So abhängig ist Deutschland von China

Die klar dominierenden Zulieferer für Deutschland sind zwar EU-Länder. Bei kritischen Gütern und Rohstoffen ergibt sich aber eine mitunter hohe Abhängigkeit vom Reich der Mitte. Das zeigt eine Analyse, die das Ifo Institut bereits im Frühjahr veröffentlicht hatte.

Illustration: Benedikt Grotjahn

China ist in den vergangenen Jahren zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner aufgestiegen. Das Ifo Institut hat untersucht, welche Abhängigkeiten sich daraus für die deutsche Wirtschaft ergeben.

China nehme als Zulieferer und Absatzmarkt für Deutschland eine wichtige, aber keinesfalls beherrschende Rolle im Vergleich zu anderen Handelspartnern ein. Das zeige sich, wenn man alle Wirtschaftssektoren sowie direkte und indirekte Wertschöpfungsverflechtungen berücksichtige, schreibt Lisandra Flach, die Leiterin des Ifo Zentrums für Außenwirtschaft, in einer aktuellen Analyse.

Für die deutschen Verflechtungen mit China im internationalen Vergleich hat das Ifo Institut die Anteile chinesischer Wertschöpfung an der gesamten Endproduktion und den Anteil der chinesischen Endnachfrage an der gesamten Wertschöpfung eines Landes betrachtet. Ergebnis: Der Anteil chinesischer Inputs von 1 Prozent an deutschen Endprodukten stellt im Vergleich zu den übrigen G20-Ländern einen eher unterdurchschnittlichen Wert dar. Als Absatzmarkt ist die Bedeutung Chinas für Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen G20-Ländern relativ hoch: Deutschland exportiert direkt und indirekt nur 2,7 Prozent seiner heimischen Wertschöpfung in die Volksrepublik. „Im Kontext der G20 liegt Deutschland damit ungefähr im Mittelfeld“, heißt es in der Ifo-Analyse.

„Allerdings ist Deutschland bei mehreren spezifischen Industriegütern und Rohstoffen abhängig von China“, sagt Flach. Knapp drei Viertel der als kritisch eingestuften Industrieprodukte kommen laut der Analyse aus anderen EU-Ländern, während 3 Prozent aus China und 7 Prozent aus den USA importiert werden. Die höchsten Abhängigkeiten gegenüber China bestehen den Ifo-Forschern zufolge im Chemiesektor. Als Beispiele für kritische Industrieprodukte nennen sie Magnete, Projektoren, Aminosäuren oder heterozyklische Verbindungen, die wichtige Vorleistungen für die Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe seien.

Über alle Handelspartner hinweg entfallen laut Analyse nur 5 Prozent aller deutschen Importe auf Güter mit kritischen Abhängigkeiten. „Dennoch kann bereits eine geringe Anzahl von Produkten massive Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette haben“, schreiben Flach und Co-Autor Andreas Baur.

Ifo-Expertin: EU sollte Einigkeit gegenüber China demonstrieren

Das Ifo Institut hat sich für ein Signal der Einigkeit gegenüber China ausgesprochen. Das Ungleichgewicht der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China sei in den vergangenen Jahren zugunsten China deutlich gestiegen, das gelte jedoch nicht für die EU-China Handelsbeziehungen. „Aus diesem Grund ist es fraglich, ob die China-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz im Alleingang das richtige Signal sendet. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, um gegenüber Peking europäische Einigkeit zu demonstrieren“, sagte Lisandra Flach, Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft. Der Kanzler war am 4. November zu Besuch in Peking, begleitet von rund einem Dutzend Top-Managern, darunter die Chefs von Volkswagen, BMW, BASF und Bayer.

Angesichts der geopolitischen Spannungen ist die Marktmacht der EU der Ifo-Expertin zufolge von großer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft in den Verhandlungen mit China. „Marktmacht zu bündeln, um weltweite Bedeutung zu behalten und mit den Herausforderungen umzugehen, das sollte das Gebot der Stunde sein. Wir brauchen eine EU-Strategie für den Umgang mit China, die etwas an den Wettbewerbsbedingungen ändert“, sagte Flach und fügte hinzu: „Deutschland allein ist sowohl als Zulieferer als auch als Absatzmarkt weniger wichtig für China. Aber die EU als Ganzes ist für China der wichtigste Zulieferer von Zwischenprodukten“. Dies zeige die geopolitische Bedeutung des EU-Binnenmarkts für die deutsche Wirtschaft. Seit der Finanzkrise hätten deutsche Inputs gesamtwirtschaftlich weniger Bedeutung für China als chinesische Inputs für Deutschland.

Die Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen ist in vielen Fällen sogar noch höher als bei Industriegütern. Das geht aus Daten einer kurz vor der Corona-Pandemie von der EU-Kommission veröffentlichten Studie hervor. Darin wurden die Lieferketten von neun Schlüsseltechniken untersucht, die in den drei strategischen Sektoren erneuerbare Energien, E-Mobilität sowie Verteidigung und Luft- und Raumfahrt eingesetzt werden. Demnach werden beispielsweise für Elektromotoren fast zwei Drittel der Rohstoffe aus China importiert.

„Auch bei Seltenen Erden führt die Dominanz Chinas auf den Weltmärkten zu Klumpenrisiken in der Wertschöpfungskette“, schreiben Flach und Baur. Vor allem die in den Permanentmagneten enthaltenen Rohstoffe wie Dysprosium, Neodym und Praseodym sind für den Bau von Motoren für Elektrofahrzeuge und Windgeneratoren unerlässlich. Für diese drei sei der Lieferrisikowert der höchste von allen Rohstoffen, die in dem „Critical Raw Material Report“ der EU-Kommission bewertet wurden, mit einer hundertprozentigen EU-Importabhängigkeit und einer hohen Konzentration des Angebots. Zudem seien auch Windturbinen und andere Motoren von diesen Rohstoffen abhängig.

Ein weiteres Beispiel für kritische Abhängigkeiten sind die Rohstoffe und Komponenten für die Produktion von Photovoltaik-Technik: China gilt hier mit knapp 53 Prozent nicht nur bei der Rohstoffzulieferung für die EU als führend, sondern auch bei der Zulieferung von verarbeiteten Materialien und weiteren Komponenten der Lieferkette für Photovoltaik-Technik. Der Anteil der EU wird auf maximal 6 Prozent bei den Rohstoffen und 5 Prozent bei den verarbeiteten Materialien geschätzt, während europäische Kapazitäten laut EU-Kommission für die Produktion von Solarzellen und -modulen fast vollständig fehlen.

„Wenn sich Deutschland abrupt von der chinesischen Wirtschaft abkoppelt, würden spezifische und wichtige Lieferketten unterbrochen“, sagt Co-Autor Baur und fügt hinzu: „Deswegen ist es notwendig, sich verstärkt um Diversifizierung bei kritischen Gütern und Rohstoffen auf europäischer Ebene zu bemühen.“

Die Industrie will ihre Abhängigkeit von China offenbar verringern: 46 Prozent der Firmen gaben in einer Ifo-Umfrage – kurz vor Beginn des Ukraine-Krieges – an, aus China bedeutsame Vorleistungen zu beziehen. Von diesen Unternehmen plant fast jedes zweite, diese Importe zu verringern. Im Chemiesektor sind es 64 Prozent, im Maschinenbau 48 und in der Autoindustrie nur noch 27 Prozent. Der Anteil der Unternehmen, die auf Vorleistungen aus China angewiesen ist, fällt in den Branchen Automotive (76 Prozent), Datenverarbeitungsgeräte (72 Prozent) und elektrische Ausrüstungen (71 Prozent) am höchsten aus.

Die Unternehmen, die laut Umfrage planen, ihren Bezug von chinesischen Vorleistungen zu reduzieren, wollen vermehrt auf Vorleistungen aus anderen europäischen und außereuropäischen Ländern setzen, was den Autoren zufolge auf eine „China+1-Strategie“ hindeute.

Die Angaben zu den Hauptgründen für ein Verringern der Importe aus China zeigen die nicht zu unterschätzende Rolle von Transportkosten im Kalkül international agierender Unternehmen. So sind der Ifo-Umfrage zufolge eine stärkere Diversifizierung und Vermeidung von Abhängigkeiten, die gestiegenen Frachtkosten und die Störanfälligkeit des Transports sowie die politische Unsicherheit die wichtigsten Motive für die Pläne vieler Unternehmen, ihre Importe aus China zu reduzieren. Gestiegene Herstellerpreise oder mangelnde Qualität spielen eine eher untergeordnete Rolle.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, der noch einmal deutlich gemacht, wie kritisch Abhängigkeiten von bestimmten Lieferländern sein können, dürften viele Unternehmen ihre Beschaffungsstrategien nun erst recht auf den Prüfstand stellen. (cs)

Dieser Artikel ist in großen Teilen erstmals am 12. April 2022 auf DVZ.de erschienen. Wir wiederholen den Beitrag anlässlich der Peking-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz und der aktuellen Diskussion rund um die Abhängigkeiten von China.

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