Litauens Verkehrsminister: „Der Osten ist uns verschlossen“

Der Angriff Russlands auf die Ukraine bedeutet für die baltischen Staaten einen radikalen Einschnitt in deren bisher gepflegte Handelsgewohnheiten mit dem Osten. „Wir müssen alles auf links drehen und uns geopolitisch und wirtschaftlich nach Westen orientieren“, sagt Marius Skuodis im Gespräch mit der DVZ. 


Marius Skuodis (links) sprach in der Lobby seines Hamburger Hotels mit DVZ-Redakteur Jan Peter Naumann. (Foto: HHM)

Litauen ist zwar des größte Land der drei baltischen Staaten, aber es teilt das Schicksal mit Lettland und Estland: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine findet so gut wie kein Transitverkehr in die südöstlich und östlich gelegenen Nachbarstaaten Belarus und Russland und darüber hinaus statt. Das spüren die Häfen, die Eisenbahn und auch der Straßengüterverkehr. „Der 24. Februar bedeutet für uns einen radikalen Einschnitt in unsere bisher gepflegten Handelsgewohnheiten mit dem Osten. Wir müssen alles auf links drehen und uns geopolitisch und wirtschaftlich nach Westen orientieren“, sagt der litauische Verkehrsminister Marius Skuodis der DVZ.

„In der Vergangenheit haben wir Litauen als Brücke zwischen Ost und West präsentiert. Jetzt ist der Osten für uns verschlossen. Wir rechnen aus diesem Grund mit einem starken Frachtrückgang im Verkehr mit den östlichen Nachbarn. Belarus und Russland sind mit Sanktionen belegt worden, die Ukraine fällt als Transportziel aus. Deswegen müssen wir uns nach Westen orientieren.“

Wenig Zeit zum Aufholen

Selbstkritisch gibt der 37-Jährige zu, dass sein Land politisch viel zu lange gezögert hat, den Blick nach Westen zu richten. Auch staatliche Unternehmen wie die Bahn oder der Hafen Klaipeda hätten dies versäumt. Für den Straßengüterverkehr, der sich Märkten im Westen zugewandt hat, treffe dies nicht zu. „Wir haben jetzt sehr wenig Zeit, das aufzuholen, was wir lange vernachlässigt haben“, sagt Skuodis.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Besuch einer litauischen Delegation Anfang Mai in Hamburg und Lübeck zu sehen. Mit den Standortvermarktern von Hafen Hamburg Marketing unterzeichnete der Generaldirektor des Hafens Klaipeda, Algis Latakas, ein Memorandum of Understanding (MOU) über eine vertiefte Kooperation. „Aus dieser Konstellation ergeben sich viele Möglichkeiten. Es existierten schon jetzt etliche Schiffsverbindungen von Hamburg nach Klaipeda, die noch ausbaufähig sind, besonders im Containerverkehr“, so Skuodis.

Gegenstand des MOU sind auch gemeinsame Marketingaktivitäten. Insbesondere bei den Bahnverkehren muss Litauen aus den bereits oben genannten Gründen umdenken. LG, die staatliche Eisenbahngesellschaft Litauens, hat bereits reagiert und in Polen sowie der Ukraine Tochtergesellschaften gegründet. In der Ukraine ruhen die Aktivitäten, während in Polen weiter investiert werde, berichtet Skuodis.

Bislang scheiterten durchgehende Bahnverkehre von Litauen in Richtung Westen an den unterschiedlichen Spurbreiten. In Litauen und den anderen baltischen Staaten wird auf russischer Breitspur gefahren, ab der polnischen Grenze geht es auf der europäischen Normalspur weiter. Die erste durchgehende Verbindung mit einheitlicher Spurbreite führt inzwischen vom Intermodal-Terminal der Stadt Kaunas, zwischen Klaipeda und der Hauptstadt Vilnius gelegen, über Polen bis zum Duisburg Rail Terminal auf Logport III. Operateur ist LTG Cargo. „Es verkehren seit April dieses Jahres wöchentlich drei Züge auf dieser Strecke, die Teil des EU-Projekts Rail Baltica ist“, sagt Skuodis. „Als nächsten Schritt würden wir gern eine Verbindung nach Hamburg aufbauen.“ Auch dies sei Bestandteil der Gespräche in der Hansestadt gewesen. Transportiert werden sollen Container und kranbare Sattelauflieger.

Mehr Intermodalverkehre

Der Minister sieht vor dem Hintergrund des Fahrermangels gute Chancen für mehr intermodale Verkehre. Positive Signale kämen zudem von den großen litauischen Straßentransportunternehmen, die sehr für eine stärkere Nutzung der Schiene seien.

Bei der Energiegewinnung und -versorgung sieht der Minister weitere Felder für eine Zusammenarbeit mit Hamburg. Konkret lädt Skuodis deutsche Unternehmen ein, sich am Bau eines 750-Megawatt-Offshore-Windparks in der Nähe von Klaipeda zu beteiligen. Die Ausschreibung beginnt im kommenden Jahr. Gleichzeitig befasst sich der Hafen Klaipeda mit der Wasserstoffgewinnung und -verteilung, einem Thema, das auch in Hamburg aktuell ist. „Bei der Planung und Umsetzung eines LNG-Terminals im Raum Hamburg wollen wir Hilfestellung leisten“, ergänzt der Minister und verweist darauf, dass Litauen sich schon 2014 durch ein schwimmendes LNG-Terminal in Klaipeda von russischen Gaslieferungen unabhängig gemacht hat.

Durch die bereits gebaute Teilstrecke der Rail Baltica ist Kaunas jetzt der östlichste Punkt im europäischen Eisenbahn-Normalspurnetz. „Wir arbeiten am Weiterbau der Strecke bis zur litauisch-lettischen Grenze“, sagt Skuodis. Parallel dazu laufen die Vorarbeiten für eine Anbindung der Hauptstadt Vilnius an die Rail Baltica. Die Linienführung bis Kaunas stehe fest, und 2024 sei mit dem Baubeginn zu rechnen. Die Inbetriebnahme der Normalspurstrecke ist laut Skuodis für 2026/2027 vorgesehen.

Dabei macht er eines deutlich. „Die Rail Baltica ist längst kein wirtschaftlich notwendiges Projekt mehr, sondern durch die jüngsten Ereignisse ein geopolitisches Projekt.“

Marius Skuodis

Der Politik- und Sozialwissenschaftler ist seit Dezember 2020 Minister für Transport und Kommunikation in Litauen. Davor war er zwei Jahre stellvertretender Witschaftsminister seines Landes. In der Zeit zwischen 2008 und 2009 arbeitete Skuodis, der auch Erfahrung im internaionalen Bankwesen hat, als EU-Beauftragter der litauischen Regierung.

 

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