Mit 500 PS der Sonne entgegen

Fünf Jahre lang lebte Helga Blohm ihren Traum und fuhr als Berufskraftfahrerin mit dem Lkw quer durch Europa. In ihrem Buch berichtet sie lebendig und anschaulich von ihren Abenteuern unterwegs.

In den fünf Jahren, die Helga Blohm auf Achse war, begegneten ihr die Kollegen mit großer Achtung, Hilfsbereitschaft und Respekt. (Foto: Christoph Blüthner)

Ihr Herzensprojekt begann Helga Blohm ohne Hoffnung. Als sie mit 32 Jahren ihren Lkw-Führerschein machte, rechnete sie nicht damit, ihn beruflich nutzen zu können. Fahrerinnen waren 1986 eine Ausnahme, ihre Bewerbungen bei Speditionen hatten keinen Erfolg. Zu jung und unerfahren, hieß es. Freunde und Bekannte rieten ab. Sie fürchteten, Blohm würde von den angeblich „primitiven Kerlen angemacht“. Doch die Rechtsanwaltsgehilfin wollte nur eins: „Raus aus der Enge des Alltags.“ Und was die Kollegen betrifft: „Die sind mir immer mit großer Achtung und Respekt begegnet.“

Um sich beim Fahren auszuleben, nahm sie an Geschicklichkeit-am-Steuer-Turnieren des ADAC teil. Dass ihr mit ihrer Ente nicht viel zugetraut wurde, spornte sie noch an. Blohm trainierte fleißig, gewann bald Pokale und kam auch ihrem Ziel ein Stück näher: „Ein Transportunternehmer mit zwei Sattelzugmaschinen war von meinem Fahrvermögen beim Parcours angetan“, erinnert sie sich.

Mit Glück zum richtigen Job

Dann kam der 14. September 1989. An dieses Datum erinnert sich Blohm genau, denn an diesem Tag rief ein Spediteur an, der ganz dringend einen Fahrer suchte. Jemand, der mit ihm noch am selben Abend in die Schweiz fahren könnte, um dort einen Lkw zu übernehmen und nach Italien zu fahren. „Dort war sein Fahrer verhaftet worden“, berichtet sie. „Das war meine Chance, denn dem Spediteur war völlig egal, ob ich eine Frau oder ein Mann bin.“

Blohm hatte Zeit und sagte begeistert zu. In Bellinzona im Tessin übergab ihr der Spediteur die Zollpapiere und den Lkw. Sie stellte die fünf Außenspiegel ein und fuhr los, Richtung Grenzstation in Chiasso. Aufregend sei diese Tour gewesen, sie sprach nur ein paar Brocken Italienisch, und es gab damals weder Handys noch Navigationsgeräte. Hilfe habe sie einige Male benötigt und auch immer bekommen. So unterstützten sie beispielsweise Kollegen über Funk, den Weg zur Zollstelle zu finden, die auf ihrer Landkarte nicht eingezeichnet war.

Vom Büro ins Fahrerhaus

Zurück in Deutschland war sie erschöpft, aber glücklich. Ihr Auftraggeber, Chef eines Familienunternehmens mit zehn großen und kleineren Lkw, war so zufrieden, dass er sie einstellte. Dass der Alltag in einer Spedition nicht zu vergleichen war mit dem in der großen, renommierten Mannheimer Wirtschaftskanzlei, war ihr klar, störte sie aber nicht. Schließlich wollte sie nur eins: Losfahren statt im Büro zu arbeiten, die schiere Kraft großer Lkw erleben, hinaus ins Weite und andere Länder kennenlernen.

Das tat sie dann auch und ist noch immer begeistert, wie oft sie von Menschen Unterstützung erhielt, wenn sie diese brauchte. Etwa in Barcelona, wo sie an einer Tankstelle nach dem Weg fragte, und der Inhaber diese kurzerhand abschloss, um sie mit seinem Pkw ans Ziel zu lotsen. Auch einige Landschaftserlebnisse sind unvergessen: „Besonders schön fand ich die spanische Hochebene bei Madrid. Das war wie Klein-USA, kerzengerade, einsame Landstraßen und ein Blick bis zum Horizont. Mit 500 PS unter der Haube frühmorgens dem Sonnenaufgang entgegenfahren – das sind Highlights, die alles Weh und Ach, was dieser Beruf auch mit sich bringt, in den Schatten stellen.“

„Ich wollte losfahren und die schiere Kraft großer Lkw erleben.“ Helga Blohm

Herausforderungen inklusive

Natürlich gab es auch Herausforderungen. Etwa bei einem Supermarkt, wo sie mit 13.000 Erika-Pflanzen auf dem Jumbo ankam und die Sechserpacks nicht nur abladen, sondern von hohen auf niedrige Rollregale umräumen sollte: „Fünf Stunden hat das gedauert.“ Auch dass sie eine Frau war, machte es in manchen Situationen nicht einfacher, beispielsweise wenn Damenduschen fehlten und sie eine abschließbare Einzeldusche im Herren-WC nutzen musste. „Auch Planen seitlich aufs Dach zu ziehen, war bei stürmischem Wetter ein Problem“, erinnert sich Blohm, die deshalb immer eine 4 Meter lange Dachlatte dabeihatte.

Als beide Elternteile innerhalb von einer Woche verstarben, kündigte sie nach fünf Jahren ihren Job als Fahrerin. „Ich wollte eine Vier-Tage-Woche, um mich um Haus und Hof zu kümmern, und das war mit dem Fernverkehr nicht vereinbar.“ Der Nahverkehr interessierte sie nicht. „Ich wollte immer nur ins Ausland.“ Als man bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber davon erfuhr, wurde sie gefragt, ob sie wieder in der Kanzlei anfangen wollte – und sie sagte zu.

Mit Beginn ihres Ruhestands vor drei Jahren erinnerte sich Blohm an ihre Tagebücher. „Als ich begann, meine Erlebnisse aufzuschreiben, saß ich zwar am Schreibtisch, war aber gedanklich wieder hinter dem Steuer“, freut sie sich. Mit ihrem Buch „Gott und mein 40-Tonner“ fährt sie nun zu Lesungen in der ganzen Republik.

Die fünf Weiterbildungsmodule für Berufskraftfahrer hat Blohm dennoch kürzlich gemacht. „Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich auch noch fahren“, so die 68-Jährige. „Am liebsten nach Frankreich, Spanien und in die nordischen Länder. Dort gibt es mehr Parkraum, und die Fahrer werden stärker respektiert.“ Aber in ihrem Alter denkt sie dann doch lieber gern an die Zeit zurück.

Freiheit pur am Steuer

Im Vergleich zu heute sieht sie für Fernfahrer Vor- und Nachteile. „Es gab kein Handy, das war Freiheit pur.“ Aber sie konnte von unterwegs auch niemanden erreichen, sprach dafür auf langen Strecken stundenlang über Funk mit den Kollegen. „Und Navis finde ich toll“, unterstreicht sie, „genauso wie Apps speziell für Lkw, die die Durchfahrthöhen anzeigen“. Damals habe sie einmal pro Tag in der Spedition angerufen, heute seien Fahrer sehr gläsern.

„Junge Frauen würde ich dabei unterstützen, Fahrerin zu werden, aber zugleich empfehle ich, erst einen anderen Beruf zu erlernen“, sagt Blohm. „Denn es ist immer sinnvoll, noch ein zweites Standbein zu haben.“ Von einer Frauenquote hält sie hingegen nichts: „Es fehlen ohnehin zu viele Fahrer. Zuverlässige Frauen wie Männer haben alle Chancen.“

Gott und mein 40-Tonner

Helga Blohm,
176 Seiten,
Christliche Verlagsges.,
ISBN 978-3-86353-824-8,
14,90 EUR

 

 

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