Nur im Notfall hat der Güterzug Vorrang

Nur wenn der Stillstand von Kraftwerken droht, sollen Züge mit festen, flüssigen und gasförmigen Kraft- und Brennstoffen Vorrang auf dem Netz erhalten. Das sieht der Entwurf der Energiesicherungstransportverordnung vor.

Kohlezug neben IC bei Winsen/Luhe. (Foto: Kurt Albrecht)

Die Bundesregierung unternimmt starke Anstrengungen, um die Energieversorgung zu sichern, auch wenn Gaslieferungen aus Russland reduziert oder eingestellt werden sollten. Die Änderung des Energiesicherungsgesetzes vom 12. Juli schuf die Voraussetzung für den Erlass der Energiesicherungstransportverordnung (EnSiTrV). Der Entwurf dieser Verordnung liegt seit Donnerstag (18. August) vor. Er verpflichtet den Eisenbahnnfrastrukturbetreiber, unter bestimmten Bedingungen Züge mit Kohle, Öl oder anderen festen, flüssigen und gasförmigen Brenn- oder Kraftstoffen auf dem Netz planerisch mit Vorrang zu behandeln.

 Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sollen bereits zugewiesene Trassen und Nutzungen von Serviceeinrichtungen nur im Ausnahmefall kündigen dürfen, um Energieträger-Transporten und Großtransformatoren Vorrang zu geben.

Idealfall Einigung

Bei Nutzungskonflikten müssen die Infrastrukturbetreiber zunächst prüfen, ob der gewünschte Transport auch bis zu zwei Stunden vorher oder später fahren kann. 
Falls die Konflikte nicht aufgelöst werden können, müssen die Infrastrukturbetreiber neue Anträge und bestehende Verträge koordinieren. Erst wenn eine einvernehmliche Regelung zwischen den sogenannten Zugangsberechtigten (also Anbieter und Besteller von Schienenverkehr) nicht möglich ist, dürfen bestehende Verträge fristlos gekündigt werden. Die Betreiber müssen in solchen Fällen unverzüglich die Bundesnetz­agentur informieren und dem von der Kündigung Betroffenen ein Ersatzangebot unterbreiten. Entschädigungen richten sich nach dem Energiesicherungsgesetz, darüber hinausgehender Schadensersatz ist ausgeschlossen.

Zulässig ist eine vorrangige Kapazitätszuweisung nur dann, wenn andernfalls der Stillstand einer Mineralölraffinerie, der Leerstand eines Tanklagers oder der Stillstand einer Anlage droht, die zur Gaseinsparung auf einen anderen Brennstoff umsteigen will.

Für die Brennstoffversorgung regulär laufender Kraftwerke ist kein Vorrang vorgesehen, lediglich für Kraftwerke der Netzreserve, wenn deren Mindestvorräte aufgestockt werden müssen oder ihr Stillstand droht. Die Zugangsberechtigten müssen das in geeigneter Form belegen.

Voranmeldefristen

Um die Auswirkungen auf den übrigen Schienenverkehr gering zu halten, müssen die Zugangsberechtigten mindestens fünf Tage im Voraus Last- und Leerlauf sowie benötigte Kapazität in Serviceeinrichtungen gleichzeitig anmelden. Der Netzbetreiber leitet den Bedarf an Kapazität an die jeweils betroffenen Betreiber von Serviceeinrichtungen weiter. Ein betrieblicher Vorrang („Express-Trasse“) ist nicht vorgesehen.

In der Anlage enthält die Verordnung rund 1400 konkrete Relationen („Energiekorridor-Netz“), für die Vorrangtransporte angemeldet werden dürfen. Falls unvermeidlich, dürfen in Vorrangtransporten auch laute Güterwagen eingesetzt werden.

Schon im Vorfeld der Verordnung hat die Deutsche Bahn nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums bereits die Netznutzungsbedingungen (NBN) angepasst, sodass auf der Ebene der Disposition die Transporte priorisiert werden können. Veröffentlicht ist die Änderung bislang nicht.

Bei Kohletransporten geht es in erster Linie um die Belieferung von Steinkohlekraftwerken. Braunkohletransporte spielen eine untergeordnete Rolle, da die entsprechenden Kraftwerke in der Nähe der Tagebaue liegen und über Werksbahnen oder Förderbandsysteme beliefert werden, so der Kraftwerksbetreiber RWE.

Aktuell keine Knappheit

Die Steinkohlekraftwerke befinden sich aktuell nicht in akuter Brennstoff-Knappheit: Weder die Essener Steag noch die baden-württembergische EnBW und Vattenfall in Berlin sind auf kurzfristige Lieferungen angewiesen, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Die Berliner Steinkohle-Kraftwerke von Vattenfall haben jeweils Vorräte für etwa einen Monat. Laut EnBW verfügten all ihre Kraftwerke „derzeit über einen hohen Bestand“.

Die Steag hält am nur per Bahn belieferbaren Kraftwerk Völklingen-Fenne Steinkohle für zwei Wochen Volllastbetrieb vor. Sie will im November mit zwei ebenfalls nur per Bahn belieferbaren saarländischen Kraftwerken an den Markt zurückkehren. Ein früherer Wiedereinstieg sei nicht möglich, weil „wegen der Engpässe auf der Schiene“ die vorgeschriebene Kohlebevorratung für 30 Tage Volllastbetrieb vor Inbetriebnahme wohl erst dann erreicht wird.

Steag begrüßt das Priorisierungsvorhaben des Bundes. Auch EnBW unternimmt zur Vorbereitung auf den Winter verstärkte Anstrengungen zur Beschaffung von Kohle und begrüßt die Initiative.

„Ich wünsche mir schnelle Planung“

Stefan Pelz, Logistikleiter der Niederrheinischen Verkehrsbetriebe (NIAG)

Herr Pelz, die Bundesregierung will dem Transport von Energieträgern auf dem Schienennetz Vorrang einräumen. Die NIAG hat mit solchen Transporten viel Erfahrung. Halten Sie es für notwendig, die Prioritätsregeln zugunsten von Energieträger-Transporten zu ändern?

Das würde bei Energieträger-Transporten sicher Zeitvorteile bringen, wie zum Beispiel nach dem Umschlag von Steinkohle in unserem Rheinhafen in Rheinberg-Orsoy hin zu den Kraftwerksstandorten an Rhein und Mosel. Und der priorisierte Transport würde wohl auch aktuell auftretende Ausfälle bei den Umläufen reduzieren.  

Der Infrastrukturbetreiber DB Netz bietet gegen Mehrpreis Express-Trassen an. Lässt sich das Problem damit lösen? 

Nein, in unserem Fall löst das keine Probleme, weil nach aktuellen Regelungen Express-Trassen nicht für sogenannte schwere Züge (Züge über 3000 Tonnen, die Redaktion) angemeldet werden können. 

Welchen Zeitgewinn bringt die Priorisierung eines Energieträger-Transports gegenüber einem Transport auf einer Standardtrasse? 

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Der mögliche Zeitgewinn hängt ja immer von der aktuellen Verkehrssituation ab, gerade auch von der in den Nachbarländern und an den Grenzen zu Deutschland. 

Wenn Sie eine Empfehlung geben dürften, wie mit Energieträger-Transporten umzugehen ist, was würden Sie empfehlen? 

Es wäre wohl vermessen, anderen Unternehmen Empfehlungen zu geben. Bei der NIAG setzen wir natürlich darauf, so frühzeitig wie nur möglich zu planen. Das ist in diesen Zeiten noch wichtiger als sonst. Und, wenn ich mir – wie so viele andere wohl auch – etwas wünschen dürfte: schnelle Planungsverfahren für Infrastrukturmaßnahmen auf der Schiene. 

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