Bindeglied zur Zukunft

Die Investition in Digitale Automatische Kupplungen muss als europäisches Projekt verstanden werden. Dann aber verbessern sich die Abläufe auf der Schiene enorm.

Einbau einer Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) in einen Güterwagen bei DB Cargo in Mannheim. (Foto: Deutsche Bahn AG/Patrick Kuschfeld)

Bis zu 485.000 Wagen und rund 17.000 Triebfahrzeuge müssten auf die Digitale Automatische Kupplung (DAK) umgerüstet werden, wenn der Schienengüterverkehr in Europa künftig deutlich effizienter ablaufen soll. Mit Hilfe dieser Technik werden nicht nur Güterwagen automatisch miteinander verbunden, sondern auch deren Druckluftleitungen für die Bremsen sowie Stromleitungen zur Energieversorgung der Sensorik und Datenleitungen zur Übermittlung von Zustandsdaten. Inklusive Automatisierungskomponenten wird von Kosten in Höhe von rund 8,6 Milliarden Euro ausgegangen.

Die meisten Branchenakteure sehen die DAK als Schlüssel zu einer deutlichen Steigerung von Kapazität, Produktivität und Qualität im Schienengüterverkehr (SGV). Sollen Bahnen einen größeren Anteil am Modal Split der Verkehrsträger übernehmen, wie in den verkehrs- und klimapolitischen Zielen der EU bis 2030 und darüber hinaus geplant, geht es nicht ohne Verbesserungen in diesen Bereichen. Die DAK bietet eine Reihe von Vorteilen:

  • Sie reduziert den betrieblichen und zeitlichen Aufwand für Kupplungs- und Entkupplungsvorgänge, die bisher komplett manuell erledigt werden.

  • Sie steigert die Arbeitssicherheit, da Rangierer nicht mehr zwischen den Wagen arbeiten müssen.

  • Sie erlaubt die automatische Bremsprobe.

  • Sie erleichtert die Überprüfung der Vollständigkeit des Zugverbands.

  • Sie ist für eine größere Zughakenlast ausgelegt und erlaubt es – in Verbindung mit einer elektropneumatischen Bremse – Züge mit einer Länge von über 1.000 Metern zusammenzustellen.

  • Sie lässt den Einsatz von IT-Anwendungen zu, mit denen die Qualität der Ladungsüberwachung und betrieblichen Abläufe verbessert werden kann. Zugleich wird die Einbindung in digitalisierte Logistikketten erleichtert.

  • Sie ermöglicht digitale Integritätsprüfungen für Güterzüge und damit den Verzicht auf kostenintensive Technik am Gleis wie Achszähler und Gleisfreimeldeanlagen.

  • Sie kann den beweglichen Streckenblock realisieren, den das europäische Zugleit- und -sicherungssystem ERTMS/ETCS mit Level 3 möglich macht, dynamisiert also die Abstände zwischen Zügen je nach Anforderung.

Nach Angaben der DB AG kann der Einsatz von DAK die Kapazität an Rangier- und Umschlagbahnhöfen um 40 Prozent erhöhen und den Einzelwagenverkehr in Europa ebenso wie die Ganzzugverbindungen durch eine bessere Wirtschaftlichkeit erheblich stärken. Doch die Wagenhalter, die als Eigentümer des Equipments für die Umrüstung verantwortlich sind, profitieren nur mittelbar von einer höheren Kapazität, Produktivität oder Qualität im Schienengüterverkehr: Eine erwartete höhere Nachfrage im Schienengüterverkehr kann auch die Nachfrage nach Wagen ankurbeln.

Zudem können einige Daten zur Zustandserfassung der Wagen erhoben werden, die wiederum eine zustandsbasierte statt zeitintervallbasierte Wartung unterstützen. Doch wayside-basierte Datenerhebungssysteme, die etwa den Zustand der Radsätze dokumentieren, heiß gelaufene Räder melden oder Graffitis erkennen, bleiben weiterhin notwendig.

Hilfe erwartet die Branche von der EU in Form einer möglichst vollständigen Förderung der Umrüstung. „Die Förderung muss bei denen ankommen, die das Investment tragen“, mahnt zum Beispiel Malte Lawrenz, Vorsitzender des Verbands der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI). Seiner Ansicht nach ist neben der Finanzierung die größte Herausforderung, die DAK europäisch auf die Reihe zu bekommen. Es gelte nun, den richtigen Kupplungstyp zu finden und europaweit einheitlich einzuführen – inklusive genormter Verbindungen.

Testphase läuft noch

Noch im Frühjahr 2021 liefen Versuche mit vier verschiedenen Kupplungen an insgesamt zwölf Güter- und Kesselwagen unterschiedlicher Größe im Rahmen des Forschungsprogramms „Pilotprojekt zur Demonstration, Erprobung und Zulassung der DAK für den Schienengüterverkehr“ zur Auswahl eines einheitlichen Typs. Rund 440 verschiedene Tests (Fahrsituationen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Gewichten, Witterungsbedingungen et cetera) standen für jede der eingesetzten Verbindungen der Hersteller Dellner, Voith, Wabtec-Faiveley und CAF (gehört seit Januar 2021 zu Dellner) an. Gleichzeitig wird das System für die künftige Strom- und Datenversorgung ausgewählt und getestet. Nach der Entscheidung für einen Kupplungstyp soll ein Versuchszug mit 24 Wagen durch Deutschland, die Schweiz, Österreich und weitere EU-Länder fahren, um die DAK unter anderem im täglichen Einsatz auf Rangierbahnhöfen zu erproben. Das Programm läuft bis Ende 2022.

Abhilfe per Hybridlösung?

Damit die einheitliche Entwicklung und Umsetzung nach gemeinsam festgelegten Standards gelingt, werden Verantwortlichkeiten auf EU-Ebene geschaffen. Dieses Vorgehen wurde bereits im „Konzept für die EU-weite Migration eines Digitalen Automatischen Kupplungssystems (DAK) für den Schienengüterverkehr“ vorgeschlagen, das die HWH Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung für das Bundesverkehrsministerium erstellt und im Sommer 2020 veröffentlicht hat. Das Papier geht auch bereits auf den zunächst unvermeidbaren Parallelbetrieb beider Systeme ein: Übergangslösungen könnten sowohl Adapter als auch Pufferwagen mit Hybridkupplungen sein, die zwischen unterschiedlich gekuppelten Zugteilen eingesetzt werden.

Doch das führt zu finanziellem und organisatorischem Mehraufwand. Die Autoren der Studie schlagen daher vor, die Migrationsdauer auf sechs Jahre zu begrenzen und die Einführung der DAK bis 2030 abzuschließen. Arbeitsgruppen auf europäischer Ebene befassen sich bereits ebenso damit wie mit einem möglichen Malus-System für Verzögerer. Lawrenz: „Alle Weichen für die Schiene sind gestellt, die politischen Voraussetzungen stimmen. Das, was jetzt geplant ist, muss mit solider Geschwindigkeit durch- und umgesetzt werden.“ (ben)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben