Barclays-Logistikexperte: „Auch künftig wird mehr Geld verdient“

Philipp Gillmann, Chef der Sparte Transportation & Logistics EMEA bei der Barclays Bank, glaubt, dass die Logistikbranche auch künftig bei Investoren einen deutlich höheren Stellenwert genießen wird als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Allerdings müsse der Mittelstand aufpassen, dass er nicht abgehängt wird.

Philipp Gillmann leitet den Bereich Transportation & Logistics EMEA bei Barclays. (Foto: Barclays)

Philipp Gillmann, Chef der Sparte Transportation & Logistics EMEA bei der Barclays Bank, glaubt, dass die Logistikbranche auch künftig bei Investoren einen deutlich höheren Stellenwert genießen wird als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Allerdings müsse der Mittelstand aufpassen, dass er nicht abgehängt wird.

DVZ: Im Laufe der Corona-Pandemie hat sich die Wahrnehmung der Logistik in der Öffentlichkeit zumindest gefühlt deutlich zum Positiven verändert. Sieht die Kapitalmarkt-Community das ähnlich?

Philipp Gillmann: Es gibt ganz eindeutig ein deutlich größeres Interesse am Logistiksektor als noch vor der Pandemie, beispielsweise auch von Finanzinvestoren. Insofern möchte ich die Frage klar bejahen. Auf der anderen Seite sehen wir nach dem zuletzt sehr starken Gewinnwachstum gerade der großen Logistikunternehmen und insbesondere auch der Linienreedereien eine stärker differenzierte Betrachtung der Branche: Zunächst fragen sich viele Beteiligte in der Transaktionswelt, wie nachhaltig all das sein kann. Allerdings gehe ich aufgrund der vielschichtigen strukturellen Veränderungen in der Transportindustrie stark davon aus, dass wir es mit einem Paradigmenwechsel zu tun haben. Die Kapazitätsrestriktionen und das Kapazitätsmanagement der Carrier wie auch die erhöhte Sensitivität auf der Verladerseite für Stabilität in ihren Lieferketten haben den Sektor nachhaltig verändert. Infolgedessen bin ich überzeugt, dass wir uns frachtratenseitig, aber auch insbesondere was das Yield-Niveau der Logistiker angeht, ganz deutlich oberhalb der Vor-Covid-Niveaus einpendeln werden. Nur ein sehr starker Nachfrage- oder Volumenrückgang könnte diese Entwicklungen zum Negativen beeinflussen.

Die Party wird also nicht schon bald wieder vorbei sein?

Vielleicht wird die Musik ein wenig heruntergedreht, was das Volumenwachstum angeht. Grundsätzlich hat die Wertschätzung gegenüber der Logistikdienstleistung aber bei den Verladern deutlich zugenommen. Selbst wenn die Frachtraten nachgeben, dürfte das Preisniveau für die Logistiker im Sinne von „Yields“, also dem Bruttogewinn je Seefrachtcontainer oder Luftfrachttonne, lange nicht auf das Niveau von vor der Pandemie sinken. Und das bedeutet, dass auch künftig in dieser traditionell niedrigmargigen Industrie mehr Geld verdient wird, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Solange ein Logistikunternehmen eine kritische Größe und/oder eine entsprechende Differenzierung mitbringt, bleibt der Sektor für Investoren sehr attraktiv.

In der Branche wird mittlerweile von Übernahmen im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich gesprochen. Lassen sich solche Deals überhaupt finanzieren?

Die Finanzierungsmärkte sind zwar grundsätzlich weniger robust als noch vor einem halben Jahr; aber auch sehr große Transaktionen sind weiterhin möglich, wenn es sich um einen attraktiven „Credit“ handelt. Finanzierungen können sogar in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum auf die Beine gestellt werden. Insgesamt befinden sich die Finanzierungsmärkte indes stark im Fluss. So werden etwaige Risiken, etwa aus konjunktureller Unsicherheit, eingepreist, und die Kreditvolumen fallen dann unter Umständen entsprechend niedriger aus.

Wie steht es um Börsengänge?

Da haben wir eine andere Situation. Grundsätzlich mögen institutionelle Investoren Logistik-Geschäftsmodelle. Börsengänge sind allerdings immer mit einer gewissen Umsetzungsunsicherheit behaftet; hier müssen viele Sterne in einer Reihe stehen. Und ehrlich gesagt ist dies im Moment aufgrund hoher Volatilität in den Märkten nicht gegeben. Das Zeitfenster für Börsengänge ist weitgehend geschlossen, und diverse Vorhaben, die es gab, wurden vorerst auf Eis gelegt.

Die großen Logistikkonzerne sind ja nur ein recht kleiner Teil der Branche. Müsste sich nicht auch der Mittelstand viel stärker dem Kapitalmarkt und dem Thema M&A öffnen?

Das ist so. Trotz aller Euphorie über die hohen Gewinne der vergangenen zwei Jahre, die auch viele mittelständische Logistiker verbucht haben, müssen sie sich die Frage stellen, wo der Sektor in fünf bis zehn Jahren steht und welche Rolle das eigene Unternehmen dann spielen kann. Kritische Themen sind hierbei etwa der Zugang zu Frachtkapazität, die Fähigkeit, in globale integrierte Systeme zu investieren, und auch die Skaleneffekte und -vorteile eines globalen und großvolumigen Logistikgeschäfts.

Und wie schätzen Sie die künftige Rolle von Reedereikonzernen wie Maersk und CMA CGM ein, die bekanntermaßen massiv in die Logistik vordringen?

Das Vorhaben der Integration entlang der Transportwertschöpfungskette ist nicht neu; allerdings spielt die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre den großen Reedereien bei der Umsetzung ihrer strategischen Agenda stark in die Karten. Denn es war nie einfacher, einem großen Verlader ein integriertes Produkt zu verkaufen. Sicherlich ist dies auch kein temporäres Phänomen. Ein bestimmter Kundenkreis wird auch künftig empfänglich für integrierte Carrierlösungen sein. Aufgrund der über viele Jahrzehnte gewachsenen und in der Industrie bewährten Teilung zwischen den Aufgaben eines Logistikunternehmens einerseits und den Reedereien andererseits, insbesondere dem Bedürfnis der Verlader nach einem unabhängigen „Advokaten“ für ihre Fracht und auch der Risikodiversifizierung, gehe ich allerdings nicht davon aus, dass Reedereien den Logistikern im großen Stil Geschäft abnehmen werden.

Der Deal-Maker

Philipp Gillmann ist seit 2020 als Geschäftsführer für die Sparte Transportation & Logistics in der Region EMEA bei der Bank Barclays verantwortlich und ein ausgewiesener M&A-Experte. So hat er beispielsweise GXO bei der erst jüngst initiierten Übernahme von Clipper Logistics beraten sowie Maersk beim Kauf von Senator. Zuvor arbeitete er bei Rothschild.

 

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