Verlader wollen aktiv steuern

In der Transportlogistik werden Plattformen für weitere Änderungen der Marktstrukturen sorgen. Spediteure suchen nach Wegen, von dieser neuen Form der Ökonomie zu profitieren.

Elvis-Vorstand Nikolja Grabowski beim Deutschen Logistik-Kongress in Berlin. (Foto: BVL/Bublitz)

Plattformen drängen in Geschäftsbereiche ein, die bislang von so genannten Gatekeepern bewacht wurden. Übertragen sind das bestimmte Funktionen oder Institutionen, die über den Marktzugang bestimmen. Im Taxigewerbe ist die Taxizentrale an solch einer Position gewesen. Bis dann Uber kam und den Marktzutritt quasi neu geregelt hat. Ähnliches vollzog sich im Buchhandel, im Hotelgeschäft und geschieht gerade in der Finanzwelt. Ebenso wird sich die Entwicklung auch in der Transportlogistik hin zu mehr Steuerung und Interaktion der Marktplayer über Plattformen abspielen.

Gerade die Verlader legen zunehmend Wert darauf, die Informations- und Materialflüsse integriert zu planen und aktiv zu steuern. Darauf weist Julian Schulcz hin, COO des Supply-Chain-Lösungsanbieters 4Flow, Berlin. Er referierte gestern bei der Fachsequenz „Geschäftsmodell Transportlogistik – Evolution oder Disruption?“. Verlader sind in den vergangenen Monaten vermehrt von Lieferkettenstörungen betroffen. „Der Transport hat dadurch mehr und neue Aufmerksamkeit erhalten“, stellt Schulcz fest.

Die Verlader wollen wissen, wo das Netzwerk funktioniert und wo nicht. Aktive Steuerung sei allerdings aufwendig, weiß Schulcz.  Entscheidend sei, „die vor- und nachgelagerten Prozesse zu berücksichtigen, die sich in komplexen internationalen Netzen abspielen. Gebraucht werden daher Technikanbieter, die Daten liefern. Das können eben Plattformen sein, oder aber auch Managementsysteme für Transport, Lagerung oder Bestandsverwaltung.

Gemeinschaft hält Plattform am Leben

Als Unternehmen sollte man sich immer fragen, wer oder was die Gatekeeper im eigenen Geschäftsfeld sind, wenn es darum geht, Innovationen einzuführen. Das betont Carsten Hiemsch, Partner und Logistikexperte bei IBM Global Business Services in Nürnberg. Seiner Ansicht nach werden künftig über Plattformen in der Logistik die Material- und Zahlungsströme zusammengeführt und die Prozesse dadurch beschleunigt. Charakteristisch für Plattform ist, dass sie in der Regel offen für alle Marktteilnehmer sind, die sich an die Regelungen des Betreibers halten müssen. Es handelt sich um ein verteiltes Organisationssystem, bei dem die Nutzergemeinschaft über die Cloud auf die verschiedenen geschäftsrelevanten Funktionen zugreifen kann. „Diese Community gibt Feedback und hält die Plattform am Leben“, erklärt Hiemsch. Diese Organisationsstruktur hat den Vorteil, dass sich alles überall installieren und ausführen lässt.

Der Transportmarkt an sich ist ein sehr dynamisches Umfeld, das von Schwankungen geprägt ist. Zudem herrsche Fahrermangel und die Transportkapazitäten sind knapp. „Das wird in absehbarer Zeit nicht besser“, stellt Philipp Ortwein fest. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer des Transportmarktplatzes Instafreight, der die Transportabwicklung automatisiert. Trotz der angespannten Lage in der Transportlogistik gebe es laut Ortwein immer noch 25 bis 30 Prozent Leerfahrten. Plattformen seien also vielleicht eine Lösung, dies zu vermeiden.

Der Transportmarkt ist zudem stark fragmentiert. Etwa 70 Prozent der Fuhrunternehmen verfügen über 6 oder weniger Lkw. „Der Zugriff auf Transportkapazitäten geschieht über Spediteure, wobei Telefon und E-Mail die bevorzugten Kommunikationsmittel sind“, berichtet Ortwein. Viele Fuhrunternehmen seien zwar schon digital aufgestellt, doch bei der digitalen Zusammenarbeit mit anderen Partnern hapert es.

Plattformen vernetzen sich untereinander

Erfolgsfaktoren oder Vorteile von Plattformen sind eben die digitale Verknüpfung von Verladern und Transportunternehmen. Dies gewährleistet zugleich Transaktionssicherheit; Teilnehmer werden von der Gemeinschaft bewertet und bei Regelverstößen ausgeschlossen. Zudem sollen Marktplätze die Effizienz und Transparenz in der Zusammenarbeit erhöhen. Dazu trägt unter anderem bei, dass Unternehmen nicht mehr mit ihren eigenen IT-Silolösungen arbeiten. Daten lassen sich über Plattformen einfacher teilen und verarbeiten – die Bereitschaft zum Teilen natürlich vorausgesetzt. Die digitale Infrastruktur stellt der Plattformbetreiber.

Ortwein erwartet, dass sich in den nächsten zehn Jahren die Plattformen untereinander vernetzen werden. So könnten sich Marktplätze innerhalb Europas zusammenschließen, aber auch solche, die den europäischen und den asiatischen Markt abdecken. Darüber hinaus werde es zu einer stärkeren Flexibilisierung der Transportkapazitäten kommen. Ortwein rechnet damit, dass nicht mehr ein- bis mehrjährige Kontrakte geschlossen werden, sondern eher eine agile Nutzung der Netzwerke stattfinden wird. Dementsprechend ändere sich dann auch die Preisgestaltung. „Zugleich ist das ein Wegbereiter für eine nachhaltige Logistik“, sagt Ortwein. Denn über die Plattformen werden die CO2-Emissionen erfasst und transparent.

Die Frage ist, wie stark sich Plattformen in Zukunft in der Transportlogistik durchsetzen werden. Für Nikolja Grabowski, Vorstand des Ladungsverbunds Elvis, ist die Entwicklung zwangsläufig. Denn Plattformen geben ein verlockendes digitales Versprechen. Das lautet: Effizienz, Transparenz, Integration, Automatisierung und Standardisierung führen zu einer Leistungssteigerung. Dieses geht allerdings einher mit einer Änderung der Marktstrukturen. „Die Logistik holt gerade die Entwicklung nach, die der Handel schon durchgemacht hat“, sagt Grabowski.

Mittelstand erleidet Machtverlust

Die Verlader wollen sich nicht mit jedem einzelnen Transport- und Logistikunternehmen separat vernetzen. Genau an der Stelle kommen die Plattformen ins Spiel. Sie machen auch kleine Unternehmen am Markt sichtbar. Allerdings verfügten die Plattformen nicht immer über umfangreiche Marktkenntnisse und müssten sich diese erst erarbeiten, gibt Grabowski zu bedenken. Technisch und strukturell seien sie aber gerade kleineren Unternehmen überlegen. Insgesamt bedeute das für den Mittelstand einen Machtverlust zugunsten der Plattformökonomie.

„Mittelständische Logistiker stehen an einem Scheideweg“, stellt Grabowski fest. „Spediteure sehen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken.“ Entscheidend sei, ob Spediteure aus der Plattformökonomie Vorteile erzielen können. Schließlich wollen sie auch als digital aufgestellte Unternehmen nicht ihre Eigenständigkeit am Markt aufgeben. Manche Unternehmen könnten in Nischenmärkten auf traditionelle Weise agieren, da die Expansion der Plattformen zunächst auf dem Kernmarkt stattfinde.

Die Plattform als Datenstandard

Eine weitere Befürchtung ist der Verlust der Datenhoheit und der Autonomie. Grabowski zufolge sei es daher notwendig, einen standardisierten Datenpool zu schaffen, der einerseits die Spediteure am Markt sichtbar macht und ihnen zugleich den Anschluss ermöglicht. Genau an einer solchen Lösung arbeitet Elvis zusammen mit dem Start-up New Cargo. Grabowski sieht darin guten Chancen, „um sich im selbstständigen Kundengeschäft am Markt zu behaupten“. Die Plattform wäre in dem Fall ein Datenstandard.

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