürften jedoch die deutlich angestiegenen Kosten für Rohöl sein. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Einfuhren nach Gewicht ansieht: 2021 wurde 99,7 Millionen Tonnen Güter aus Russland nach Deutschland transportiert. 2022 waren es dann nur noch 58,4 Millionen Tonnen und damit 41,4 Prozent weniger.

Im Außenhandel mit der Ukraine sind die Exporte von Deutschland nach Ukraine gesunken, wertmäßig um 11,5 Prozent. Die Einfuhren aus der Ukraine stagnierten wertmäßig 2022 im Vergleich zu 2021. Aber auch hier hat sich die Tonnage spürbar verringert, von 3,7 Millionen Tonnen auf 2,8 Millionen Tonnen. (cd)

Verschiedene Korridore für Getreide

Nach ukrainischen Angaben sind im Rahmen der Black Sea Grain Initiative von August 2022 bis Januar dieses Jahres in Summe 18,4 Millionen Tonnen Getreide über verschiedene Häfen umgeschlagen und auf unterschiedlichen Wegen transportiert worden. Auch dabei war der Hafen Constanta offenbar eine wichtige Drehscheibe. 11,8 Millionen Tonnen Güter seien im vergangenen Jahr aus der Ukraine gekommen oder dahin verladen worden – vor allem Getreide, wie es beim Hafen heißt. 6,4 Millionen Tonnen seien dabei auf den Seeverkehr entfallen, 5,4 Millionen Tonnen auf den Binnenschiffsverkehr, da der Hafen über den Donau-Schwarzmeer-Kanal an die Donau angebunden ist.

Der Verkehr auf dem Fluss gestaltet sich nach Angaben von Martin Staats, Vorstand der Binnenschifffahrtsreederei MSG, indes seit Beginn des russischen Angriffes sehr schwierig. Auf der einen Seite seien etablierte Verkehre aus der Ukraine rückläufig oder sogar zusammengebrochen. Auf der anderen Seite agiere die Binnenschifffahrt mit viel Kapazität für Agrargüter aus der Ukraine zu EU-Stationen in Rumänien und Bulgarien weiter unter Hochdruck. „Die Branche leistet somit einen beträchtlichen Beitrag zu den sogenannten EU Solidarity Lanes“, so Staats. Das Gesamtaufkommen dieser landseitigen Verbindungen zur Unterstützung der ukrainischen Getreideexporte hat sich seit Mai 2022 bis einschließlich Januar 2023 auf 25,7 Millionen Tonnen addiert.

Mitarbeit: Jan Peter Naumann und Frank Hütten

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