Strategy&-Director Haag: Die Branche muss sich neu erfinden

Ganzheitliche Nachhaltigkeit wird zum Muss. Die Kunden fordern letztlich nachhaltige Logistiklösungen. Ein Gastbeitrag von Daniel Haag.

(Foto: Istock)

Zwischen 1995 und 2018 stiegen die CO2-Emissionen des Straßengüterverkehrs in Deutschland um 22 Prozent, da Effizienzgewinne durch eine Zunahme des Güterverkehrs überkompensiert wurden. Damit ist der (Güter-)Verkehr ein wesentlicher Treiber des menschengemachten Klimawandels und erschwert die Erreichung der von der Politik gesetzten Klimaziele, wie zum Beispiel die Klimaneutralität der Europäischen Union bis 2050. Gleichzeitig erhöht dies stetig den Handlungsdruck auf die Logistikbranche.

Doch geht das Gesamtkonzept der Nachhaltigkeit weit über die reine Dekarbonisierung hinaus. Zusätzlich zu ökologischen Gesichtspunkten gewinnen soziale und Governance-Aspekte (ESG) in den letzten Jahren zunehmend an Relevanz, etwa bezogen auf die Arbeitsbedingungen oder das Management physischer Risiken aus dem Klimawandel.

Regulatoren und Kunden erhöhen Handlungsdruck

Entsprechende Maßnahmen, die bisher auf Freiwilligkeit basieren, werden in Zukunft durch steigenden regulatorischen Druck aktiv forciert. Auch die Finanzbranche schlägt zunehmend einen grünen Kurs ein und richtet sich bei der Kreditvergabe verstärkt nach Nachhaltigkeitskriterien. Nicht zuletzt fordern auch die Kunden nachhaltige Logistiklösungen und berücksichtigen ESG-Kriterien bei der Auftragsvergabe.

Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Branche nicht neu, doch angesichts des steigenden externen Drucks sollte das Feld dringend strategisch bearbeitet werden. Vielen Logistikunternehmen fehlt es an klaren Zielen und einem operationalisierbaren Fahrplan, der auf einzelne Geschäftsfelder und Regionen heruntergebrochen werden kann und mit den nötigen Ressourcen ausgestattet ist. So setzten im Jahr 2019 weltweit nur 28 Prozent der Logistikunternehmen überhaupt ein Nachhaltigkeitsreporting auf.

28

Prozent der Logistikunternehmen weltweit setzten 2019 ein Nachhaltigkeitsreporting auf.

Quelle: EBS

Mittlerweile haben globale Player ebenso wie regionale Mittelständler begonnen, umfassendere Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln, die auf wissenschaftlich abgeleiteten Zielen beruhen. Eines der größten CO2-Einsparpotenziale besteht bei schweren Lkw, die zwar nur 14 Prozent der Flotte ausmachen, aber für 66 Prozent der CO2-Emissionen des Straßengüterverkehrs in Deutschland verantwortlich sind.

Schon bis 2030 werden alternative Antriebe mit Blick auf die Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership/TCO) nach Strategy&-Analysen für Flottenbetreiber voraussichtlich deutlich attraktiver: Batteriebetriebene Lkw werden dann je Kilometer nur noch um 18 Prozent, brennstoffzellenbetriebene Lkw lediglich noch um 13 Prozent teurer sein als traditionelle Verbrenner. Logistikunternehmen sollten Klarheit über ihren Dekarbonisierungspfad gewinnen und ihre Nachhaltigkeitsstrategie gleichzeitig technologieoffen gestalten. Die Analyse der Grenzkosten zur Emissionsreduzierung für verschiedene Antriebstechnologien kann bei der Priorisierung helfen, welcher Antrieb die größten CO2-Minderungen erlaubt und dabei gleichzeitig langfristig profitabel ist.

Transformation nur gemeinsam

Auf dem Weg zu umfassender Nachhaltigkeit ist die Logistikbranche gefragt, sich in einen Transformationsprozess zu begeben und Partnerschaften einzugehen, um die Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Dazu gehören die Entwicklung neuer Technologien und der Aufbau des notwendigen Know-hows. So können beispielsweise durch den Einsatz von Forwarding-Plattformen Leerfahrten reduziert werden. Bei Lösungen für die sogenannte letzte Meile sollten Unternehmen auch Kooperationen mit dem Wettbewerb in Betracht ziehen, um von Synergieeffekten zu profitieren.

Mit Blick auf den notwendigen Infrastrukturausbau für alternative Antriebsarten muss die Logistik in den Dialog mit der öffentlichen Hand treten. Bei der Finanzierung ist darüber hinaus auch die enge Zusammenarbeit zwischen Real- und Finanzwirtschaft nötig.

Nachhaltigkeit in der Struktur

Innerhalb der Organisation müssen die Nachhaltigkeitsziele mit der Unternehmensstrategie verzahnt werden, damit die neue Ausrichtung als bereichsübergreifender Werttreiber funktionieren kann. Dies beinhaltet die Verankerung von ESG-Vorgaben über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg: in den verschiedenen Geschäftsfeldern und Regionen, von der Managementebene bis in den operativen Betrieb. Denn die Transformation zur nachhaltigen Logistik ist kein kurzfristiges Vorhaben. Ein erfolgreicher Wandel hat jedoch das Potenzial, ein neues Selbstverständnis in der Logistikbranche zu prägen. (fw)

Daniel Haag ist Direktor im Bereich Transport und Logistik bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC.

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