Nordafrika als Chance für mutige Unternehmen

Nordafrika bietet Potenzial als Nearshoring-Standort, gleichzeitig hemmen politische 
Konflikte die Logistik. Welche Chancen ­europäische Unternehmen und Analysten 
vor Ort sehen.

Nordafrika bietet Potenzial als Nearshoring-Standort, gleichzeitig hemmen politische 
Konflikte die Logistik. (Illustration: DVZ)

Auf dem sechsten Gipfeltreffen der Führungsspitzen der Europäischen und Afrikanischen Unionen vergangene Woche in Brüssel, dominierten Themen zum Ausbau der Handelsbeziehungen. Arne Ehlers, Geschäftsführer der Reederei BREB, hat die Gespräche von Cuxhaven aus verfolgt. Für sein Unternehmen ist Afrika der umsatzstärkste Kontinent – und der nördliche Teil ist der Zugang. Der Maghreb ist seit 2009 das wichtigste Fahrtgebiet für das Unternehmen, das regelmäßige Abfahrten im Bereich Breakbulk, Container und Projektladung von deutschen Häfen nach Nordafrika bietet.

Auch der Logistikanbieter Agility schreibt der Region eine hohe Resilienz in der Krise zu. Die aktuelle Ausgabe des „Emerging Markets Logistics Index 2022“ bewertet die logistische Wettbewerbsfähigkeit, Geschäftsumfelder, Nachhaltigkeitsinitiativen, Ausrichtung nach erneuerbaren Energien, den Digitalisierungsfortschritt sowie das Investitionsklima von Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Ergebnis: Nordafrikanische Volkswirtschaften wie Marokko (Platz 20) und Ägypten (Platz 21) rangieren auch in diesem Jahr vor Südafrika (Platz 24) und sind aus logistischer Sicht digital besser aufgestellt und zukunftsweisende Logistikstandorte für Investoren. Tunesien (Platz 36) und Algerien (Platz 37) werden in der Aufstellung hinter Südafrika platziert, Libyen ist mit Platz 50 das Schlusslicht der Rangliste. Fast die Hälfte der Umfrageteilnehmer erwartet für Nordafrika eine Erholung nach der Krise.

 

In den nächsten fünf Jahren könnten die Rohstoffindustrie, der Bergbau und die Landwirtschaft Wachstumsmotor und wichtigste Wirtschaftszweige für die Region Mittlerer Osten und Nordafrika werden, so die Analyse. Die Umsetzung der afrikanischen kontinentalen Freihandelszone sei noch zu langsam, bemerkt Agility indes. Von 54 unterzeichnenden Ländern hätten nur 38 Länder die notwendigen Maßnahmen unternommen. Dies sei aber dringend notwendig, so der Logistikdienstleister, denn die Integration der afrikanischen Volkswirtschaften könne nur dann erfolgreich sein, wenn auch die übrigen Länder Verhandlungen über den Austausch von Waren, Dienstleistungen und im E-Commerce aufnehmen.

Produktion wird angesiedelt

„In der Corona-bedingten Verknappung von Gütern aller Art haben Lieferungen von Nordafrika in die EU zugenommen“, beobachtet Arne Ehlers. Dass umgekehrt auch die Europäische Union die Verbindung zu Afrika ausbaut, bestätigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Im Jahr 2021 stiegen die deutschen Lieferungen nach Marokko um 22,6 Prozent, die Ausfuhren nach Tunesien um 24,5 Prozent.

Die Güterströme beruhen auf Industriebereichen wie Automotive und Maschinenbau, die sich in Nordafrika etabliert haben. Künftig könnten sich Produktionen in der Metall- und Kunststoffverarbeitung, in der Elektrotechnik, bei Verpackungen sowie Dienstleistungen wie im IT-Sektor ansiedeln, analysiert Martin Kalhöfer, Afrika-Bereichsleiter bei der Wirtschaftsförderung Germany Trade & Invest (GTAI).

Ausbau erneuerbarer Energien

Auch für die Produktion von sauberer Energie gibt es in Nordafrika Chancen. Altkanzlerin Angela Merkel sagte 2021 auf der Konferenz der Subsahara-Afrika-Initiative der Deutschen Wirtschaft: „Afrika verfügt über viele Marktpotenziale, die es besser zu nutzen gilt.“ Um die globalen Klimaziele zu erreichen, müsse der Fokus auf dem Ausbau erneuerbarer Energien liegen. Das Bundesforschungsministerium lokalisiert in seinem „Wasserstoffatlas Afrika“ die Zukunft der klimaneutralen Energiegewinnung überwiegend auf dem Kontinent.

Marokko spielt hier eine besondere Rolle. Eine im Rahmen der Deutsch-Marokkanischen Energiepartnerschaft in Auftrag gegebene Studie stellt in Aussicht, dass das Königreich bis 2050 rund 2 bis 4 Prozent der globalen PtX-Nachfrage (Umwandlung von Strom in Energieträger) bedienen könne.

Der Hafen Tanger Med wird als Logistikstandort zukünftig an Bedeutung gewinnen. Hamburg Port Authority

Marokko will sich als Hub etablieren

Auch bei anderen nordafrikanischen Ländern lässt sich eine Dynamik beobachten. Während Ägypten Geschäftsmöglichkeiten „in den Bereichen Energie und Infrastrukturprojekte“ biete, sei der Nachbarstaat Tunesien ein „demokratischer Hoffnungsträger in der Region mit nachweislich vielen deutschen Unternehmen vor Ort“, erklärt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Arne Ehlers beobachtet auch positive Entwicklungen in Algerien. „Wir sehen eine zunehmende Industrialisierung mit einhergehender Stärkung des Exportes, damit könnten die Ladungsströme besser ausbalanciert werden.“

Marokko wiederum überzeugt als Hub für den Handel mit afrikanischen Ländern und bietet „attraktive Geschäftssektoren wie den Automobil- und den Energiesektor“, erklärt Kannengießer. „Der Staat ist neben Tunesien, so Einschätzungen der Weltbank, die offenste Wirtschaft“, erklärt GTAI-Wirtschaftsexperte Michael Monnerjahn. Er führt die größten Fortschritte in dem Königreich auf das rasante Wachstum der Investitionen zurück, die zum großen Teil auf den Beginn der Automobilproduktion zurückgehen: „Allein zwischen 2015 und 2018 versechsfachten sich die deutschen Investitionen von 213 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden Euro in Marokko.“ Im Jahr 2019 lag der Bestand der deutschen Direktinvestitionen bei rund 1,3 Milliarden Euro. Die Deutsche Bundesbank zählte 87 deutsche Unternehmen vor Ort, welche einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro erzielten.

Durch seine zeitliche und geografische Nähe zu Europa, viele Sonnenstunden und Kapazitäten für die Produktion von Sonnen- und Windenergie ist das nordafrikanische Land aus Sicht der Bundesregierung ein attraktiver Partner. Zuletzt wurde Marokko als Partnerland für das EU-Projekt „Global Gateway“ ausgewählt, um den Ausbau von Klima-, Energie-, Verkehrs- und digitalen Infrastrukturen voranzutreiben.

Auch im Nearshoring könnte Marokko eine zentrale Drehscheibe werden. „Eine Reihe von Unternehmen, etwa im Textilsektor und im Automobilsektor, haben in den vergangenen Jahrzehnten Tunesien als attraktiven Standort für die Verarbeitung entdeckt. In jüngster Zeit ist Marokko dazugekommen. Beide Länder haben das Potenzial, im verarbeitenden Gewerbe weitere Unternehmen anzusiedeln“, so Monnerjahn. Das würde dazu beitragen, Europas Abhängigkeit von Asien zu reduzieren, heißt es in einer Analyse von GTAI.

Häfen sind wichtige Drehscheiben

Die Häfen in Nordafrika könnten für diese Entwicklung eine wichtige Rolle einnehmen und haben ehrgeizige Pläne. Der Hafen Tanger Med, nach Containerumschlag größter Hafen im Mittelmeer, investierte in den vergangenen zwei Jahren 215 Millionen US-Dollar in die Erweiterung seiner Hafeninfrastruktur. Nach Ausbau der Terminals soll die Kapazität im Containerumschlag künftig rund 9 Millionen TEU pro Jahr betragen.

Das Potenzial des Umschlagplatzes wird auch im Hamburger Hafen gesehen. Seit 2020 kooperiert die Hamburg Port Authority mit der Hafenbehörde in Tanger. Gemeinsame Ziele seien unter anderem die Abstimmung in der Effizienz von Hafen- und Schiffsbetrieb, bei Digitalisierung und dem Hafenkommunikationssystem sowie im Verkehrsmanagement und bei grünen Kraftstoffen. „Nordafrika und insbesondere Tanger Med werden durch die geografische Lage am westlichen Mittelmeer als Logistikstandorte zukünftig an Bedeutung gewinnen“, erklärt die HPA. Tanger Med sei inzwischen an mehreren Arbeitsgruppen mit Hamburg und einer kleinen Gruppe führender Häfen zu Themen wie Datenaustausch und Förderung des digitalen Kulturwandels in den Port Authorities beteiligt, so die Hafenbehörde der Hansestadt auf Anfrage der DVZ. Der Anteil Afrikas am Gesamtumschlag des Hamburger Hafens steigt immerhin schon. Für das Fahrtgebiet Afrika wurde zwischen 2009 bis 2018 ein Zuwachs von 2 auf 4 Prozent verzeichnet.

Zeitgleich zur Erweiterung in Tanger Med entstehen in Nordafrika weitere Häfen. Knapp sechs Autostunden von Tanger Med entfernt können in Nador West Med in Marokko nach planmäßiger Fertigstellung in diesem Jahr etwa 3 Millionen TEU pro Jahr umgeschlagen werden. Knapp 800 Kilometer entfernt wird 2027 in Algerien der Port El Hamdania (6,5 Millionen TEU pro Jahr) eröffnet, und in Tunesien wird 2024 der Enfidha fertiggestellt, ein Hafen mit zwei Ausbaustufen (5 Millionen TEU pro Jahr).

Das könnte auch für Europa Chancen bieten. Mit Ceva Logistics, Tochter des französischen Reedereikonzerns CMA CGM, verkündete im vergangenen Jahr einer der globalen Top-Ten-Logistikdienstleister seine Afrika-Strategie. Das Unternehmen übernahm Anfang 2021 die Asti Group in Marokko und will sich als Marktführer etablieren.

Tunesien fällt negativ bei der Achtung internationaler Schifffahrtsverträge auf. Arne Ehlers, Geschäftsführer der Reederei BREB

Auch für Hapag-Lloyd ist Nordafrika ein wichtiger Wachstumsmarkt. 2021 kaufte das Unternehmen den Afrika-Spezialisten Nile Dutch, der Containerdienste von und nach Westafrika bietet. „Wir sehen Marokko als wichtigen Transshipment Hub“, erklärt das Unternehmen auf DVZ-Anfrage. Zudem hat sich Hapag-Lloyd mit 10 Prozent am Terminal 3 in Tanger Med beteiligt. Auch Ägypten sei interessant, und man beobachte die nordafrikanischen Hafenneubau und Erweiterungsprojekte genau. „Vorteile ergeben sich immer dann, wenn diese Projekte mit originären Quellmärkten verbunden sind oder als TransshipmentHäfen Vorteile für ein globales Netzwerk bieten“, so ein Unternehmenssprecher.

Logistik im Spannungsfeld

Gleichzeitig erschwert die politische Instabilität der Nachbarländer die Logistik. „Die Spannungen zwischen Marokko und Algerien sowie politisch wenig stabile Institutionen wie in Tunesien hemmen das große Potenzial der Region“, erklärt Kalhöfer. Arne Ehlers berichtet aus der Praxis: „Insbesondere Tunesien fällt immer wieder negativ bezüglich der Achtung internationaler Schifffahrtsverträge auf.“ Rechtstitel, die durch tunesische Gerichte erhoben wurden, könnten nicht durchgesetzt werden, und Schiffe seien bei Havariegrosse-Fällen unrechtmäßig durch tunesische Ladungsversicherer bei gleichzeitigem Zurückhalten der geforderten Havariebonds arrestiert worden.

Christoph Kannengießer appelliert: „Nordafrika sollte auch ohne den Gipfel eine hohe Priorität haben.“ Denn trotz der Herausforderungen biete die Region „erhebliche Chancen für mutige Unternehmen. Gerade deutsche Firmen sind geschätzt – mit ihrer Technologie, ihren Serviceleistungen und der besonderen Kompetenz bei der Qualifizierung von Fachkräften“, so Kalhöfer.

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