Die Lösung des Kleinwasserproblems

Die Binnenschifffahrt kämpft an diversen Fronten um ihren Marktanteil am Güterverkehr. Flachgehende Binnenschiffe könnten helfen, ihn zumindest zu halten.

Dass die Binnenschifffahrt für Gütertransporte ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden kann, steht außer Frage. Doch die Wirtschaftlichkeit hängt nicht nur von wettbewerbsfähigen Preisen für die Verlader ab, sondern auch davon, wie verlässlich die Dienstleistung erbracht werden kann. Und gerade in dieser Hinsicht machen extreme Wasserstände, verfallende oder nicht mehr den aktuellen Anforderungen genügende Infrastruktur sowie Datenübertragungs- und Digitalisierungslücken die Lage für die Binnenschiffer schwierig. Nur bei wenigen Kunden und Produktarten ist eine längere Unterbrechung der Warenversorgung schadlos möglich.

Nach dem historischen Niedrigwasser im Jahr 2018, bei dem zeitweise die Versorgung der Wirtschaft mit Mineralöl und anderen Waren gefährdet war, sind flachgehende Binnenschiffe wieder stark in den Fokus der Verlader gerückt. Mit ihnen lässt sich zumindest eine Grundversorgung der Industrie bei Kleinwasser aufrechterhalten, auch wenn ihre Ladekapazität im Normalfall niedriger ist.

Erste Einheiten schwimmen

Einige flachgehende Neubauten sind bereits in Fahrt, andere geordert. BP Europa SE hat beispielsweise Anfang 2020 die „TGM Isis“ für den Transport von flüssigen Mineralölprodukten in Dienst gestellt. Die niederländische Werft Concordia Damen hat im Januar 2021 mit dem Bau von 40 Tankern begonnen, die der Mineralölkonzern Shell chartern will und die niederländische VT Group/Marlow bereedern wird. Und auch der Chemieriese BASF lässt eine 135 Meter lange und 17,5 Meter breite Einheit bauen. Diese kann bei einer Wassertiefe von 1,6 Metern noch 650 Tonnen transportieren. Dieser neue Schiffstyp soll Ende 2022 erstmals ablegen. Aufgrund seiner deutlich höheren Tragfähigkeit im Vergleich zu anderen flachgehenden Schiffen sollen dann ganzjährig betrachtet weniger Transporte notwendig sein.

1,6

Meter Tiefgang hat ein neuer Binnenschiffstyp, den BASF bauen lässt.

30

Prozent weniger CO2 sollen die Diesel/Elektro-Antriebe der neuen Schiffstypen emittieren.

DVZ-Recherche

HGK Shipping, das Binnenschifffahrtsunternehmen der Häfen und Güterverkehr Köln AG, hat zwei Neubauten bestellt, von denen der Gastanker „Gas 94“ bereits im dritten Quartal 2021 in Dienst gestellt wird. Die 110 Meter lange und 12,5 Meter breite tiefgangoptimierte Einheit soll im Rahmen eines langjährigen Vertrags mit einem Chemiekunden auf dem Rhein fahren. Möglich wird dies durch optimierte Auftriebseigenschaften des Schiffskaskos sowie eine ausgefeilte Anordnung von Komponenten wie Ladungsbehältern und Antriebstechnologie.

Der Hauptantriebsstrang besteht wie beim BASF-Entwurf aus drei Elektromotoren, die jeweils auf einem Ruderpropeller installiert werden und somit für eine ausreichende Leistung für Beschleunigungs- und Stoppmanöver sorgen. Gespeist werden die Elektromotoren über Dieselgeneratorensets mit Abgasnachbehandlungssystemen, so dass die Stage-V-Emissionsnorm erfüllt und laut HGK die CO2-Emissionen um bis zu 30 Prozent und der NOx-Ausstoß um rund 70 Prozent geringer sein werden als bei bisher üblichen Antrieben nach CCR2-Norm. Die Konfiguration des Antriebskonzepts und das Power Management System bieten zudem die Option, kleinere Teilstrecken rein elektrisch zu fahren. Beim Entwurf von BASF könnten den Konzernangaben zufolge die Dieselgeneratoren eines Tages durch andere Typen – zum Beispiel mit Wasserstoff-Brennstoffzellen – ersetzt werden.

Ein technischer Balanceakt

Tim Gödde, Business Unit Director Ship Management der HGK Shipping, sieht die Entwicklung von Binnenschiffen mit niedrigem Tiefgang in Verbindung mit nachhaltigen Transportlösungen als eine essenzielle Aufgabe des Unternehmens. Wichtig sei, Flexibilität, Tragfähigkeit und Ressourcenschonung zu optimieren bei gleichzeitig sicherem Betrieb. Dies bedinge einen Kompromiss in puncto Kraftstoffverbrauch und einen höheren Anschaffungspreis, aber vor allem einen multidisziplinären Ansatz: Ein Team, zu dem eigene Ingenieure ebenso gehörten wie Experten von Werften, aus Forschungsinstituten, von Herstellern von Propulsions- und Ruderanlagen sowie von Tanks, müsse die richtige Balance aller Aspekte erarbeiten.

Der zweite Neubau, ein weiteres Tankmotorschiff, wird voraussichtlich im dritten Quartal 2022 übernommen. Weitere innovative Einheiten sollen in den nächsten fünf Jahren folgen.

Die Industrie verlässt sich jedoch längst nicht nur auf den Bau flachgehender Schiffe, um ihre Versorgungsketten aufrechtzuerhalten: BP etwa baut zusätzliche Lagerbestände auf, erweitert die Umschlagkapazitäten und prüft Möglichkeiten im Schienengüterverkehr. Ähnlich verfährt BASF. Das Binnenschifffahrtsgewerbe muss also daran arbeiten, attraktiv für seine Kunden zu bleiben. Letztendlich muss sich das Geschäft aber wirtschaftlich rechnen – für alle Seiten. Aus eigener Kraft können sich vor allem kleinere Unternehmen Neu- oder ebenfalls mögliche Umbauten jedoch in der Regel nicht leisten. (ben)

Nachgefragt

Die Kosten fürInvestitionen und Betrieb müssen niedrig sein

Jens Ley, Fachbereichsleiter „Entwicklung und Simulation von Schiffen und Offshore-Strukturen“ am Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) in Duisburg.

Herr Ley, woran arbeiten Sie beim Thema flachgehende Binnenschiffe?

Das im Dezember 2020 gestartete und vom BMWi geförderte Forschungsprojekt FlaBi (Entwicklung von Binnenschiffen für extreme Niedrigwasserbedingungen – Flachgehende Binnenschiffe), an dem wir mit Partnern arbeiten, befasst sich mit der Weiterentwicklung von Antrieben für Binnenschiffe. Zum einen sollen die Einsatzgrenzen von konventionellen Düsenpropellern bei geringen Tiefgängen durch eine angepasste Integration in das Schiff ausgeweitet werden. Zum anderen werden Alternativen wie etwa Wasserstrahlantriebe oder Schaufelräder untersucht und für den Einsatz auf Güterschiffen weiterentwickelt. Zur Reduktion des Leergewichts von Schiffen wird weiter an alternativen Materialien wie zum Beispiel Faserverbundwerkstoffen für Aufbauten und an angepassten Schiffskonstruktionen – etwa mit kleineren Seitenhöhen – geforscht.

Wie lässt sich noch Gewicht einsparen?

Neben faserverstärkten Kunststoffen für Aufbauten kommen auch höher- und hochfeste Stähle für Teile der Schiffsstruktur infrage. Allerdings führt jede Gewichtsreduktion zu einer Veränderung der Strukturdynamik und damit beispielsweise zu ungewollten Vibrationen. Auch die Ausrüstungs- und Einrichtungsgegenstände eines Schiffs wie etwa Ankerwinden, Masten, Rettungsmittel und Bordstromaggregate sollten auf ihr Gewichtseinsparpotenzial hin geprüft werden.

Was sind die größten Herausforderungen?

Technisch: Der Propeller muss sowohl bei geringem Tiefgang wirksam sein, als auch bei großem Tiefgang und hoher Zuladung des Schiffs effektiv arbeiten. Wirtschaftlich: Bei kleinem Tiefgang transportiert ein Binnenschiff nur einen Bruchteil der Ladung, die Kosten pro Reise bleiben aber annähernd bei 100 Prozent. Wichtig ist, die Investitions- und Betriebskosten wie den Treibstoffverbrauch niedrig zu halten. Zudem sollte die Transportleistung, bezogen auf das gesamte Jahr, beim Einsatz flachgehender Einheiten nicht kleiner sein als die von konventionellen Schiffen.

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