Winfried Hermann: „Das hat mich schon sehr geärgert“

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will sich stärker für die Transformation im Güterverkehr einsetzen. Bei der Verlagerung von der Straße auf Schiene und Binnenschiff sieht er den limitierenden Faktor bei der Bahn, beim Infrastrukturausbau beim Personal.

Winfried Hermann (Grüne), Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg. (Foto: Sebastian Berger)

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will sich künftig stärker für die Transformation im Güterverkehr einsetzen. Bei der Verlagerung von der Straße auf Schiene und Binnenschiff sieht er den limitierenden Faktor bei der Bahn, beim Infrastrukturausbau beim Personal.

DVZ: Herr Hermann, die FDP hat das Bundesverkehrsministerium bekommen, sind Sie deswegen immer noch verärgert?

Winfried Hermann: Wir sind schon längst im Modus von Kooperation und Lösung der Probleme, die wir auf Bundes- und auf Landesebene haben. Es wäre albern, wenn mich das monatelang ärgern würde.

Der nächste Ärger stand aber gerade ins Haus: Stichwort Verlängerung Neckarschleusen.

Es gibt darüber eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Baden-Württemberg und dem Bund aus dem Jahr 2007. Damals wurde vereinbart, dass das Projekt bis 2025 durch den Bund abgeschlossen sein soll. So war es zumindest gedacht. Seitdem finanziert das Land 15 Stellen, um die Schleusen auszubauen.

Und nun?

Kürzlich schrieb der Bundesverkehrsminister, dass die Schleusen für die Wirtschaft sehr wichtig seien. Doch man wolle davon Abstand nehmen, sie zu verlängern und sich stattdessen voll auf die Sanierung konzentrieren. Damit bricht er nicht nur die Vereinbarung, sondern auch den Koalitionsvertrag der Ampel. Denn darin steht, dass die Schleusen beschleunigt ausgebaut und saniert werden sollen. Das hat mich schon sehr geärgert. Hier ist aber auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ein Minister will sicherlich nicht mal eben mit einem Brieflein aus einem Regierungsauftrag aussteigen. Vielleicht muss er sparen und deshalb Mittel umschichten. Es ist nicht akzeptabel, dass in 15 Jahren so wenig passiert ist.

Was haben die 15 Leute, die Sie bezahlt haben, denn in den vergangenen Jahren gemacht?

Das frage ich jetzt noch mal ab. Es kann durchaus sein, dass wir das Personal abziehen müssen, wenn der Bund die Ausbaupläne hintanstellt und es keine Gegenleistung gibt. Die Verlängerung der Schleusen ist aufwendig und teuer. Die Sanierung wird es aber auch. Die Schleusen sind alle mindestens 80 Jahre alt oder älter. Ursprünglich sollten ja beide Schleusenkammern saniert und verlängert werden. Schon vor Jahren haben wir pragmatisch gesagt, dass uns eine verlängerte Kammer reicht.

Was bedeutet es für die Binnenschifffahrt, wenn die Schleusen nicht verlängert werden?

Die Entwicklung der Binnenschifffahrt ging in den vergangenen Jahrzenten in die falsche Richtung. Das hat verschiedene Gründe, unter anderem den Rückgang von Gütern wie Kohle oder Kies. Die Binnenschifffahrt hat aber auch an dem wachsenden Transportaufkommen keinen Anteil. Das liegt daran, dass sie oft mit alten Kähnen und nicht mit neuen 135-Meter-Schiffen fährt, die Container transportieren können. Wir haben jede Menge hochwertige Waren, die mit dem Flugzeug, auf der Schiene oder dem Lkw transportiert werden. Sie könnten genauso gut mit dem Schiff gefahren werden. Aber dafür brauchen wir Schiffe, die Container tragen können.

Viele Unternehmen in der Transportbranche leiden derzeit unter der Last der gestiegenen Kosten und dem Fachkräftemangel. Wo sehen Sie hier Lösungsansätze?

Die Transport- und Logistikbranche steht vor einem der schwierigsten Jahre in der Geschichte des Transportwesens. Es kommt eine Reihe von Problemen zusammen: fehlende Fachkräfte, unkalkulierbare Lieferketten, dramatische Kostensteigerungen bei Personal, Energie und Sprit. Gleichzeitig steht an, den Güterverkehr auf die Schiene und Wasserstraße zu verlagern und den auf der Straße klimafreundlich zu gestalten. Das ist alles nicht billig. Es gibt also eine Vielzahl von Herausforderungen, die meiner Meinung nach einer stärkeren öffentlichen Begleitung bedürfen. Dem Pkw-Sektor hat die öffentliche Hand mit vielen Milliarden geholfen, damit sie die Transformation schafft. Das muss nun auch in der Transportbranche geschehen. Wir müssen in allen Bereichen Anreize für klimafreundliches Verhalten setzen.

Winfried Hermann (Grüne)

(Foto: Sebastian Berger)

Der baden-württembergische Verkehrsminister ist unter seinen Landeskollegen der dienstälteste. 2011 wurde er zum ersten Mal für diesen Posten ernannt. Der heute fast 70-Jährige wurde im Güterbahnhof Rottenburg am Neckar geboren. Sein Vater war Bahnspediteur. Hermann studierte Deutsch, Politik und Sport und arbeitete drei Jahre lang als Gymnasiallehrer. 1982 wurde er Mitglied der Grünen, 1984 zog er für die Grünen in den Landtag Baden-Württemberg ein. Von 1998 bis 2011 war Hermann Abgeordneter im Bundestag und unter anderem zwei Jahre Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Seine Kernthemen sind Schienenpolitik und Nachhaltigkeit. (sl)

Erwarten Sie eine stärkere finanzielle Unterstützung der Unternehmen bei der grünen Transformation?

Ja. Die Bundesregierung hat sich in einem Paket zwar auch auf die Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate geeinigt, allerdings ist das nur eine kurzfristige Nothilfe. Das Grundproblem der Spekulationspreise werden wir dadurch nicht lösen. Als die Spritpreise durch die Decke geschossen sind und bei 2,30 Euro landeten, hatte dies überhaupt nichts mit den realen Versorgungsverhältnissen zu tun. Es waren Spekulationspreise, die aus der Krise hervorgegangen sind. Die Frage muss deshalb lauten: Wie hilft man im Verkehrssektor durch Unterstützung von energiesparenden Lösungen, so dass Lkw weniger Sprit verbrauchen oder alternative Antriebe eingesetzt werden?

Diese Diskussion führen wir schon sehr lange. Ist die Politik auf einem guten Weg?

Wir kennen die Richtung. Aber der Weg ist nicht annähernd so differenziert und klar beschrieben wie im Pkw-Bereich. Dort hat die Elektromobilität das Rennen gemacht. Für Lkw kommen hingegen viele klimafreundliche Technologien infrage. Auch dort gibt es die batterieelektrische Lösung, aber auch die Brennstoffzelle, Oberleitungen und synthetische Kraftstoffe. Es ist aber noch nicht entschieden, welches die wirtschaftlichste Lösung ist. Tatsächlich zeichnet sich ab, dass die Oberleitung durchaus konkurrenzfähig ist. Dies wird leider politisch kaum unterstützt.

Warum nicht?

Entscheidend sind die Lkw-Hersteller. Daimler baut sowohl Brennstoffzellen- als auch batterieelektrische Trucks und Hybridlösungen. Iveco setzt im Kurzstreckenbereich, sprich bis zu 400 Kilometer, auf den batterieelektrischen Lkw und bei Strecken über 400 Kilometer auf die Brennstoffzellen-Technologien, also Wasserstoff. Wir glauben, dass synthetische Kraftstoffe perspektivisch eine Rolle spielen. Diese stehen aber erst in den 2030er Jahren in relevantem Umfang zur Verfügung. Die Luftverkehrsbranche braucht unbedingt klimaneutrales Kerosin. Das kann auch bei Lkw und Schiffen eine Option sein.

Eine naheliegende Lösung ist der Gasantrieb. Damit fahren Lkw immerhin etwas sauberer als mit Diesel. Zuletzt sagte Ihr Parteikollege Matthias Gastel, man hätte Gas-Lkw niemals fördern sollen. Halten Sie eine weitere Förderung von Gas-Lkw noch für sinnvoll?

Ich bin skeptisch. Wenn man die Gasantriebe bereits in den 90er Jahren gefördert hätte, dann hätte es für mich Sinn gemacht. Gas hat im Vergleich zum Diesel natürlich ökologische Vorteile – weniger CO2-Emissionen und weniger andere Schadstoffe. Somit hätten wir uns die ganze Diesel-Reinigungstechnik in den vergangenen Jahren sparen können. Aber 30 Jahre später nochmals in eine fossile Technologie einzusteigen, macht für mich auch keinen Sinn. Der Gaspreis wird in der aktuellen Situation mit großer Wahrscheinlichkeit am stärksten zulegen. Das ist keine gute Voraussetzung, um auf Gas umzusteigen.

Ich hänge als Grüner nicht dem Glauben an, dass wir alle Güter auf die Schiene bringen können.

Winfried Hermann

Was kommt dann?

Ich glaube, dass jetzt die Transformation zu klimaneutralen Antrieben und Kraftstoffen kommen muss. Das hat vor allem Vorteile auf langen Strecken wie von Hamburg nach München. Dort also, wo die Schiene nicht genügend Kapazität hat. Die rechte Spur auf der Autobahn sieht auf vielen Strecken sowieso schon wie ein Zug aus. Das wäre ideal für Oberleitungs-Lkw. Und wenn er von der Autobahn abfährt, geht es mit der Brennstoffzelle oder dem batterieelektrischen Antrieb weiter. Ich habe mir vorgenommen, mich in den nächsten Jahren verstärkt um die Transformation im Güterverkehr zu kümmern.

Was planen Sie?

Ich will klimafreundliche Antriebe und den Aufbau von Ladeinfrastruktur vorantreiben. Bekanntlich emittieren Lkw rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor. Nach langem Zögern sind die Hersteller jetzt mit sichtbarem Engagement auf die batterieelektrischen und Brennstoffzellen-Lösungen eingestiegen. Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür eine Ladeinfrastruktur aufbauen – zunächst zumindest für kleine Lkw insbesondere in der Citylogistik. Diese Ladeinfrastruktur ist aber anders als die für Pkw. Ich setze darauf, dass auch der Bund mehr macht. Wir brauchen für die Transformation im Lkw-Bereich mehr Anreize.

Das bedeutet dann mehr finanzielle Förderung?

Grundsätzlich konkurrieren die einzelnen Haushaltsmittel miteinander. Ich sehe im Moment noch einen klaren Konsens, auch parteiübergreifend, dass der Verkehrssektor nicht vernachlässigt werden darf. Alle wissen, dass er die Grundlage einer erfolgreichen Wirtschaft ist. Und alle wissen, dass wir im Sinne des Klimaschutzes in diesem Bereich großen Nachholbedarf haben. Ohne die entsprechenden Investitionen wird es nicht klappen. Der Entwurf des Verkehrsetats ist heute deutlich niedriger als im letzten Jahr. Damals war der Verkehrshaushalt so groß wie noch nie, sowohl auf der Schiene wie auf der Straße. Wir haben bei der Umsetzung aber Probleme mit Lieferketten, mit Baumaterialien und Personal. Das gilt auch für den Schienenverkehr. Es gibt im Bereich Verkehrsinfrastruktur zu wenig Ingenieurinnen und Ingenieure, zu wenig Planerinnen und Planer, überhaupt zu wenig Personal. Das ist inzwischen der limitierende Faktor. Deswegen glaube ich nicht, dass man aus den Haushaltsansätzen erkennen kann, ob die Höhe der Mittel angemessen ist. Die entscheidende Frage ist „Wie kriegt man was in welcher Zeit umgesetzt?“

„Wir haben nicht genug Geld“ ist aber noch immer ein Dauermantra etwa von Länderseite oder auch von den Verbänden. Die Schienenverkehrslobby sagte zuletzt, die Mittel für Neu- und Ausbau in Höhe von 1,9 Milliarden Euro würden nicht reichen. Was reicht denn dann?

Ich möchte da differenzieren und nenne das Beispiel Regionalisierungsmittel. Wenn wir da nicht mehr bekommen, dann können wir nicht mehr Züge bestellen. Manche Länder müssen Züge sogar abbestellen. Das hilft der Verkehrswende also nicht. Aber wenn wir jetzt noch mal 10 Milliarden Euro drauflegen, um die Schiene auszubauen, dann wird die Deutsche Bahn einen Teil des Geldes am Ende des Jahres wieder zurückgeben müssen, weil sie es nicht verbauen kann. Ein Parlamentsbeschluss bedeutet noch nicht, dass etwas schon gebaut ist. Man muss hier unterscheiden zwischen Mitteln für den Betrieb, die schnell und flexibel ueingesetzt werden können, und Mitteln für Infrastruktur, die Planungs- und Genehmigungsverfahren erfordern.

Gibt es denn in Baden-Württemberg Projekte, für die Sie die Mittel haben und bei denen Sie nun auf die Planer warten müssen?

Die Rheintalbahn wäre so ein Beispiel. Geld ist da, aber es geht nach dem Eindruck vieler zu langsam voran. Deshalb frage ich mich grundsätzlich, ob die Bahn die richtige Strategie verfolgt. Wir müssen hier radikal umdenken. Wir müssen beim Schienenverkehr dazu kommen, dass der Bau neuer Strecken ähnlich wie bei anderen Infrastrukturprojekten ausgeschrieben wird. Dann können sich auch internationale Konsortien bewerben und einen Auftrag für beispielsweise 50 Kilometer Strecke übernehmen und diesen in fünf Jahren umsetzen. Die DB Netz könnte sich entweder auch bewerben, oder sie hätte andere Aufgaben. So bauen wir ja auch Straßen. Und da ist es nicht so, dass die Straßenbauverwaltung der Engpass ist, denn in diesem Bereich wurde es längst anders gelöst. Viele Verlagerungswünsche scheitern daran, dass es heute viel zu viel Zeit und Geld braucht, um ein paar Kilometer zu bauen.

Laut Koalitionsvertrag soll eine Infrastruktur-Einheit bei der DB entstehen. Sind Sie beteiligt, oder machen das der Bund und die Deutsche Bahn unter sich aus?

Wir Länder haben dem Bund klar signalisiert, dass wir bei dieser Reform dabei sein wollen und müssen. Wir sind schließlich der größte Kunde im Nahverkehr und wissen, wo es klemmt und wie man es anders machen könnte. Ich glaube, dass jetzt die Chance besteht, es besser zu machen. Durch die Neuorganisation könnte man unter anderem auch die genannten Veränderungen in der Ausschreibung umsetzen. Die Infrastruktur-Unternehmen der Deutschen Bahn erwirtschaften eine Rendite, um den anderen Teil des Konzerns zu subventionieren. Das ist kontraproduktiv. Das neue Konzept muss lauten: Rendite muss erwirtschaftet werden, um sie gemeinwohlorientiert in die Infrastruktur zu reinvestieren. Das Ziel ist, dass möglichst viel Transport auf der Schiene stattfindet, und zwar nicht nur für die DB Cargo, sondern beispielsweise auch für den Personenverkehr.

Lässt sich damit der Anteil des Schienengüterverkehrs steigern?

Ich hänge als Grüner nicht dem Glauben an, dass wir alle Güter auf die Schiene bringen können. Wir werden mehr Güter auf die Binnenschifffahrt bringen müssen und werden auch immer noch einen sehr hohen Anteil auf der Straße haben. Auf kürzeren Strecken nutzen wir die Straße, auf längere Distanz die Schiene und die Binnenschifffahrt. Da geht mehr. Für die Verlagerung brauchen wir einen Plan, der über 20 Jahre reicht. Man braucht eine Gesamtstrategie, und in dieser muss man Prioritäten setzen. Wenn wir mehr Güter auf Binnenschiffe und Schiene verlagern wollen, müssen wir dringend mit den Verladern sprechen. Wir brauchen Verträge, damit sie sich verpflichten, in den nächsten fünf oder zehn Jahren ihre Transporte umzustellen und die Schiene stärker nutzen. Die Bahn benötigt zudem eine verlässliche Finanzierungsperspektive. Wenn sie in Zukunft mehr Mittel bekommt, dann braucht sie mehr Planerinnen und Planer, die sie bis dahin ausbilden oder anwerben kann. So, wie es heute läuft, ist es nicht mehr zeitgemäß.

Sehen Sie in der Bundespolitik Ansätze für so eine Strategie, und sind Sie als Landesminister involviert?

Wir Grünen sind gut vernetzt und haben ja nun ein grünes Wirtschaftsministerium. Auch die Fraktion im Bundestag ist sehr stark. Zudem haben wir auf Landesebene sechs grüne Ministerinnen und Minister. Darüber hinaus sehe ich wenig Differenzen zwischen SPD, FDP und Grünen bei der Modernisierung der Bahn.

Ich habe mir vorgenommen, mich in den nächsten Jahren verstärkt um die Transformation im Güterverkehr zu kümmern.

Winfried Hermann
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