Fiege-Personalexpertin: Nah am Menschen bleiben

Für Logistikunternehmen ist es schwierig, neue Fachkräfte zu finden. Doch mit einer anderen Sicht auf potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann es gelingen. Ein Plädoyer für mehr Nähe.

Eine der größten Herausforderungen für Logistikunternehmen bleibt, die genau passenden Mitarbeiter für eine Position zu finden. (Foto: Fiege)

Detlev Scheele, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, hat vor einigen Wochen ein paar sehr eindringliche Sätze gesagt. „Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr, also deutlich mehr als in den vergangenen Jahren“, erklärte er gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Und weiter: „Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen.“ Durch die demografische Entwicklung nehme die Zahl der potenziellen Arbeitskräfte im typischen Berufsalter bereits in diesem Jahr um fast 150.000 ab, in den kommenden Jahren werde es noch „viel dramatischer“.

Wer passt zum Unternehmen

Es braucht also, wenn man Scheele so zuhört, nicht besonders viel Fantasie, um sich ausmalen zu können, wie wichtig, aber auch wie herausfordernd gutes Recruiting für Logistikunternehmen heute schon ist – und um wie viel wichtiger und herausfordernder es noch werden wird. Und wenn man als Unternehmen wächst, dann besteht die große Kunst heute darin, genau die Leute zu finden, die einem dabei helfen können, das Wachstum auch managen und stemmen zu können.

Das gilt von der Führungskraft auf der Management-Ebene bis hin zur Lagerarbeiterin oder zum Lagerarbeiter auf der Fläche. Die zentrale Frage, die sich also fast zwangsläufig stellt, ist folgende: Wie findet man in Zeiten von Fachkräftemangel die richtigen Köpfe für das eigene Unternehmen? Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Doch es gibt Grundvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findet, die man auch tatsächlich finden möchte.

Das Team zählt

Am Anfang steht auch in der Logistik immer das Team. Eine Mannschaft, die das Unternehmen kennt wie die eigene Westentasche. Denn nur wer mit der Firma vertraut ist, kann sie begeisternd und authentisch in die Welt tragen. Und nur wer das eigene Unternehmen wirklich versteht, weiß, wen er eigentlich sucht. Entscheidend dafür ist eine gute Abstimmung zwischen Personal- und Fachabteilung. Die Regel ist simpel: Je genauer ich weiß, wen ich suche, desto einfacher wird es am Ende sein, ihn oder sie auch zu finden.

Dabei geht es längst nicht nur um die fachliche Qualifikation. Ein besonderer Fokus liegt immer auch auf der Persönlichkeit einer Kandidatin oder eines Kandidaten. Nur wenn potenzielle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Unternehmenskultur passen und sich in das Team integrieren lassen, kann die gemeinsame Zukunft wirklich erfolgreich gestaltet werden. Man kennt das beispielsweise aus dem Fußball: Ein Verein kann den teuersten und vermeintlich besten Spieler verpflichten, aber wenn er keinen Zugang zum Team und zum Klub findet, werden beide Seiten nie wirklich glücklich miteinander werden – und irgendwann wird der Spieler dann als Fehleinkauf abgehakt und geht wieder.

Deswegen ist das, was im Sport gerne Scouting und in der Wirtschaft Recruiting genannt wird, von so großer Bedeutung. Es geht nämlich nicht darum, nur irgendjemanden zu finden, sondern darum, die Richtige oder den Richtigen zu finden. Die Menschen sollen schließlich nicht nur im Unternehmen anfangen, sie sollen auch bleiben und sich weiterentwickeln – und das gilt für große wie für kleine Logistikunternehmen gleichermaßen. Die Erfolgsformel lautet – auch wenn es keine hundertprozentige Garantie gibt: Wenn ich mir im Vorfeld sehr viel Mühe gebe, vielleicht sogar mehr als andere, habe ich eine gute Chance, eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter zu gewinnen, der/die perfekt zu meinem Unternehmen passt. Es geht dabei nie um Quantität, sondern immer um Qualität. Deswegen sollte sich jedes Logistikunternehmen in Bezug auf die Ausschreibung, die Auswahl und die ersten Gespräche besonders gut aufstellen. Jeder andere Ansatz verschwendet nur Ressourcen und letztlich Geld.

Es geht um Emotionalität

Der Fokus beim Recruiting muss auf der sogenannten Candidate Experience liegen. Damit bezeichnet man alle Erfahrungen, die ein Bewerber oder eine Bewerberin auf dem Weg zu seinem potenziellen neuen Arbeitgeber, der sogenannten Candidate Journey, sammelt. Deren Ziel ist es, an möglichst vielen Kontaktpunkten positive Erlebnisse mit dem Unternehmen zu vermitteln. Gelingt das, werden Kandidaten zu Bewerbern und Bewerberinnen, dann zu Mitarbeitenden und später zu begeisterten Botschaftern der Arbeitgebermarke.

Im Idealfall ist bereits eine emotionale Bindung zum Arbeitgeber entstanden, bevor neue Mitarbeitende in ihr Arbeitsverhältnis eintreten. Anschließend ist der gesamte Onboarding-Prozess entscheidend für den Verbleib im Unternehmen. Eine stete Begleitung, regelmäßige Feedback-Gespräche und positive Erlebnisse führen zu einer schnellen Integration und damit zu Bindung zum Unternehmen.

Ganz allgemein, auch das ist wichtig, sollten der Fantasie bei der Personalsuche wenig Grenzen gesetzt sein. Kreative, mutige, unkonventionelle Schritte gehen? Auf jeden Fall! Programmatic Advertising ist zum Beispiel ein spannendes Thema. Es gibt kaum Limits in Zeiten des digitalen Wandels. Digitale Werbezäune um Messen und Kongresse, digitale Mitarbeiter-Empfehlungsprogramme, Stellenanzeigen über Whatsapp, Interaktion in den sozialen Medien: Zumindest einen Versuch sollte jeder neue Weg wert sein.

Die Erfahrung zeigt, dass gerade die abwegigsten Ansätze manchmal besonders gut zum Ziel führen. Das gilt auch für Active Sourcing, ein wichtiges Instrument der direkten Ansprache in sozialen Medien, mit dem auch die passiv Suchenden aktiv angesprochen werden. Denn nur mit Stellenausschreibungen, und mögen sie noch so gut sein, wird es nicht gelingen, die besten und vor allem richtigen Köpfe für das Unternehmen zu gewinnen.

Der Druck steigt

Fakt ist: Der Druck, gute Leute zu finden, wird durch immer größer. Die Bewerberinnen und Bewerber setzen sich intensiv mit dem Arbeitgeber auseinander und haben, wenn sie gut sind, mindestens drei Jobangebote in der Tasche. Es geht um Angebot und Nachfrage – und natürlich kommt es den Bewerberinnen und Bewerbern immer auf das Gehalt und die Aufgabe an, die auf sie wartet. Doch es geht auch zunehmend um das Unternehmen selbst, um die Werte, die es vertritt, um die Unternehmenskultur, um Work-Life-Balance, um mobiles Arbeiten, um Flexibilität, um Nachhaltigkeit, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Dafür ist es essenziell, jede Bewerberin und jeden Bewerber individuell zu betrachten. Wie sieht die persönliche Lebenssituation aus? Welche Bedürfnisse gibt es? Welche Perspektive und welche Entwicklungsprogramme kann man anbieten? Je persönlicher, individueller und agiler der Arbeitgeber auf die Bedürfnisse der Bewerber eingeht, desto besser. Es ist also ganz entscheidend, als Logistikunternehmen eine gute Arbeitgebermarke zu schaffen. (ben)

Martina Schlottbom

Die Personalmanagerin ist Head of HR Business Solutions und arbeitet seit 18 Jahren bei dem Logistikdienstleister Fiege, der weltweit rund 20.000 Menschen beschäftigt. Schlottbom hat Fremdsprachen und Personalmanagement studiert; sie stellt nicht nur beruflich, sondern auch privat gern viele Fragen.

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