Niedrige Pegelstände: Industrie schlägt Alarm

Die anhaltende Trockenperiode und das Niedrigwasser bedrohen laut Industrieverband BDI die Versorgungssicherheit der Hersteller in Deutschland. Das Mannheimer Logistikunternehmen Contargo sieht indes bei einem Annahmestopp für Container schwerwiegende Folgen für die regionale Wirtschaft voraus.

Die Wasserstände an den frei fließenden Flüssen wie Rhein, Donau, Elbe und Oder sind durch die trockenen Tage der vergangenen Wochen weiter gesunken. Die deutsche Industrie schlägt wegen der niedrigen Pegelstände Alarm. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Anlagen in der chemischen oder Stahlindustrie abgeschaltet werden, Mineralöle und Baustoffe ihr Ziel nicht erreichen oder Großraum- und Schwertransporte nicht mehr durchgeführt werden können“, sagte am Dienstag Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Die Folge wären Lieferengpässe, Produktionsdrosselungen oder -stillstände und Kurzarbeit.

Die anhaltende Trockenperiode und das Niedrigwasser bedrohten die Versorgungssicherheit der Industrie. „Die Unternehmen stellen sich auf das Schlimmste ein. Die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in den Unternehmen verschärft sich“, sagte Lösch.

„Binnenschiffe fahren, wenn überhaupt, zurzeit mit minimaler Auslastung. Ein Umstieg von der Binnenschifffahrt auf Schiene und Straße gestaltet sich in diesem Sommer wegen der Engpässe auf der Schiene, der Corona-Pandemie und des Fahrermangels schwierig.“ Das enorme Niedrigwasser könnte außerdem den Notstand der Energieversorgung weiter verschärfen. „Die politischen Pläne, angesichts der Gaskrise vorübergehend stärker auf Kohle zu setzen, werden von massiven Transportengpässen durchkreuzt. Neben dem Kohletransport hängt auch die Kraftstoffversorgung vom Transport über Wasserstraßen ab.“

Lösch forderte, die Bundesregierung müsse gemeinsam mit den Ländern, der Logistikwirtschaft und der Industrie eine engmaschige Überwachung einführen, um auf drohende Engpässe auf den Wasserstraßen frühzeitig reagieren zu können.

Experte schließt reduzierte Produktion nicht aus

Das Mannheimer Logistikunternehmen Contargo sieht indes bei einem Annahmestopp für Container schwerwiegende Folgen für die regionale Wirtschaft voraus. Wenn die Aufnahmekapazitäten des Mannheimer Terminals bei weiterem Niedrigwasser erschöpft seien, müssten Unternehmen womöglich ihre Produktion wegen fehlender Abtransportmöglichkeiten drosseln, sagte Contargo-Geschäftsführer Marco Spekschnijder am Dienstag.

„Unser Terminal ist bereits zu 85 bis 90 Prozent ausgelastet, bei 100 Prozent können wir keine Container mehr annehmen“, erläuterte Spekschnijder. Tausende Container könnten wegen des Niedrigwassers auf dem Rhein nicht zu ihrem Bestimmungsort gebracht werden. Nur noch vereinzelte Schiffe mit wenig Tiefgang könnten 20 bis 25 Container laden. Gewöhnlich sind es 10 Mal so viele.

Überdies werde die Güterzugverbindung von Mannheim nach Hamburg und Rotterdam stärker genutzt. Als Umleitung für die stark eingeschränkte Mittelrhein-Strecke habe man zwei Mal pro Woche eine Güterzugverbindung zwischen Mannheim und Duisburg eingerichtet. Vom größten Binnenhafen Deutschlands werde die Fracht dann wieder auf dem Rhein nach Rotterdam und Antwerpen weitertransportiert. „Das alles ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein und kann die Kapazitäten der Schiffe bei weitem nicht ersetzen“, sagte Spekschnijder.

Zu Containerstaus tragen laut Spekschnijder auch verlängerte Container-Standzeiten bei. Derzeit beliefen sie sich wegen coronabedingt gestörter Lieferketten auf zehn bis zwölf Tage. Vor der Pandemie waren es nur vier bis fünf. Ein Umstieg vom Schiff auf Lkw gestalte sich schwierig, unter anderem weil viele ukrainische Fahrer in den Krieg gezogen seien.

Pegel bei Kaub bei 34 Zentimetern

Der für die Rhein-Schifffahrt wichtige Wasserpegelstand bei Kaub ist am Mittwochmorgen leicht gestiegen, bleibt aber auf einem niedrigen Niveau. Angaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) zufolge lag er bei 34 Zentimetern und damit einen Zentimeter höher als noch zum gleichen Zeitpunkt am Dienstag. Die WSV prognostiziert bis zum Samstag Pegelstände zwischen 31 und 34 Zentimetern.

Die Fahrrinnentiefe bei Kaub betrug am Dienstag nach WSV-Angaben noch 1,44 Meter. Niedriger ist die Fahrrinnentiefe an keinem anderen Abschnitt des Mittel- und Niederrheins. Sie ist entscheidend, wie viel Fracht Binnenschiffer zuladen können.

Die Pegelstände sind nicht zu verwechseln mit dem tiefsten Punkt im Fluss. Die Fahrrinnen für die Berufsschifffahrt sind deutlich tiefer als der Wasserstand laut Pegel. Dieser zeigt lediglich die Differenz zwischen der Wasseroberfläche und dem sogenannten Pegelnullpunkt, der nicht am tiefsten Punkt der Flusssohle liegt.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) forderte die Bundesregierung mit Nachdruck auf, die Engstellen im deutschen Wasserstraßennetz zu beseitigen. „Die Binnenschifffahrt unternimmt auch unter erschwerten Schifffahrtsverhältnissen alles, um die Versorgung der Wirtschaft und Industrie mit Gütern und Rohstoffen sicherzustellen“, teilte der Verband mit. Gefahren werde „bis an die Grenze des physikalisch Möglichen“ – und solange es sicher sei. Beim aktuellen Pegelstand Kaub könne ein Schiff, das sonst rund 4.000 Tonnen Ladung transportiere, noch maximal 1.000 Tonnen aufnehmen.

Keine grundlegende Trendwende erwartet

Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Rhein erwartet nach deutlichen Rückgängen für die nächsten Tage eine kleine Welle mit leicht steigenden Pegelständen – allerdings ohne eine grundlegende Trendwende. Vom Oberrhein kommend kündige sich eine kleine Welle an, die dazu führen werde, dass am Mittelrhein die Wasserstände leicht ansteigen, teilte das Amt in einer Mitteilung am Dienstag mit. Dies werde sich in den nächsten Tagen auch auf die Pegel am Niederrhein auswirken.

Insgesamt bewegten sich die Wasserstände jedoch trotz leichter Anstiege weiter im Bereich eines mittleren Niedrigwassers, erklärte das WSA Rhein. Die 14-Tage-Vorhersage deute darauf hin, dass die Wasserstände nach dem Durchlauf der Welle wieder leicht sinken werden. Unterhalb von Duisburg-Ruhrort wird der Mitteilung zufolge für die nächsten Tage ein weiterer Rückgang der Wasserstände um wenige Zentimeter vorhergesagt.

Halb leere Schiffe

So weist das WSA Rhein für Emmerich kurz vor der niederländischen Grenze bereits einen Pegelstand von minus ein Zentimeter aus – gemessen am Dienstagvormittag um 9 Uhr. Dabei bleibt der Berufsschifffahrt zwar noch die Fahrrinne mit 1,96 Meter Tiefe. Im Uferbereich können die schweren Güterschiffe wegen des extremen Niedrigwassers aber nicht mehr fahren. „Normalerweise haben wir in Emmerich ungefähr 300 Meter Flussbreite für die großen Schiffe – jetzt sind es gerade noch 150 Meter“, sagt Martin Wolters, Leiter des WSA in Emmerich. Täglich passieren rund 600 Güterschiffe pro Tag den Pegel, die sich begegnen und teils überholen und jetzt besonders vorsichtig fahren müssen.

Halb leere Schiffe waren am Dienstag vor dem Emmericher Hafen zu sehen – etwa das 135 Meter lange und 17,10 Meter breite Containerschiff „Victoria“ aus den Niederlanden, das dort am Dienstag auf die Einfahrt wartete – mit höchstens halb voller Ladefläche und ohne die sonst üblichen Containerstapel. Bis zu 6.000 Tonnen kann das Schiff normalerweise befördern. Nun ist es viel weniger Ladung. Mehr Gewicht und damit Tiefgang sei offenbar für den Weg stromaufwärts nicht möglich, sagt Wolters.

Ausnahmezustand am Rhein – daran soll sich in den nächsten Tagen voraussichtlich nicht allzu viel ändern. „Dafür bräuchten wir ergiebige Regenfälle im Rheineinzugsgebiet und den Zuflüssen“, sagt Wolters. Erst für Mittwoch und die Nacht zum Donnerstag rechnen die Meteorologen mit schauerartigem Regen, am Donnerstag tagsüber mit länger anhaltendem Regen. (dpa/cs)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben