Politik

Verkehrsklimaziele: Dena sieht grundlegenden Handlungsbedarf

Klimaschutz ist ein zentrales Thema beim Logistik-Kongress. Im Verkehrssektor gibt es nach Einschätzung der Deutschen Energie-Agentur noch jede Menge zu tun. Ansonsten laufe die Bundesregierung Gefahr, die Ziele deutlich zu verfehlen oder in den kommenden Jahren über kurzfristige Maßnahmen erreichen zu müssen.

Foto: Istock

Die Klimaziele in den Jahren 2021 bis 2023 sind aus Sicht der Deutschen Energie-Agentur (Dena) nicht zu schaffen. Dafür habe die Politik in den vergangenen Jahren zu wenig unternommen. Und bis im Jahr 2045 Klimaneutralität erreicht werde, seien noch gewaltige Anstrengungen und ein politisches Gesamtkonzept nötig. „Weiter so ist keine Option“, sagte Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Dena-Geschäftsführung, bei der Vorstellung der „Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ am 7. Oktober. Darin hat ein vielköpfiges Gremium Szenarien entworfen, wie die Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr die Klimaziele bis 2030 und Klimaneutralität bis 2045 schaffen können.

Um Klimaneutralität im Verkehrssektor zu erreichen, brauche es unter anderem einen umfassenden Einsatz von Wasserstoff und Powerfuels im Schwerlastverkehr. Der Dena zufolge verursacht der Individualverkehr die meisten CO₂-Emissionen, gefolgt vom Lkw-Verkehr. Insgesamt muss der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 1990 auf 85 Millionen Tonnen sinken. Und auch danach steigt das Ambitionsniveau kontinuierlich. 2018 stieß der Verkehrssektor rund 164 Millionen Tonnen CO2 aus.

Im Güterverkehr steigt die Verkehrsleistung laut Studie bis 2045 um ein Fünftel an, jedoch etwas geringer als bisher prognostiziert, „da regulatorische Änderungen auch die Kosten des Güterverkehrs steigen lassen werden“. Im Nutzfahrzeugbereich dominieren der Dena zufolge in den 2020er Jahren weiterhin Diesel-Lkw als kostengünstige Option. Ihre Bedeutung nehme jedoch ab, abhängig vom Marktumfeld für erneuerbare Kraftstoffe, den Vorgaben zu den Flottenzielen, der Ausgestaltung der Lkw-Maut sowie der Möglichkeit, freiwillige Instrumente zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger zuzulassen.

In den letzten Jahrzehnten konnte der Verkehrssektor seine Emissionen kaum reduzieren: Der absolute CO2-Ausstoß bei Pkw liegt 13 Prozent unter dem Niveau von 1990, die Emissionen der Nutzfahrzeuge sind im selben Zeitraum aufgrund des erheblich gestiegenen Straßengüterverkehrs sogar um mehr als 60 Prozent gestiegen. Der Anteil erneuerbarer Kraftstoffe im gesamten Verkehrssektor beträgt laut Studie aktuell etwa 7 Prozent. Im Jahr 2020 sind die Emissionen zwar erstmals deutlich gesunken. Der Rückgang um 19 Millionen Tonnen gegenüber 2019 sei jedoch zum allergrößten Teil auf die reduzierte Verkehrsleistung während der Pandemie zurückzuführen.

Die Kosten für den Schienengüterverkehr und den kombinierten Verkehr seien in der Vergangenheit stärker gestiegen als für reine Lkw-Transporte. „Damit besteht unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kein ökonomischer Grund für eine zunehmende Verlagerung von Transporten von der Straße auf Schiene oder Binnenschiff“, heißt es in der Studie. Gerade unter Berücksichtigung des Güterstruktureffekts und flexibler Produktions- und Logistiksysteme sei ohne die Einbeziehung von externen Umweltkosten nicht mit einer zunehmenden Verlagerung auf die heute emissionsärmsten Verkehrsträger zu rechnen.

Der stärkste Wachstumsmarkt im Güterverkehr der vergangenen Jahre sind KEP-Dienstleistungen. Der Onlinehandel hat laut Studie wesentlich dazu beigetragen, dass die Treibhausgas-Emissionen der leichten Nutzfahrzeuge in Deutschland von 1990 bis 2019 um 194 Prozent gestiegen sind. „Ein Vorteil für die KEP-Dienste, aber auch für andere Straßengütertransporte ist dabei, dass sie bisher den öffentlichen Straßenraum häufig kostenlos für ihre Dienstleistungen nutzen können. Dies erhöht den Kostenvorteil gegenüber dem stationären Einzelhandel zusätzlich“, schreiben die Macher der Studie. Auch gebe es bisher keine Vorgaben oder Mindestanforderungen an Qualität und Emissionen der Fahrzeuge. „Damit sind Umschlag und Lagerung als Kostenelement der Logistik weiterhin entscheidender als der reine Transport.“ Emissionsarme Güterverkehrslösungen der Mikromobilität wie Lastenräder stellten deshalb bisher ein Nischenangebot dar.

So seien im Verkehr letztlich zwar neue Technologien, Energieträger sowie IT- und Mobilitätskonzepte bereits verfügbar. Durch „fehlende oder überholte politische Rahmenbedingungen“ könnten die Potenziale jedoch nicht ausgeschöpft werden. Die Bundesregierung läuft nach Einschätzung der Dena Gefahr, die selbst gesteckten Ziele im Verkehr deutlich zu verfehlen oder in den kommenden Jahren über unpopuläre und wenig nachvollziehbare Ad-hoc-Maßnahmen erreichen zu müssen. „Es besteht grundlegender Handlungsbedarf an einer Vielzahl von Stellschrauben“, konstatiert die Dena.

Die politischen Ziele im Verkehr seien nur mit neuen Denk- und Handlungsansätzen zu erreichen. Antriebstechniken, Energieträger und Energieinfrastruktur spielten eine wesentliche Rolle, müssten jedoch durch tragfähige Geschäftsmodelle für effizientere Mobilitätformen ergänzt werden. Die in der Studie dargestellten Transformationspfade bedingen Innovationen und neue Dienstleistungsangebote, die mit den derzeitigen gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht umgesetzt werden könnten. Es braucht der Dena zufolge daher eine schnelle und grundlegende Anpassung von verkehrspolitischen sowie energie- und emissionsbezogenen Abgaben und Umlagen.

Die Transformationspfade bedingen ebenfalls eine parallele und sehr schnelle Entwicklung von erneuerbaren Energien (für Strom, Gas und Flüssigkraftstoffe), Ladeinfrastruktur, Schienenkapazitäten, effizienten Antrieben sowie neuen Mobilitätsmustern. Sie setzten auch eine stärkere Verknüpfung der Verkehrsträger voraus. Die Transformationspfade der Studie zeigen damit eine Anpassung in allen Bereichen des Energie- und Verkehrsmarktes. Ohne Anpassungen sei es unwahrscheinlich oder nur mit sehr kurzfristigen, nicht planbaren regulatorischen Maßnahmen möglich, die derzeitigen politischen Ziele zu erreichen.

Im Güterverkehr steht in den 2020er Jahren LNG (Liquefied Natural Gas) als einzige marktreife Alternative neben dem Diesel für Transportdistanzen von mehr als 500 Kilometern zur Verfügung und kann laut Dena aufgrund der Beimischung von fortschrittlichen Biokraftstoffen, später strombasiertem Methan, einen Beitrag zum Klimaschutz im Schwerlastverkehr leisten. Mit fortschreitender Technologiereife und im Fall deutlicher Kostendegressionen werden der Studie zufolge auch brennstoffzellenelektrische Lkw bei mittelschweren und schweren Nutzfahrzeugen Ende der 2020er Jahre und in den 2030er Jahren an Bedeutung gewinnen. Batterieelektrisch betriebene Nutzfahrzeuge spielen in allen Segmenten eine Rolle. „Aufgrund der ökonomischen Anforderungen an die Nutzlast und Reichweite sowie an die logistischen Abläufe wird der Einsatz im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge jedoch vorwiegend auf Strecken bis zu 300 bis 500 km limitiert bleiben“, heißt es weiter. Die „Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ und weitere Einzelstudien finden Sie hier.

Podiumsdiskussion beim Kongress

Am Donnerstag ab 11.30 Uhr kommen beim Deutschen Logistik-Kongress in Berlin globale und mittelständische Akteure zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Auf dem Weg zu echter Klimaneutralität“ zusammen. Die Teilnehmer sind Pietro D’Arpa (Procter & Gamble), Rolf Habben Jansen (Hapag-Lloyd), Rolf Meyer (Meyer & Meyer), Tim Scharwath (Deutsche Post DHL) sowie Meri Stevens (Johnson & Johnson). Das komplette Kongressprogramm finden Sie hier. (cs)

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Verkehrsklimaziele: Dena sieht grundlegenden Handlungsbedarf

Klimaschutz ist ein zentrales Thema beim Logistik-Kongress. Im Verkehrssektor gibt es nach Einschätzung der Deutschen Energie-Agentur noch jede Menge zu tun. Ansonsten laufe die Bundesregierung Gefahr, die Ziele deutlich zu verfehlen oder in den kommenden Jahren über kurzfristige Maßnahmen erreichen zu müssen.

Foto: Istock

Die Klimaziele in den Jahren 2021 bis 2023 sind aus Sicht der Deutschen Energie-Agentur (Dena) nicht zu schaffen. Dafür habe die Politik in den vergangenen Jahren zu wenig unternommen. Und bis im Jahr 2045 Klimaneutralität erreicht werde, seien noch gewaltige Anstrengungen und ein politisches Gesamtkonzept nötig. „Weiter so ist keine Option“, sagte Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Dena-Geschäftsführung, bei der Vorstellung der „Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ am 7. Oktober. Darin hat ein vielköpfiges Gremium Szenarien entworfen, wie die Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr die Klimaziele bis 2030 und Klimaneutralität bis 2045 schaffen können.

Um Klimaneutralität im Verkehrssektor zu erreichen, brauche es unter anderem einen umfassenden Einsatz von Wasserstoff und Powerfuels im Schwerlastverkehr. Der Dena zufolge verursacht der Individualverkehr die meisten CO₂-Emissionen, gefolgt vom Lkw-Verkehr. Insgesamt muss der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 1990 auf 85 Millionen Tonnen sinken. Und auch danach steigt das Ambitionsniveau kontinuierlich. 2018 stieß der Verkehrssektor rund 164 Millionen Tonnen CO2 aus.

Im Güterverkehr steigt die Verkehrsleistung laut Studie bis 2045 um ein Fünftel an, jedoch etwas geringer als bisher prognostiziert, „da regulatorische Änderungen auch die Kosten des Güterverkehrs steigen lassen werden“. Im Nutzfahrzeugbereich dominieren der Dena zufolge in den 2020er Jahren weiterhin Diesel-Lkw als kostengünstige Option. Ihre Bedeutung nehme jedoch ab, abhängig vom Marktumfeld für erneuerbare Kraftstoffe, den Vorgaben zu den Flottenzielen, der Ausgestaltung der Lkw-Maut sowie der Möglichkeit, freiwillige Instrumente zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger zuzulassen.

In den letzten Jahrzehnten konnte der Verkehrssektor seine Emissionen kaum reduzieren: Der absolute CO2-Ausstoß bei Pkw liegt 13 Prozent unter dem Niveau von 1990, die Emissionen der Nutzfahrzeuge sind im selben Zeitraum aufgrund des erheblich gestiegenen Straßengüterverkehrs sogar um mehr als 60 Prozent gestiegen. Der Anteil erneuerbarer Kraftstoffe im gesamten Verkehrssektor beträgt laut Studie aktuell etwa 7 Prozent. Im Jahr 2020 sind die Emissionen zwar erstmals deutlich gesunken. Der Rückgang um 19 Millionen Tonnen gegenüber 2019 sei jedoch zum allergrößten Teil auf die reduzierte Verkehrsleistung während der Pandemie zurückzuführen.

Die Kosten für den Schienengüterverkehr und den kombinierten Verkehr seien in der Vergangenheit stärker gestiegen als für reine Lkw-Transporte. „Damit besteht unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kein ökonomischer Grund für eine zunehmende Verlagerung von Transporten von der Straße auf Schiene oder Binnenschiff“, heißt es in der Studie. Gerade unter Berücksichtigung des Güterstruktureffekts und flexibler Produktions- und Logistiksysteme sei ohne die Einbeziehung von externen Umweltkosten nicht mit einer zunehmenden Verlagerung auf die heute emissionsärmsten Verkehrsträger zu rechnen.

Der stärkste Wachstumsmarkt im Güterverkehr der vergangenen Jahre sind KEP-Dienstleistungen. Der Onlinehandel hat laut Studie wesentlich dazu beigetragen, dass die Treibhausgas-Emissionen der leichten Nutzfahrzeuge in Deutschland von 1990 bis 2019 um 194 Prozent gestiegen sind. „Ein Vorteil für die KEP-Dienste, aber auch für andere Straßengütertransporte ist dabei, dass sie bisher den öffentlichen Straßenraum häufig kostenlos für ihre Dienstleistungen nutzen können. Dies erhöht den Kostenvorteil gegenüber dem stationären Einzelhandel zusätzlich“, schreiben die Macher der Studie. Auch gebe es bisher keine Vorgaben oder Mindestanforderungen an Qualität und Emissionen der Fahrzeuge. „Damit sind Umschlag und Lagerung als Kostenelement der Logistik weiterhin entscheidender als der reine Transport.“ Emissionsarme Güterverkehrslösungen der Mikromobilität wie Lastenräder stellten deshalb bisher ein Nischenangebot dar.

So seien im Verkehr letztlich zwar neue Technologien, Energieträger sowie IT- und Mobilitätskonzepte bereits verfügbar. Durch „fehlende oder überholte politische Rahmenbedingungen“ könnten die Potenziale jedoch nicht ausgeschöpft werden. Die Bundesregierung läuft nach Einschätzung der Dena Gefahr, die selbst gesteckten Ziele im Verkehr deutlich zu verfehlen oder in den kommenden Jahren über unpopuläre und wenig nachvollziehbare Ad-hoc-Maßnahmen erreichen zu müssen. „Es besteht grundlegender Handlungsbedarf an einer Vielzahl von Stellschrauben“, konstatiert die Dena.

Die politischen Ziele im Verkehr seien nur mit neuen Denk- und Handlungsansätzen zu erreichen. Antriebstechniken, Energieträger und Energieinfrastruktur spielten eine wesentliche Rolle, müssten jedoch durch tragfähige Geschäftsmodelle für effizientere Mobilitätformen ergänzt werden. Die in der Studie dargestellten Transformationspfade bedingen Innovationen und neue Dienstleistungsangebote, die mit den derzeitigen gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht umgesetzt werden könnten. Es braucht der Dena zufolge daher eine schnelle und grundlegende Anpassung von verkehrspolitischen sowie energie- und emissionsbezogenen Abgaben und Umlagen.

Die Transformationspfade bedingen ebenfalls eine parallele und sehr schnelle Entwicklung von erneuerbaren Energien (für Strom, Gas und Flüssigkraftstoffe), Ladeinfrastruktur, Schienenkapazitäten, effizienten Antrieben sowie neuen Mobilitätsmustern. Sie setzten auch eine stärkere Verknüpfung der Verkehrsträger voraus. Die Transformationspfade der Studie zeigen damit eine Anpassung in allen Bereichen des Energie- und Verkehrsmarktes. Ohne Anpassungen sei es unwahrscheinlich oder nur mit sehr kurzfristigen, nicht planbaren regulatorischen Maßnahmen möglich, die derzeitigen politischen Ziele zu erreichen.

Im Güterverkehr steht in den 2020er Jahren LNG (Liquefied Natural Gas) als einzige marktreife Alternative neben dem Diesel für Transportdistanzen von mehr als 500 Kilometern zur Verfügung und kann laut Dena aufgrund der Beimischung von fortschrittlichen Biokraftstoffen, später strombasiertem Methan, einen Beitrag zum Klimaschutz im Schwerlastverkehr leisten. Mit fortschreitender Technologiereife und im Fall deutlicher Kostendegressionen werden der Studie zufolge auch brennstoffzellenelektrische Lkw bei mittelschweren und schweren Nutzfahrzeugen Ende der 2020er Jahre und in den 2030er Jahren an Bedeutung gewinnen. Batterieelektrisch betriebene Nutzfahrzeuge spielen in allen Segmenten eine Rolle. „Aufgrund der ökonomischen Anforderungen an die Nutzlast und Reichweite sowie an die logistischen Abläufe wird der Einsatz im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge jedoch vorwiegend auf Strecken bis zu 300 bis 500 km limitiert bleiben“, heißt es weiter. Die „Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ und weitere Einzelstudien finden Sie hier.

Podiumsdiskussion beim Kongress

Am Donnerstag ab 11.30 Uhr kommen beim Deutschen Logistik-Kongress in Berlin globale und mittelständische Akteure zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Auf dem Weg zu echter Klimaneutralität“ zusammen. Die Teilnehmer sind Pietro D’Arpa (Procter & Gamble), Rolf Habben Jansen (Hapag-Lloyd), Rolf Meyer (Meyer & Meyer), Tim Scharwath (Deutsche Post DHL) sowie Meri Stevens (Johnson & Johnson). Das komplette Kongressprogramm finden Sie hier. (cs)

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Klimaschutz ist ein zentrales Thema beim Logistik-Kongress. Im Verkehrssektor gibt es nach Einschätzung der Deutschen Energie-Agentur noch jede Menge zu tun. Ansonsten laufe die Bundesregierung Gefahr, die Ziele deutlich zu verfehlen oder in den kommenden Jahren über kurzfristige Maßnahmen erreichen zu müssen.

Foto: Istock

Die Klimaziele in den Jahren 2021 bis 2023 sind aus Sicht der Deutschen Energie-Agentur (Dena) nicht zu schaffen. Dafür habe die Politik in den vergangenen Jahren zu wenig unternommen. Und bis im Jahr 2045 Klimaneutralität erreicht werde, seien noch gewaltige Anstrengungen und ein politisches Gesamtkonzept nötig. „Weiter so ist keine Option“, sagte Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Dena-Geschäftsführung, bei der Vorstellung der „Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ am 7. Oktober. Darin hat ein vielköpfiges Gremium Szenarien entworfen, wie die Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr die Klimaziele bis 2030 und Klimaneutralität bis 2045 schaffen können.

Um Klimaneutralität im Verkehrssektor zu erreichen, brauche es unter anderem einen umfassenden Einsatz von Wasserstoff und Powerfuels im Schwerlastverkehr. Der Dena zufolge verursacht der Individualverkehr die meisten CO₂-Emissionen, gefolgt vom Lkw-Verkehr. Insgesamt muss der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 48 Prozent gegenüber 1990 auf 85 Millionen Tonnen sinken. Und auch danach steigt das Ambitionsniveau kontinuierlich. 2018 stieß der Verkehrssektor rund 164 Millionen Tonnen CO2 aus.

Im Güterverkehr steigt die Verkehrsleistung laut Studie bis 2045 um ein Fünftel an, jedoch etwas geringer als bisher prognostiziert, „da regulatorische Änderungen auch die Kosten des Güterverkehrs steigen lassen werden“. Im Nutzfahrzeugbereich dominieren der Dena zufolge in den 2020er Jahren weiterhin Diesel-Lkw als kostengünstige Option. Ihre Bedeutung nehme jedoch ab, abhängig vom Marktumfeld für erneuerbare Kraftstoffe, den Vorgaben zu den Flottenzielen, der Ausgestaltung der Lkw-Maut sowie der Möglichkeit, freiwillige Instrumente zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger zuzulassen.

In den letzten Jahrzehnten konnte der Verkehrssektor seine Emissionen kaum reduzieren: Der absolute CO2-Ausstoß bei Pkw liegt 13 Prozent unter dem Niveau von 1990, die Emissionen der Nutzfahrzeuge sind im selben Zeitraum aufgrund des erheblich gestiegenen Straßengüterverkehrs sogar um mehr als 60 Prozent gestiegen. Der Anteil erneuerbarer Kraftstoffe im gesamten Verkehrssektor beträgt laut Studie aktuell etwa 7 Prozent. Im Jahr 2020 sind die Emissionen zwar erstmals deutlich gesunken. Der Rückgang um 19 Millionen Tonnen gegenüber 2019 sei jedoch zum allergrößten Teil auf die reduzierte Verkehrsleistung während der Pandemie zurückzuführen.

Die Kosten für den Schienengüterverkehr und den kombinierten Verkehr seien in der Vergangenheit stärker gestiegen als für reine Lkw-Transporte. „Damit besteht unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kein ökonomischer Grund für eine zunehmende Verlagerung von Transporten von der Straße auf Schiene oder Binnenschiff“, heißt es in der Studie. Gerade unter Berücksichtigung des Güterstruktureffekts und flexibler Produktions- und Logistiksysteme sei ohne die Einbeziehung von externen Umweltkosten nicht mit einer zunehmenden Verlagerung auf die heute emissionsärmsten Verkehrsträger zu rechnen.

Der stärkste Wachstumsmarkt im Güterverkehr der vergangenen Jahre sind KEP-Dienstleistungen. Der Onlinehandel hat laut Studie wesentlich dazu beigetragen, dass die Treibhausgas-Emissionen der leichten Nutzfahrzeuge in Deutschland von 1990 bis 2019 um 194 Prozent gestiegen sind. „Ein Vorteil für die KEP-Dienste, aber auch für andere Straßengütertransporte ist dabei, dass sie bisher den öffentlichen Straßenraum häufig kostenlos für ihre Dienstleistungen nutzen können. Dies erhöht den Kostenvorteil gegenüber dem stationären Einzelhandel zusätzlich“, schreiben die Macher der Studie. Auch gebe es bisher keine Vorgaben oder Mindestanforderungen an Qualität und Emissionen der Fahrzeuge. „Damit sind Umschlag und Lagerung als Kostenelement der Logistik weiterhin entscheidender als der reine Transport.“ Emissionsarme Güterverkehrslösungen der Mikromobilität wie Lastenräder stellten deshalb bisher ein Nischenangebot dar.

So seien im Verkehr letztlich zwar neue Technologien, Energieträger sowie IT- und Mobilitätskonzepte bereits verfügbar. Durch „fehlende oder überholte politische Rahmenbedingungen“ könnten die Potenziale jedoch nicht ausgeschöpft werden. Die Bundesregierung läuft nach Einschätzung der Dena Gefahr, die selbst gesteckten Ziele im Verkehr deutlich zu verfehlen oder in den kommenden Jahren über unpopuläre und wenig nachvollziehbare Ad-hoc-Maßnahmen erreichen zu müssen. „Es besteht grundlegender Handlungsbedarf an einer Vielzahl von Stellschrauben“, konstatiert die Dena.

Die politischen Ziele im Verkehr seien nur mit neuen Denk- und Handlungsansätzen zu erreichen. Antriebstechniken, Energieträger und Energieinfrastruktur spielten eine wesentliche Rolle, müssten jedoch durch tragfähige Geschäftsmodelle für effizientere Mobilitätformen ergänzt werden. Die in der Studie dargestellten Transformationspfade bedingen Innovationen und neue Dienstleistungsangebote, die mit den derzeitigen gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht umgesetzt werden könnten. Es braucht der Dena zufolge daher eine schnelle und grundlegende Anpassung von verkehrspolitischen sowie energie- und emissionsbezogenen Abgaben und Umlagen.

Die Transformationspfade bedingen ebenfalls eine parallele und sehr schnelle Entwicklung von erneuerbaren Energien (für Strom, Gas und Flüssigkraftstoffe), Ladeinfrastruktur, Schienenkapazitäten, effizienten Antrieben sowie neuen Mobilitätsmustern. Sie setzten auch eine stärkere Verknüpfung der Verkehrsträger voraus. Die Transformationspfade der Studie zeigen damit eine Anpassung in allen Bereichen des Energie- und Verkehrsmarktes. Ohne Anpassungen sei es unwahrscheinlich oder nur mit sehr kurzfristigen, nicht planbaren regulatorischen Maßnahmen möglich, die derzeitigen politischen Ziele zu erreichen.

Im Güterverkehr steht in den 2020er Jahren LNG (Liquefied Natural Gas) als einzige marktreife Alternative neben dem Diesel für Transportdistanzen von mehr als 500 Kilometern zur Verfügung und kann laut Dena aufgrund der Beimischung von fortschrittlichen Biokraftstoffen, später strombasiertem Methan, einen Beitrag zum Klimaschutz im Schwerlastverkehr leisten. Mit fortschreitender Technologiereife und im Fall deutlicher Kostendegressionen werden der Studie zufolge auch brennstoffzellenelektrische Lkw bei mittelschweren und schweren Nutzfahrzeugen Ende der 2020er Jahre und in den 2030er Jahren an Bedeutung gewinnen. Batterieelektrisch betriebene Nutzfahrzeuge spielen in allen Segmenten eine Rolle. „Aufgrund der ökonomischen Anforderungen an die Nutzlast und Reichweite sowie an die logistischen Abläufe wird der Einsatz im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge jedoch vorwiegend auf Strecken bis zu 300 bis 500 km limitiert bleiben“, heißt es weiter. Die „Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“ und weitere Einzelstudien finden Sie hier.

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