Handel und Logistik brauchen Frieden

Die Stimmung zwischen Russland und dem Westen hat sich vorerst etwas entspannt. Eine militärische Invasion russischer Truppen in die Ukraine scheint nicht mehr wie befürchtet in dieser Woche stattzufinden. Doch gänzlich abgewendet ist die Gefahr damit längst nicht. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Lehmacher.

Die Stimmung zwischen Russland und dem Westen hat sich vorerst etwas entspannt. Eine militärische Invasion russischer Truppen in die Ukraine scheint nicht mehr wie befürchtet in dieser Woche stattzufinden. Doch gänzlich abgewendet ist die Gefahr damit längst nicht.

Niemand kann in die Zukunft schauen. Aber grob genommen gibt es drei Szenarien, wie sich die Krise in Osteuropa entwickeln könnte. Erstens könnten sich die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, wie sie seit 2014 bestehen, fortsetzen. Dies erfordert dennoch, dass beide Seiten ihre militärischen Kräfte zunächst zurückfahren. Unsicherheit über die Zukunft bliebe.

Zweitens ist die friedliche Auflösung des Konfliktes denkbar. Dies könnte die russische Anerkennung der Unabhängigkeit der Ukraine beinhalten.

Das dritte Szenario ist die militärische Auseinandersetzung. Mit zwei Möglichkeiten: einerseits die Beschränkung des Konfliktes auf die Ukraine oder andererseits die territoriale Ausweitung, was einer Weltkriegssituation gleichkäme.

Ein weiteres Szenario ist die Verlagerung der Auseinandersetzung auf die Handelsebene. Dies ist aber aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten eher unwahrscheinlich. Zudem leidet Russland bereits seit 2014 unter Sanktionen, würde aber mit dem Einmarsch in die Ukraine weitere Sanktionen in Kauf nehmen müssen. Was bedeuten die drei Szenarien im Einzelnen für Handel und Logistik?

1. Fortsetzung: Stabilität mit Einschränkungen

In diesem Szenario bleiben die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine unterschwellig bestehen, ohne dass es zu militärischen Auseinandersetzungen kommt. Es wäre ein Frieden auf einem wackeligen Fundament. Dies würde für die Logistikbranche Stabilität mit Einschränkungen bedeuten. Dies könnte dem heutigen Bild entsprechen.

Der Betrieb in den ukrainischen Häfen ist eingeschränkt. 70 Prozent des Asowschen Meeres sollen gesperrt sein, und Leasingfirmen untersagen ukrainischen Fluggesellschaften den Betrieb ihrer Flugzeuge im dortigen Luftraum. Die Lufthansa setzt allerdings den Flugbetrieb fort.

Folgen für die Neue Seidenstraße sind derzeit nicht bekannt. Der Welthandel würde dabei kaum beeinträchtigt. Diese Situation würde die Beziehungen zwischen den Blöcken belasten und damit die Entwicklungsperspektiven von Wirtschaft und Logistik dämpfen.

2. Neuanfang: Auflösung und Wachstum

Auflösung bedeutet Langfristigkeit. Eine Lösung, auf die sich die Welt zumindest für einige Jahre einstellen könnte. Damit stünden auch der Logistik gute Zeiten ins Haus. Dies könnte die Basis für erweiterte wirtschaftliche Beziehungen sein. Da der Westen den russischen Forderungen nicht entsprechen kann, ist ein alternativer Weg zu suchen. Diesen zu finden, erfordert umfangreiche Gespräche und ein großes Maß an Diplomatie. Die gleichzeitige Aufrechterhaltung von Handel und Logistik kann dabei förderlich sein.

3. Zerrüttung: Auseinandersetzung mit Beeinträchtigungen

Eine militärische Auseinandersetzung auf dem Boden der Ukraine würde den Handel mit dem Land stark beeinträchtigen. Der offene Konflikt würde sich zudem auf die Wirtschaft in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten auswirken und damit auch auf die Konjunktur in Europa und zu einem gewissen Maße auf die Weltwirtschaft.

Die verschärften Sanktionen würden die russische Wirtschaft schwächen. Derzeit sichert Russland Europa immer noch die Gaslieferungen zu. Die Entwicklung der Energiepreise und damit der Betriebskosten der Unternehmen bleibt dabei aber mehr als ungewiss. Handel und Logistik würden stark negativ beeinträchtigt.

Das Extremszenario einer nuklearen Auseinandersetzung oder gar eines Weltkrieges würde den Handel und damit die Logistik weitgehend zum Erliegen bringen. Dies haben die zwei Weltkriege gezeigt. Nicht nur aus wirtschaftlichen Beweggründen sollte dieses Szenario mit allen Mitteln verhindert werden. Dabei sind insbesondere die Europäische Union sowie die starken europäischen Nationen gefordert, kontinuierlich nach konstruktiven Konzepten zu suchen, um die Entwicklung in Richtung einer friedlichen langfristigen Lösung zu navigieren.

Gegenseitige Abhängigkeit

Die Menschen in der Welt und insbesondere in Europa haben keinerlei Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung. Auch Russland wird hohe Verluste scheuen. Die letzten militärischen Operationen Russlands sind aus dieser Sicht glimpflich verlaufen. Dies ist im Falle der Ukraine keinesfalls garantiert. Handel und Logistik haben auch kein Interesse an einem Krieg im Osten Europas. Europa und Russland sind voneinander abhängig und daher auf gute Beziehungen angewiesen.

Obwohl die Ukraine mit einer Einfuhr im Wert von 2,5 Milliarden Euro und einer Ausfuhr von 4,6 Milliarden Euro im Jahr 2020 nicht zu den größten Handelspartnern zählte, hat Deutschland dennoch ein „großes Interesse an einer stabilen, demokratischen und wirtschaftlich prosperierenden Ukraine“, heißt es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes. Deutschland ist daher gemäß neuester OECD/DAC-Daten weltweit mit Auszahlungen von rund 220 Millionen US-Dollar auch der größte bilaterale Geber, noch vor den USA mit knapp 200 Millionen Dollar.

Demgegenüber ist Russland durchaus wichtiger Wirtschaftspartner. Deutschland bezieht mehr als 50 Prozent seines Gases aus Russland. Gleichzeitig ist Moskau aber auch von europäischen Ländern abhängig: Sie machen einen Großteil der Gas-Abnehmer aus. Russland ist auch der weltweit größte Palladiumproduzent. Palladium wird in Katalysatoren von benzinbetriebenen Fahrzeugen eingesetzt, um die Abgase zu reinigen. Der Preis für das Platinmetall ist seit Anfang Februar bereits um 25 Prozent gestiegen.

Die Rolle Chinas

Der Schulterschluss zwischen Russland und China wird im Zusammenhang mit der Ukraine-Situation vielfach negativ dargestellt. Dabei ist China als weltgrößter Exporteur, genauso wie Deutschland, auf eine friedliche Welt angewiesen und wird daher einer Eskalation eher entgegenwirken. Austausch und Handel tragen positiv zum Weltfrieden bei. Daher ist jede Tendenz zur Isolation und Abkopplung mit Skepsis zu betrachten.

Die Logistik baut die Brücken, die Austausch und Handel ermöglichen. Es ist in der heutigen Situation davon auszugehen, dass die Logistiker alles – natürlich auch im eigenen Interesse – unternehmen werden, um die Warenströme und Versorgung im Osten Europas aufrechtzuerhalten. (rok)

Wolfgang Lehmacher leitete zuletzt beim Weltwirtschaftsforum den Bereich Supply Chain und Transport. Der international erfahrene Logistikexperte berät heute Unternehmen und unterstützt Start-ups, entweder direkt oder als Mitglied von Bei- und Aufsichtsräten. Lehmacher ist zudem Mitglied im Gremium der Logistikweisen.

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