BVL-Chef: „Die Unsicherheit hat viel Kraft gekostet“

Am Mittwoch 10 Uhr eröffnet Prof. Thomas Wimmer den ersten rein digitalen Deutschen Logistik-Kongress. Im Interview spricht der Vorstandsvorsitzende der BVL über den Vorbereitungsstress, das Kongressmotto und die Krise als Katalysator.

Prof. Thomas Wimmer, Vorsitzender des Vorstands der Bundesvereinigung Logistik. (Foto: BVL)

Am Mittwoch 10 Uhr eröffnet Prof. Thomas Wimmer den ersten rein digitalen Deutschen Logistik-Kongress. Im Interview spricht der Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung Logistik (BVL) über den Vorbereitungsstress während der Coronakrise, das Kongressmotto „Nachhaltig gestalten“ und die Krise als Katalysator.


Herr Prof. Wimmer, was hat die außergewöhnliche Situation in den vergangenen Monaten mit Ihnen persönlich gemacht?

Prof. Thomas Wimmer: Ich habe eine steile Lernkurve in Sachen Risikoabwägung und Entscheidungen unter größter Unsicherheit erlebt. Es gab Phasen der Anspannung und Ungeduld. Und es gab Augenblicke der Freude, wenn neue Konzepte sich umsetzen ließen. Insgesamt war es eine unternehmerische und emotionale Berg- und Talfahrt. Am Ende, also in der vergangenen Woche, konnten wir uns das Timing dann nicht mehr aussuchen.

Was hat dem BVL-Team bei der Kongressvorbereitung am meisten Kopfzerbrechen bereitet?

Die Unsicherheit, die durch das Infektionsgeschehen selbst, aber auch durch staatliche Entscheidungen ausgelöst wurde, hat viel Kraft gekostet. Wir haben im Juni das erste Programmheft vorgelegt – mit dem klaren Signal: Die BVL will für die Logistik-Community einen Kongress in Berlin möglich machen. Aber wie genau, daran mussten wir bis kurz vor Kongresseröffnung sehr akribisch und sehr hart arbeiten – und immer in dem Bewusstsein, dass sich die Rahmenbedingungen morgen oder übermorgen ändern können. Das war ungewohnt. Das Programm stand zum üblichen Zeitpunkt fest. Aber an die organisatorischen Fragen mussten wir wieder und wieder ran – gemeinsam mit unseren Veranstaltungshotels und den Dienstleistern.

Der Kongress findet nun doch nur rein digital statt. Warum wollte die BVL auch im Coronajahr den persönlichen Austausch ermöglichen?

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, so hat es der Sozialphilosoph Martin Buber formuliert. Natürlich können wir viele Projekte per Videokonferenz bearbeiten, wir kommunizieren und treiben die Dinge voran. Um aber die entscheidenden Schritte weiterzukommen, um kreativ und innovativ zu sein, brauchen wir den persönlichen Austausch. Das ist in vielen Bereichen des Lebens zu beobachten. Für die Logistik wollte die BVL dazu auch in diesem schwierigen Jahr ihren Beitrag leisten.

Das Motto lautet „Nachhaltig gestalten“. Müsste es im Coronajahr nicht eher heißen: „Widerstandsfähig machen“?

Resilienz ist ein Teil der Nachhaltigkeit, so wie wir sie verstehen: ökonomisch, ökologisch und sozial. Da liegen wir mit dem Motto genau richtig.

Denken Sie, dass die Pandemie den Wandel zu nachhaltigeren Lieferketten beschleunigen wird?

Ganz grundsätzlich gilt in der Logistik der Zusammenhang, dass effiziente Logistik gleichzeitig auch nachhaltige Logistik ist. Konkret: eine hohe Auslastung der Transportmittel, Fahrzeuge auf dem neuesten technologischen Stand mit niedrigem Treibstoffverbrauch, optimierte, also kürzestmögliche Wege. Aber damit beschreiben wir natürlich einen Idealzustand, den es in der Praxis nur selten gibt und der nur mühsam herzustellen ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Krise Anstöße dazu gibt, über Prozesse und Methoden nachzudenken und diese im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern. Vielleicht geht dann manches ein bisschen langsamer, aber umweltverträglicher. Darüber entscheidet der Kunde übrigens mit – bis hin zum Endverbraucher.

Sollte es eine stärkere Regulierung hin zu einer klimaschonenderen Logistikwirtschaft geben?

Ein klares Jein! Natürlich helfen deutliche politische Signale, um Entwicklungen in Gang zu setzen. Andere Länder wie die Schweiz oder Österreich machen zum Beispiel in der Verkehrspolitik vor, wie es gehen kann. Jenseits dieser Initialzündung aus der Politik setze ich jedoch auf die Wirksamkeit der Marktmechanismen. Klimaschädigendes Verhalten muss beim Kauf der jeweiligen Energieträger eingepreist werden – und da darf es keine Schlupflöcher geben.

Wie haben sich die Logistiker in der Coronakrise bisher geschlagen?

In der Hochphase des Lockdowns wurden Lieferketten empfindlich gestört. Die Logistik in Deutschland hat aber unter Beweis gestellt, wie leistungsfähig sie ist und wie schnell und flexibel sie reagieren kann. Dabei hat es geholfen, miteinander zu reden, partnerschaftlich umzugehen, übergreifende Taskforces zu bilden, Transparenz zu gewähren, umsichtig zu bevorraten, Personal und Betriebsausstattung flexibel einzusetzen und die Lockerungen zu nutzen, die der Gesetzgeber in der Krise gewährt hat. Mit motivierten Belegschaften sowie einem diversifizierten Lieferanten- und Dienstleisternetzwerk konnte viel bewegt werden.

Inwieweit wird der Coronaschock das Management von Lieferketten verändern?

Durch die Ausnahmesituation der Covid-19-Pandemie ist der Handlungsdruck gestiegen – und mit ihm, so mein Eindruck, auch die Kreativität und die Umsetzungsgeschwindigkeit von Veränderungen. Die Krise wirkt also als Katalysator – insbesondere bei Themen wie Umgang mit Kostendruck und Vereinbarkeit von ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Bezieht man seine Ware künftig weiterhin von einem Lieferanten oder von mehreren? Setzt man beim Sourcing geografisch auf einen kleineren Radius als zuvor? Die Suche nach resilienten Lösungen ist in vollem Gange. Es gilt zu gestalten, statt unter dem Druck der Ereignisse gestaltet zu werden. So können aus der Krise heraus Chancen ergriffen werden.


Bleiben Sie ganz nah am Kongressgeschehen und lesen Sie die wichtigsten Botschaften auf unserer Sonderseite.

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